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Wie groß der Integrationsbedarf bei Kindern in Deutschland ist

Über Migranten wird in Deutschland viel diskutiert. Dabei ist über den Stand der Integration oft nur wenig bekannt. Indizien liefert der Blick auf die Staatsangehörigkeit des Nachwuchses – er zeigt einen eindeutigen Trend und zugleich große regionale Unterschiede.

Kernaussagen in Kürze:
  • Seit dem Jahr 2000 erlangen alle in der Bundesrepublik geborenen Kinder automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft – vorausgesetzt, mindestens ein Elternteil hält sich seit acht oder mehr Jahren rechtmäßig in Deutschland auf und hat ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.
  • Im Jahr 2021 erhielten trotzdem 13,4 Prozent der in der Bundesrepublik geborenen Kinder nicht automatisch den deutschen Pass.
  • Es wäre sinnvoll, Kindern die deutsche Staatsbürgerschaft bereits nach kürzerem Aufenthalt der Eltern in Deutschland zu gewähren.
Zur detaillierten Fassung

Im Jahr 2000 hat Deutschland sein Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Seither erlangen alle in der Bundesrepublik geborenen Kinder automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft – vorausgesetzt, mindestens ein Elternteil hält sich seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland auf und hat ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Dadurch haben in der Regel nur noch jene Kinder keinen deutschen Pass, die entweder erst kürzlich selbst ins Land gekommen sind oder deren Eltern sich noch nicht lange hier aufhalten.

Aus Sicht von Wirtschaftsforschern ist dieser Umstand ein gutes Indiz für den Integrationsbedarf – schließlich brauchen vor allem jene Menschen besondere Unterstützung, die neu in einem Land sind, also Sprache und Kultur kaum kennen. Zudem lassen sich mittels Staatsangehörigkeit jene Regionen ermitteln, in denen besonders viele Kinder mit aktueller Migrationserfahrung leben.

In Deutschland insgesamt ist die Entwicklung eindeutig, wie eine neue IW-Studie zeigt (Grafik):

Im Jahr 2021 erhielten 13,4 Prozent der in der Bundesrepublik geborenen Kinder nicht automatisch den deutschen Pass, in den frühen 2010er Jahren waren es noch weniger als 5 Prozent.

So viele Kinder wurden im jeweiligen Jahr in Deutschland geboren, ohne automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Zahl der Geburten ohne Erwerb der Staatsbürgerschaft liegt seit 2016 relativ konstant um 100.000 pro Jahr. Aufgrund des russischen Angriffskriegs und der Flucht vieler Ukrainer nach Deutschland könnte die Zahl künftig steigen.

Schaut man auf die einzelnen Bundesländer, gibt es riesige Unterschiede:

Während im Jahr 2020 in Bremen fast ein Viertel der Kinder qua Geburt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erlangte, lag der Anteil in Mecklenburg-Vorpommern nur bei knapp 8 Prozent.

Auf der Ebene der sogenannten NUTS2-Regionen, die sich vor allem an den Regierungsbezirken orientieren, lag Düsseldorf – dazu zählen auch Teile des Ruhrgebiets – mit 17,9 Prozent an der Spitze. Am anderen Ende der Statistik rangierte die Region Dresden mit nur 7,3 Prozent.

Rund jedes siebte der im Jahr 2021 in Deutschland geborenen Kinder erhielt nicht automatisch den deutschen Pass.

Allerdings ist der Geburtsort nicht zwangsläufig der, in dem Familien mit ihren Kindern dauerhaft wohnen. Deshalb ist es sinnvoll, sich anzuschauen, wo die unter 15-Jährigen leben, die keinen deutschen Pass haben. In der Betrachtung nach Bundesländern und NUTS2-Regionen steht erneut Bremen an der Spitze (Grafik):

Ende 2020 hatten in Bremen fast 24 Prozent der unter 15-Jährigen keinen deutschen Pass, im Regierungsbezirk Darmstadt waren es knapp 18 Prozent, in Berlin 17,5 Prozent.

So viel Prozent der unter 15-jährigen Einwohner besaßen Ende 2020 in diesem Bundesland oder in dieser NUTS2-Region keine deutsche Staatsbürgerschaft Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Insgesamt liegen die Quoten im Süden und Westen Deutschlands deutlich über jenen im Osten – von Berlin einmal abgesehen.

Was jetzt zu tun ist

Generell machen die Daten deutlich, dass der Handlungsbedarf sehr unterschiedlich ist. Deshalb müssen der Bund und die Bundesländer betroffene Städte und Regionen finanziell unterstützen. Der Wohnort und dessen finanzielle Lage dürfen nicht darüber entscheiden, ob Integration gelingt oder nicht.

Dabei gilt es auch zu beachten, dass hier geborene junge Menschen ganz andere Unterstützungsbedarfe haben als Kinder, die erst während ihrer Schullaufbahn nach Deutschland wechseln und bei denen häufig viel weitreichendere Lernlücken geschlossen werden müssen.

Zudem ist noch auf eine ganz andere Problematik hinzuweisen, die eng mit der Staatsbürgerschaft verknüpft ist: Werden junge Menschen ohne deutschen Pass hier volljährig, bleibt ihnen das Wahlrecht verwehrt, ebenso viele Jobs im öffentlichen Dienst. Städte und Gemeinden mit besonders vielen Ausländern verlieren dann relativ zur Bevölkerungsgröße merklich an politischem Gewicht – und die Zugewanderten können keine Abgeordneten wählen, die ihre Interessen vertreten.

Entsprechend wäre es sinnvoll, dass Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft bereits nach kürzerem Aufenthalt der Eltern in Deutschland erhalten. Voraussetzung dafür sollte allerdings bleiben, dass sich hieraus kein langfristiges Aufenthaltsrecht für die ganze Familie ableitet, das ansonsten nicht bestehen würde.

Darüber hinaus sollte der Staat darüber nachdenken, ob und wie Menschen auf anderen Wegen offiziell Deutsche werden können, wenn sie in ihrer Kindheit vollständig oder weitgehend hier gelebt haben.

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