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Die Zeit nach dem Corona-Lockdown

Selbst wenn der Lockdown des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland Ende April beendet wird, sind mindestens 5 Prozent der Wirtschaftsleistung verloren – und das auch nur, wenn die Wirtschaft so schnell wie möglich in gewohnte Bahnen zurückkehrt und wieder Fahrt aufnimmt. Wie das gelingen kann, zeigt ein Zwölf-Punkte-Plan des IW.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Lockdown infolge der Corona-Pandemie kostet Deutschland mindestens 5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung.
  • Soll es nicht noch teurer werden, muss – falls aus medizinischer Sicht vertretbar – ab Ende April eine Exit-Strategie gefahren werden.
  • Dauert der Lockdown noch länger, drohen der Gesellschaft zahlreiche Härten.
Zur detaillierten Fassung

Deutschland Mitte April 2020: Schulen und Kindergärten sind geschlossen, die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert; wer kann, arbeitet im Homeoffice. Der Bahnverkehr ist stark eingeschränkt, am Frankfurter Flughafen zählte man in der ersten Aprilwoche 95 Prozent weniger Passagiere als im gleichen Vorjahreszeitraum.

Zwar haben die Supermärkte geöffnet, doch die meisten Geschäfte sind geschlossen. Kein Kaufhaus, kein Kino, keine Kneipe. Alle größeren Veranstaltungen sind abgesagt, die meisten Grenzübergänge für den Individualverkehr gesperrt. Nicht nur das öffentliche Leben steht weitgehend still, auch in den Produktionshallen der Industrie kann man eine Stecknadel fallen hören: Bei VW, BMW & Co. zum Beispiel stehen die meisten Bänder still, der Verband der Automobilindustrie spricht von einer Herausforderung „in bisher nie gekanntem Ausmaß“ – allein im März sind die Pkw-Neuzulassungen gegenüber dem Vormonat um 38 Prozent zurückgegangen.

Der erste und wichtigste Schritt für einen Exit aus dem Corona-Lockdown ist die massive Ausweitung von Test- und Behandlungskapazitäten.

Die Kosten dieses Lockdowns belaufen sich auf mindestens 5 Prozent der Wirtschaftsleistung, hat das IW ausgerechnet. Voraussetzung ist allerdings, dass die Produktionseinschränkungen nur bis Ende April andauern und die Belastungen infolge gestörter Lieferketten spätestens zwei Monate danach beseitigt sind.

Und wenn nicht? Dann wird es teurer, viel teurer (Grafik):

Dauert der Lockdown bis Ende Juni, fällt das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 10 Prozent niedriger aus als ohne die Corona-Krise – in der Industrie würde das Minus sogar 18 Prozent betragen.

Je nachdem, wie lange der Lockdown andauert, wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 5 oder 10 Prozent geringer ausfallen asl ohne die Corona-Krise Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Falls der Lockdown allerdings die beabsichtigte Wirkung zeigt, falls sich also der Anstieg der Infektionszahlen verlangsamt und das Gesundheitssystem die Lage beherrscht, kann und muss Deutschland – ähnlich wie Österreich – Schritt für Schritt die Anti-Corona-Maßnahmen lockern und der Bevölkerung sowie den Unternehmen eine gewisse Planungssicherheit geben. Dabei ist zu beachten, dass die verschiedenen Wirtschaftszweige einem unterschiedlichen Druck ausgesetzt sind und auch einen zeitlich unterschiedlichen Handlungsbedarf haben (Grafik).

Probleme und Potenziale in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Wie so ein Exit gelingen kann, zeigt das IW in einem Zwölf-Punkte-Plan:

1. Tests und medizinische Behandlungskapazitäten aufbauen. Der erste und wichtigste Schritt für einen Exit ist die massive Ausweitung von Test- und Behandlungskapazitäten. Deutschland braucht vor allem Test-Kits und Laborkapazitäten, Tracing-Software, medizinischen Sauerstoff, Beatmungsgeräte, Intensivbetten und nicht zuletzt entsprechendes Personal.

2. Schulen und Kindergärten öffnen. Die Wiederaufnahme des Schulbetriebs und der Kinderbetreuung ist von fundamentaler ökonomischer Bedeutung, denn nur so können Eltern mit der notwendigen Aufmerksamkeit ihrer Beschäftigung nachgehen.

Für eine möglichst schnelle Öffnung müssen allerdings neue Wege gefunden werden. Der Verzicht von Präsenzunterricht für Abiturienten zum Beispiel schafft zusätzliche Lehrerkapazitäten, durch Unterricht im Schichtbetrieb am Vor- und Nachmittag kann die Schülerzahl – und damit das Infektionsrisiko – reduziert werden. Außerdem ist sicherzustellen, dass Lehrer aus Risikogruppen vom Unterricht freigestellt werden. Ein flächendeckender Corona-Schnelltest für alle Schüler könnte Bedingung für die Öffnung einer Schule sein.

3. Verkehrskapazitäten erhöhen. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr muss schnell wieder eine höhere Taktung aufnehmen, damit die Menschen zur Arbeit kommen. Dadurch reduziert sich die Zahl der Reisenden in den einzelnen Verkehrsmitteln – und damit das Infektionsrisiko. Zudem ließe sich die soziale Distanz zwischen den kleineren Gruppen durch improvisierte Abtrennungen erhöhen.

4. Öffentliche Verwaltung öffnen. Wenn Ämter und Behörden zügig wieder öffnen, auch für den Besucherverkehr, normalisiert sich das öffentliche Leben. Das hat direkte wirtschaftliche Relevanz – beispielsweise im Fall von Kfz-Zulassungsstellen. Schutzmaßnahmen, wie sie derzeit beispielsweise in Supermärkten oder Apotheken getroffen wurden, können auch in der Verwaltung die Ansteckungsgefahr verringern.

5. Handel und Dienstleistungen wieder zulassen. Sobald wie möglich sollten Geschäfte wieder geöffnet und derzeit untersagte Dienstleistungen wieder erlaubt werden. Die unterschiedliche Vorgehensweise in den Bundesländern spricht dafür, dass nicht so viele Läden geschlossen sein müssen, wie dies derzeit in einigen Regionen der Fall ist. Für Restaurants sind klare Vorgaben zu machen, beispielsweise zum Abstand zwischen den Tischen. Dann spricht nichts dagegen, sie wieder zu öffnen.

Jene Bereiche, bei denen dagegen von längerfristigen Beschränkungen oder Verboten auszugehen ist, brauchen eine klare Perspektive. Zudem muss in diesen Fällen über massive Unterstützungsleistungen nachgedacht werden. Sollten zum Beispiel Großveranstaltungen noch über viele Monate untersagt bleiben, würde dies sonst zu einer Konkurswelle führen.

6. Produktion in der Industrie hochfahren. Nach dem Lockdown müssen die Unternehmen ihre komplexen Wertschöpfungsnetze reaktivieren. Damit das möglichst reibungslos gelingt, bedarf es seitens der Politik eines klaren Signals, wann wieder mit einer Normalisierung gerechnet werden kann. Darauf aufbauend können die notwendigen Koordinierungen vorgenommen werden. Dies sollte so weit wie möglich im europäischen Verbund geschehen, da die Produktion in Europa stark länderübergreifend vernetzt ist.

Notwendig ist auch, dass die Mitarbeiter sicher und ansteckungsfrei ihrer Arbeit nachgehen können. Systematische Schnelltest der Belegschaften können dies gewährleisten. Dafür sind Gesundheitsämter und Betriebe gleichermaßen gefordert.

7. Offene Grenzen gewährleisten. Die Grenzen müssen für Waren offen gehalten oder – wo notwendig – wieder geöffnet werden, das gilt auch für den grenznahen Austausch von Arbeitskräften, der durch Schnelltestverfahren abgesichert werden kann. Der internationale Austausch über den Luft-, See- und Landweg muss gewährleistet werden.

8. Großzügigkeit bei fiskalischen Forderungen. In den ersten Wochen nach Ende des Lockdowns werden viele Unternehmen weiterhin Liquiditätsprobleme haben. Um die Existenz dieser Betriebe nicht zu gefährden, muss die öffentliche Hand sich bei Steuernachzahlungen, Sozialversicherungsbeiträgen und Rückzahlungen von Überbrückungskrediten großzügig zeigen. In dem einen oder anderen Fall ist zu prüfen, ob der Staat auf seine Forderungen verzichtet, damit der Betrieb weitergeführt werden kann.

9. Einreise ausländischer Arbeitnehmer ermöglichen. Verschiedene Branchen sind auf ausländische Arbeitskräfte oder Subunternehmer angewiesen, zum Beispiel die Bauwirtschaft. Vorrangregelungen und Schnelltests für diese Gruppen können dazu beitragen, eine sichere Einreise zu ermöglichen. Beim Thema Erntehelfer für die deutsche Landwirtschaft hat die Politik ja schon einen entsprechenden Weg beschritten und Sonderflüge aus Osteuropa ermöglicht.

10. Ein fiskalisches Signal setzen. Durch eine – ohnehin gebotene – steuerliche Entlastung kann der Staat ein Aufbruchssignal an Konsumenten und Unternehmen senden. Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags im Sommer könnte wie ein Startschuss für einen neuen Aufschwung wirken.

11. Nachfrage stimulieren. Aufgrund der negativen Erwartungen der Bevölkerung kann es dazu kommen, dass Käufe langlebiger Konsumgüter oder Investitionen – beispielsweise in klimafreundliche Heizungen – unterbleiben. Wenn sich dies auch nach dem Lockdown als krisenverlängerndes Problem erweist, kann dem mit spezifischen Programmen zur Nachfragestimulation begegnet werden. Die Abwrackprämie in der Wirtschaftskrise 2009 hatte dieses Ziel – und wirkte. Solche Programme müssen schon jetzt vorbereitet und später nötigenfalls umgesetzt werden.

12. Wachstumsprogramm aufsetzen. Die Corona-Krise wird die Wohlstandsentwicklung in Deutschland vermutlich auf Jahre hinaus beeinträchtigen. Dies trifft die Volkswirtschaft in einer Zeit, in der sie ohnehin vor großen Strukturveränderungen und grundlegenden Veränderungen steht. Damit wird ein umfangreiches Programm zur Verbesserung der Standortbedingungen notwendig, um Investitionen, Innovationen und zukünftiges Wachstum zu ermöglichen. Deshalb sollte sich der Staat – auf die Anfangsphase begrenzt – an risikoträchtigen Innovationen in den Bereichen Gesundheit, Energie und Klima beteiligen.

Der Bundesregierung, den Bundesbürgern und den Unternehmen muss allerdings auch klar sein, dass die Rückkehr zu einem normalen (Wirtschafts-)Leben selbst bei Umsetzung all dieser Maßnahmen nicht von heute auf morgen gelingen kann. Aus medizinischer Sicht gebietet schon die Vorsicht nur ein schrittweises Aufheben der Einschränkungen – und für einige Bereiche werden sie ohnehin länger gelten.

Dauert der Lockdown länger als bis Ende April, drohen zahlreiche Härten

Da die Folgen der Krise nicht alle Länder gleichzeitig treffen, wird es zudem über Monate hinweg Komplikationen in der Wertschöpfungskette geben. Und die Unsicherheit der Konsumenten und der Unternehmen über ihre künftigen Einnahmen wird dazu führen, dass sie ihre Ausgaben, wo immer es geht, aufschieben, was den Erholungsprozess verzögert.

Dauert der Lockdown im aktuellen Umfang noch länger als bis Ende April, muss sich die Gesellschaft auf gravierende Härten einstellen: Es drohen Massenarbeitslosigkeit, nachhaltige Lohn- und Gehaltskürzungen sowie ein sprunghafter Anstieg der Privatinsolvenzen und der Unternehmenspleiten. Die daraus resultierende lang andauernde Talsohle kann den Bankensektor destabilisieren und eine neue Staatsschuldenkrise heraufbeschwören. Deshalb setzt das IW darauf, dass die Politik den Lockdown zeitnah sukzessive aufhebt – und dabei nicht den Fehler begeht, Wirtschaft und Gesundheit gegenüberzustellen. Vielmehr gilt es, jeden Schritt mit Augenmaß zu planen und zu gehen.

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