Branchenporträt Lesezeit 4 Min.

Textilindustrie: Hightech statt Polyester-Pulli

Kleidung macht mittlerweile nur noch gut ein Drittel des Umsatzes der Textil- und Modeindustrie in Deutschland aus. Denn neben der Bekleidungsproduktion der international etablierten deutschen Marken zählen zur Branche viele „Hidden Champions“, die die Weltmärkte mit innovativen Produkten beliefern – damit sind eine ganze Reihe neuer Geschäftsmodelle hinzugekommen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die deutsche Textil-und Bekleidungsindustrie mausert sich immer mehr zu einem wichtigen Zulieferer: Im Jahr 2017 summierten sich die Vorleistungen auf mehr als 10 Milliarden Euro.
  • Die Palette der innovativen Produkte reicht von textilen Bauteilen für Flugzeuge und Windkraftanlagen über Baustoffe bis hin zu medizinischen Materialien.
  • Im EU-Vergleich wird die deutsche Textil- und Modeindustrie beim Umsatz nur von der italienischen übertroffen – ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung ist allerdings wesentlich geringer als in Entwicklungs- und Schwellenländern.
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Beim Stichwort Textilien kommen einem viele Produkte in den Sinn, aber Flugzeuge gehören wohl eher nicht dazu. Doch der A380 von Airbus, das weltgrößte Passagierflugzeug, ist nur dank vieler textiler Bauteile so leicht, wie er ist: Sein relativ geringes Leergewicht von 275 Tonnen erreicht der Riese, weil beispielsweise in Rumpf und Flügeln an zahlreichen Stellen sogenannte Verbundwerkstoffe aus Textil verarbeitet wurden – viele von deutschen Herstellern. Dadurch kann das Gewicht um bis zu 30 Prozent reduziert werden und das spart den Fluggesellschaften viel Kerosin und damit Geld.

Der A380 und die Luftfahrtindustrie sind kein Einzelfall: Die deutsche Textil- und Modeindustrie spielt mittlerweile in vielen Wirtschaftszweigen eine große Rolle, weil sie mit ihren Materialien innovative Lösungen ermöglicht.

So produziert die Branche beispielsweise Stents, das sind medizinische Implantate zum Offenhalten von Gefäßen; sie liefert Filter für die Luftreinigung in Kraftwerken oder Verbandsmaterialien mit eingebauter antibakterieller Wirkung für Krankenhäuser.

Auch in Motoren oder in der Bauindustrie finden Produkte der Textilindustrie Anwendung. Denn häufig sind die Materialien einerseits leicht und gut formbar, andererseits langlebig und witterungsbeständig.

Auch in Motoren oder in der Bauindustrie finden Produkte der Textilindustrie Anwendung. Denn häufig sind die Materialien einerseits leicht und gut formbar, andererseits langlebig und witterungsbeständig. Da ist es kein Wunder, dass beispielsweise viele Windkraftanlagen mit textilen Bestandteilen gebaut werden. Generell gilt die Branche als Zulieferindustrie (Grafik):

Die Zulieferungen der hiesigen Textil- und Bekleidungsindustrie an die deutsche Wirtschaft summierten sich im Jahr 2017 auf mehr als 10 Milliarden Euro. Zulieferungen an die deutsche Wirtschaft im Jahr 2017 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Rund 1.400 Betriebe – vor allem Mittelständler – beschäftigen insgesamt 135.000 Mitarbeiter und erwirtschafteten 2017 laut Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie einen Umsatz von 35 Milliarden Euro. Die Schwerpunkte der Industrie liegen im Süden der Republik sowie in Nordrhein-Westfalen (Grafik). Beschäftigte in der Textil-, Bekleidungs- sowie Schuh- und Lederwarenindustrie nach Bundesländern Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Branche behauptet sich im internationalen Wettbewerb dank vielfältiger Innovationen. Dafür sorgen unter anderem 16 Forschungsinstitute mit insgesamt rund 1.400 Mitarbeitern.

Doch auch in den einzelnen Unternehmen werden immer neue Produkte ersonnen – mittlerweile oft mit einem nachhaltigen Ansatz. So nutzt beispielsweise der baden-württembergische Bergsport-Ausrüster Vaude für einige Teile seiner Kollektion Kaffeesatz, für andere alte Fischernetze.

Im Jahr 2015 lagen die Innovationsausgaben der Branche bei 3,5 Prozent des Umsatzes, in der Gesamtwirtschaft betrug die Quote laut dem Forschungsinstitut Wissenschaftsstatistik nur 3 Prozent.

Ausländische Abnehmer spielen eine immer wichtigere Rolle für die hiesigen Hersteller:

Im Jahr 2017 erzielten die deutschen Unternehmen 48 Prozent ihres Umsatzes mit Textilien im Ausland, 2010 waren es erst 42 Prozent.

Apropos Ausland: Im EU-Vergleich spielt Deutschland vorne mit – sowohl in der Textil- als auch in der Bekleidungsindustrie landete es 2016 beim Umsatz auf Platz zwei und musste in beiden Kategorien lediglich Italien den Vortritt lassen.

All diese positiven Kennzahlen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das volkswirtschaftliche Gewicht der Branche im Vergleich zu anderen Industrien in Deutschland überschaubar ist. In anderen Staaten – vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern – hat die Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie eine wesentlich größere Bedeutung.

So geht aus einer Studie der KfW Bankengruppe hervor, dass beispielsweise in Bangladesch 94 Prozent aller Exporte auf die Textilindustrie entfallen, in Kambodscha sind es 73 Prozent.

Europa ist dagegen immer mehr vom Produzenten zum Einkäufer geworden:

Die Textil- und Bekleidungsimporte in die EU haben sich von 2014 bis 2017 von rund 800 auf über 950 Milliarden Euro erhöht.

Hoffnungen, die Digitalisierung würde es der Bundesrepublik ermöglichen, die vor Jahrzehnten verloren gegangenen Textil-Arbeitsplätze zurückzuholen, dürften sich vorerst kaum erfüllen. Denn der hiesige Arbeitsmarkt brummt, Digitalisierungs-Fachkräfte sind rar und die Start-Investitionen für neuartige Fabriken hoch.

Auch der 3-D-Druck wird sich in der deutschen Textil- und Modeindustrie zumindest vorläufig auf Prototypen und kleine Stückzahlen beschränken. Selbst Adidas, das Schuhe mittlerweile per Drucker in Serie fertigt, nutzt das Verfahren – noch – nur für einen verschwindend kleinen Teil seiner Produktion.

Wichtig bleibt indes das „Near-Shoring“: Schnelllebige Trendmode wird in der Nähe großer Märkte produziert – beispielsweise in Mexiko für die USA oder in der Türkei für die EU. Auch die Anrainerstaaten Chinas dürften profitieren – denn selbst, wenn die Löhne in Asien steigen, ist die Zahlungsbereitschaft für eine schnelle und sichere Lieferung des neuesten Chics in China hoch.

Und ohnehin gilt: Wenn die Leistung stimmt, müssen hohe Lohnkosten kein schwerwiegender Nachteil sein – das beweist die deutsche Textil- und Modeindustrie regelmäßig.

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