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Wie Europa die Corona-Krise bekämpfen will

Im Kampf gegen die Corona-Krise haben sich die EU-Länder zusammengerauft und ein erstes Hilfspaket beschlossen. Die darin enthaltenen Maßnahmen sind sinnvoll, werden aber vermutlich nicht ausreichen. Und ein großer Streitpunkt bleibt auf dem Tisch.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die EU-Länder haben ein Hilfspaket mit Maßnahmen gegen die Corona-Krise geschnürt.
  • Wesentliche Elemente sind Kredite vom Europäischen Stabilitätsmechanismus, das neue Instrument SURE zur Finanzierung von Kurzarbeitergeld sowie Liquiditätshilfen und Kredite der Europäischen Investitionsbank.
  • Insgesamt ist das Paket positiv zu bewerten, wird aber wohl nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern.
Zur detaillierten Fassung

Schulen geschlossen, Läden dicht, Konzerte abgesagt, Kontakte eingeschränkt oder verboten: Fast alle Länder in der Europäischen Union – und darüber hinaus – haben im Kampf gegen die Corona-Pandemie drastische Maßnahmen ergriffen. Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise – Umsatzeinbußen, Produktionsengpässe, Arbeitslosigkeit – einzudämmen, schnüren die einzelnen Staaten riesige Hilfspakete. Die umfangreichen Liquiditätsspritzen könnten allerdings in einigen Euroländern die Schulden so weit in die Höhe treiben, dass sie nicht mehr tragfähig sind, also die Staatspleite droht.

Corona-Krise könnte Finanzlage verschlechtern

Denn zur Finanzierung der Anti-Krisen-Maßnahmen müssen die Staaten in großem Umfang Anleihen emittieren, während zugleich die Steuereinnahmen sinken. Da zudem das Bruttoinlandsprodukt vielerorts drastisch sinken wird, weil die Ausgaben der Haushalte rückläufig sind und die Unternehmen weniger investieren und verkaufen, dürften die Schuldenquoten in die Höhe schnellen.

In den vergangenen Jahren haben viele Länder des Euroraums zwar einen Teil ihres Schuldenbergs abgetragen, einige – wie Estland und Luxemburg – sind sogar fast schuldenfrei. Doch es gibt nach wie vor diverse Sorgenkinder (Grafik):

Griechenland, das vom Coronavirus besonders gebeutelte Italien und Portugal weisen einen Schuldenstand von jeweils weit mehr als 100 Prozent der Wirtschaftsleistung auf.

Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2019 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Aber auch in Frankreich, Spanien und Belgien liegt die Staatsschuldenquote nur geringfügig unter der 100-Prozent-Marke.

Steigen gerade in diesen Ländern die Quoten (erneut) an, drohen Herabstufungen durch die Rating-Agenturen, was die Kreditaufnahme für die jeweiligen Staaten verteuert.

Griechenland, das vom Coronavirus besonders gebeutelte Italien und Portugal weisen einen Schuldenstand von jeweils weit mehr als 100 Prozent der Wirtschaftsleistung auf.

Hinzu kommt: Wenn Haushalte und Unternehmen infolge der Corona-Krise ihre Kredite nicht mehr vollständig bedienen können oder manche Firmen sogar in den Konkurs gehen, führt das auch zu Verlusten bei den Banken. Haben diese nicht ausreichend Risikovorsorge betrieben, müssen sie gegebenenfalls vom Staat gerettet werden, was dessen Finanzen zusätzlich belastet.

Auf der anderen Seite könnten unter Druck geratene Banken ihre Kreditkonditionen verschärfen – ohnehin gebeutelte Unternehmen kommen dann noch schlechter an frisches Geld und es drohen zusätzliche Insolvenzen, die sich nur durch noch mehr staatliche Hilfsgelder verhindern lassen.

EU hat erstes Hilfspaket beschlossen

All diese sich zum Teil selbst verstärkenden Effekte erfordern ein gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene – umso mehr, als diese Krise alle Mitgliedsstaaten der EU unverschuldet trifft. Und so haben sich – nach harten Verhandlungen – die Regierungen der EU-Länder kurz vor Ostern auf ein Paket finanzieller Maßnahmen von bis zu 540 Milliarden Euro für besonders betroffene Staaten verständigt. Es besteht im Wesentlichen aus drei Teilen:

  • Rund 240 Milliarden Euro in Form von Krediten soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) bereitstellen.
  • Bis zu 100 Milliarden Euro an Krediten sollen zur Finanzierung von Kurzarbeitergeld durch das neue Hilfsinstrument „SURE“ der EU-Kommission zur Verfügung stehen.
  • Bis zu 200 Milliarden Euro sind in Form von Liquiditätshilfen und Krediten vorgesehen, die Firmen über die Europäische Investitionsbank (EIB) gewährt werden.

Die Elemente im Einzelnen:

ESM-Pandemie-Krisenhilfe. Der Eurorettungsschirm ESM soll innerhalb von zwei Wochen allen Euro-staaten bei Bedarf eine Kreditlinie von 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung zur Verfügung stellen. Diese Größenordnung gilt als Orientierung und lässt sich in begrenztem Maße noch aufstocken. Dazu wird ein bestehendes vorsorgliches ESM-Instrument genutzt und darauf eine nur für die Krisenzeit verfügbare Hilfe aufgesetzt.

Anders als bislang beim ESM vor-gesehen, soll die Pandemie-Krisenhilfe grundsätzlich ohne Reformauflagen vergeben werden. Die Empfängerstaaten sollen nur sicherstellen, dass die Kreditgelder in direkte und indirekte krisenbedingte Gesundheitsmaßnahmen fließen. Nach der Nutzung sollen die betreffenden Euroländer ihre wirtschaftliche Basis innerhalb der flexiblen EU-Vorgaben wieder stärken.

SURE. Das neue Instrument SURE (Support mitigating Unemployment Risks in Emergency) soll die EU-Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, Kurzarbeitergeld und ähnliche Hilfen für Selbstständige zu finanzieren. So soll verhindert werden, dass die Arbeitslosigkeit durch die Corona-Krise allzu stark steigt.

Die EU tritt dabei als eine Art Rückversicherer auf, wenn die nationalen Sicherungssysteme an ihre Belastungsgrenzen kommen. Auf freiwilliger Basis sollen die Mitgliedsstaaten dem EU-Haushalt 25 Milliarden Euro an Garantien zur Verfügung stellen, sodass die EU-Kommission damit bis zu100 Milliarden Euro an Hilfskrediten mobilisieren kann. Die drei größten Kreditnehmer sollen dabei zusammen maximal 60 Milliarden Euro erhalten.

Allerdings muss SURE erst noch geschaffen werden. Und anders als die EU-Kommission, die damit eine dauerhafte europäische Arbeits-losen-Rückversicherung etablieren möchte, haben die Euro-Finanz-minister klargestellt, dass SURE nur für die Zeit der Corona-Krise verfügbar sein soll.

EIB-Hilfen. Die Europäische Investitionsbank soll einen EU-weiten Garantiefonds auflegen und wird dazu mit Garantien der EU-Mitgliedsstaaten in Höhe von 25 Milliarden Euro ausgestattet. Damit soll sie über einen Hebeleffekt vor allem kleinen und mittleren Unternehmen Finanzhilfen von insgesamt bis zu 200 Mil-liarden Euro zugänglich machen – insbesondere in jenen EU-Staaten, in denen die nationalen Förderbanken eine solche Unterstützung nicht ausreichend leisten können.

Thema Wiederaufbaufonds ist vertagt

Über diese drei Fördertöpfe hinaus sind in kleinerem Umfang noch weitere Hilfen vorgesehen, unter anderem Gelder aus dem laufenden EU-Haushalt und Transfers über ein Notfall-Hilfsinstrument speziell für medizinische Ausgaben.

Heftig diskutiert wird derzeit noch ein umfangreicher Wiederaufbaufonds, der die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie unterstützen soll.

Die EU-Kommission hat dazu die Summe von bis zu 1.500 Milliarden Euro über mehrere Jahre in den Raum gestellt. Aber weder über die Höhe noch über die Finanzierung – also auch die Frage nach einer möglichen Vergemeinschaftung von Schulden – noch über die wirtschaftliche und rechtliche Konstruktion besteht bislang Einigkeit.

Davon abgesehen ist das bereits beschlossene Hilfspaket insgesamt positiv zu bewerten, auch wenn das hohe Volumen von mehr als einer halben Billion Euro vermutlich immer noch nicht ausreichen wird, um die Krisenfolgen hinreichend abzufedern.

Zu begrüßen ist auch, dass die ESM-Krisenhilfe mit sehr geringen Auflagen verbunden ist und die vorsorglichen Kredite allen Eurostaaten zur Verfügung stehen. Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass jenen Staaten, welche die Hilfen in Anspruch nehmen, ein Stigma anhaftet und sie an den Finanzmärkten Risikoaufschläge hinnehmen müssen. Damit sind die Eurostaaten Italien sehr weit entgegengekommen. Die zur Mitte des politischen Spektrums zählenden italienischen Parteien befürworten die Inanspruchnahme der ESM-Kredite denn auch, während die populistischen Parteien dies offenbar aus wahltaktischen Gründen pauschal ablehnen.

Dass sich die EU-Länder nicht auf Transfers in größerem Umfang einigen konnten, liegt wohl vor allem daran, dass damit höhere Lasten für die europäischen Steuerzahler verbunden wären.

Stattdessen beruhen die Instrumente durchweg auf rückzahlbaren Krediten, die die Schuldenlast der betreffenden Staaten und Firmen erhöhen werden.

Allerdings sollen diese neuen Schulden durch sehr niedrige Zinsen tragfähig bleiben. ESM, EU-Kommission und EIB können sich durch die Garantien der europäischen Staaten selbst sehr günstig am Finanzmarkt finanzieren und ihre niedrigen Zinsen über die Hilfskredite weitergeben. Wichtig wäre es aber auch, mit langen Kreditlaufzeiten zu verhindern, dass die Rückzahlungslasten in den nächsten Jahren zu stark steigen.

Zudem muss sichergestellt sein, dass die neuen Instrumente wirklich nur für die Ausnahmesituation der Corona-Krise gelten.

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