Wie digitalisiert ist die deutsche Wirtschaft?
Die Corona-Pandemie hat Deutschland quasi einen Digitalisierungsschub verordnet – aber auch die noch bestehenden Defizite aufgezeigt. Der neue Digitalisierungsindex, der vom Institut der deutschen Wirtschaft und der IW Consult im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mitentwickelt wurde, verdeutlicht, welche Branchen und Regionen in Deutschland zu den Vorreitern gehören – und wo es noch Nachholbedarf gibt.
- Von allen Branchen in Deutschland ist die Informations- und Kommunikationstechnologie am stärksten digitalisiert – das zeigt der neue Digitalisierungsindex, den das IW und die IW Consult mitentwickelt haben.
- Ebenfalls überdurchschnittlich gut schneiden die großen Industriebranchen Fahrzeugbau sowie Elektrotechnik und Maschinenbau ab.
- Insgesamt erreicht der Süden Deutschlands eine höhere Indexpunktzahl als der Osten und der Westen; generell liegen vor allem ländliche Räume in Sachen Digitalisierung zurück.
Videokonferenzen statt Dienstreisen, Unterricht per Lernsoftware statt im Klassenzimmer, Online-Workouts statt Fitnessstudio – und natürlich die Corona-Warn-App: Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, ist Deutschland auf den Weg der Digitalisierung schneller denn je vorangekommen. Doch der Fortschritt ist teils geringer als erhofft, teils hält die Infrastruktur den Anforderungen nicht stand.
Um im Detail zu erfassen, wie die deutsche Wirtschaft in Sachen Digitalisierung aufgestellt ist, haben das IW und die IW Consult gemeinsam mit weiteren Projektpartnern den neuen Digitalisierungsindex entwickelt, der von nun an jährlich erscheinen wird (Kasten). Die wichtigsten Ergebnisse für 2020:
Digitalisierung nach Branchen
Wenig überraschend: Am besten schneidet jene Branche ab, zu deren Kern digitale Produkte und Geschäftsmodelle zählen (Grafik):
Mit 273 Indexpunkten liegt die Informations- und Kommunikationstechnologie im Digitalisierungsindex vorn.
Dies ist vor allem auf die hohe Zahl der Forschungs- und Innovationskooperationen sowie die vielen digitalen Start-ups in der Branche zurückzuführen.
Ebenfalls überdurchschnittlich stark digitalisiert sind die großen Industriebranchen Fahrzeugbau sowie Elektrotechnik und Maschinenbau. Die Autobranche punktet dabei insbesondere mit ihren Forschungs- und Innovationsaktivitäten. Die Branchengruppe Elektrotechnik und Maschinenbau schneidet mit Ausnahme der digitalen Geschäftsmodelle in allen Kategorien überdurchschnittlich gut ab.
Im neuen Digitalisierungsindex liegt die Informations- und Kommunikationstechnologie vorn, aber auch Fahrzeugbau, Elektrotechnik und Maschinenbau sind überdurchschnittlich digitalisiert.
Dass von den einzeln untersuchten Branchen der Handel und der Tourismus in Sachen Digitalisierung hinten liegen, ist nachvollziehbar – schließlich spielt in beiden Bereichen das persönliche, also „analoge“ Erleben eine große Rolle. Dennoch bleibt die Digitalisierung auch hier keineswegs außen vor – so setzt die Tourismusbranche schon heute überdurchschnittlich stark auf digitale Geschäftsmodelle.
Digitalisierung nach Unternehmensgröße
Im Digitalisierungsindex hat das Duell „Groß gegen Klein“ einen klaren Sieger:
Mit rund 200 Indexpunkten liegen die Unternehmen ab 250 Beschäftigten klar vorn, mittelgroße Unternehmen kommen auf 126 Punkte und Betriebe mit maximal 49 Beschäftigten erzielen 89 Punkte.
Dass die großen Firmen so gut abschneiden, verdanken sie nicht zuletzt ihren Ergebnissen in der Kategorie Innovationslandschaft: Großunternehmen kooperieren besonders häufig mit anderen Firmen oder Institutionen im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. Das bedeutet allerdings nicht, dass es den kleinen Betrieben an Innovationsengagement mangelt – in der Kategorie Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten liegen sie sogar über dem Wert der Betriebe mit 50 bis 249 Beschäftigten.
Digitalisierung nach Bundeslandgruppen
Für die Analyse der Digitalisierung nach Regionen wurden die Bundesländer in vier Gruppen eingeteilt. Das Resultat für 2020:
Die Region Süd, gebildet aus den Ländern Baden-Württemberg und Bayern, setzt sich mit 110 Punkten an die Spitze, gefolgt von der Bundeslandgruppe Nord – Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein –, die auf 98 Punkte kommt.
Etwas deutlicher unter dem Durchschnitt liegen die ostdeutschen Länder sowie die Bundeslandgruppe West, zu der Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland gezählt werden.
Ein wesentlicher Grund für diese Rangfolge ist das gute Abschneiden des Südens im Bereich Forschungs- und Innovationsaktivitäten. Insbesondere melden die in dieser Region ansässigen Unternehmen weit überdurchschnittlich viele Patente mit Bezug zur Digitalisierung an.
Digitalisierung nach Regionstypen
Schließlich wurde der Digitalisierungsindex für Regionstypen berechnet, die sich anhand der Siedlungsdichte gruppieren. Dabei schneiden die großen Ballungsgebiete wie zum Beispiel Berlin, München und Köln mit im Schnitt 123 Punkten klar am besten ab, während die gering verdichteten ländlichen Räume mit knapp 77 Indexpunkten das Schlusslicht bilden. Dort fallen die Ergebnisse in den unternehmensinternen wie -externen Kategorien unterdurchschnittlich aus. Ein entscheidender Mangel aller ländlichen Räume besteht in der Kategorie Technische Infrastruktur, die unter anderem die Verfügbarkeit von Breitbandinternet erfasst. In diesem Bereich erzielen die Metropolen wiederum die höchsten Punktzahlen.
Der Digitalisierungsindex
Der für das Ausgangsjahr 2020 für Deutschland auf 100 normierte und künftig jährlich fortgeschriebene Index setzt sich zusammen aus einem unternehmensinternen und einem unternehmensexternen Subindex. Unternehmensintern wird die Digitalisierung anhand von fünf Kategorien gemessen: Prozesse, Produkte, Geschäftsmodelle, Qualifizierung sowie Forschungs- und Innovationsaktivitäten. In den unternehmensexternen Subindex gehen ebenfalls fünf Kategorien ein: technische Infrastruktur, administrativ-rechtliche Rahmenbedingungen, Gesellschaft, Humankapital und Innovationslandschaft. Insgesamt sind diesen Kategorien 37 Indikatoren zugeordnet, die durch Normierungsverfahren vergleichbar gemacht werden.Der Digitalisierungsindex ist Teil des Projekts „Entwicklung und Messung der Digitalisierung der Wirtschaft am Standort Deutschland“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Die Projektpartner sind: ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, IW, IW Consult, das Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).