Tarifkonflikte: Zwölf Monate Verschnaufpause
Im gesamten Zeitraum, den die IW-Auswertung von Tarifkonflikten abdeckt, haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber noch nie so zahm verhalten wie 2017. Dieses Jahr dürfte es allerdings wieder konfrontativer zur Sache gehen.
- Arbeitgeber und Gewerkschaften brauchten 2017 in den 16 ausgewerteten Tarifrunden im Schnitt nur 3,2 Monate, um einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln.
- Das konfliktarme Jahr 2017 steht im deutlichen Kontrast zum besonders konfliktreichen Jahr 2015, als Einigungen durchschnittlich drei Monate länger benötigten.
- Im Jahr 2018 droht wieder mehr Ungemach, unter anderem in der Bauindustrie: Dort will die IG BAU durchsetzen, dass die Wegezeiten zu den Baustellen bezahlt werden und sämtlichen Beschäftigten in Ostdeutschland ein 13. Monatsgehalt zugestanden wird.
So friedlich wie 2017 verliefen die Tarifverhandlungen noch in keinem anderen Jahr der bis zum Jahr 2000 zurückreichenden Konfliktstatistik des Instituts der deutschen Wirtschaft. Demnach brauchten Arbeitgeber und Gewerkschaften in den 16 ausgewerteten Tarifrunden – unter anderem für die Lufthansa, den Einzelhandel und den öffentlichen Dienst der Länder – im Schnitt nur 3,2 Monate, um einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln. Dabei erreichten sie lediglich die Eskalationsstufe 1,2 (Grafik).
Das bedeutet: Meist war die Einigung schon nach wenigen Verhandlungsrunden besiegelt, nur selten kam es zu Streikdrohungen oder Warnstreiks – und kein einziges Mal zu einem regulären Arbeitskampf mit flächendeckenden Streiks und Aussperrungen. Das ist ein großer Kontrast zum bisher konfliktträchtigsten Jahr der IW-Auswertung:
Im Jahr 2015 zogen sich die 17 Tarifrunden durchschnittlich 6,2 Monate hin und eskalierten in neun Fällen bis zum Arbeitskampf.
Unter anderem traten 2015 das Zugpersonal der Bahn, die Lufthansa-Piloten sowie die Erzieher und Erzieherinnen in den kommunalen Kitas in den Ausstand.
Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen den beiden Jahren, wenn man die Konfliktintensität betrachtet. Dafür werden alle – sich teils wiederholenden – Eskalationsstufen einer Tarifrunde aufsummiert. So zeigt sich am besten, mit welch harten Bandagen die Tarifparteien verhandelt haben:
Während 2015 im Branchendurchschnitt 17,8 Konfliktpunkte zusammenkamen, waren es 2017 gerade einmal 3,5 Punkte.
Das Jahr 2017 war aus tarifpolitischer Sicht nicht nur bemerkenswert zahm, sondern geht auch als dasjenige Jahr in die Geschichtsbücher ein, in dem die Lufthansa ihren Zwist mit den Piloten nach sage und schreibe fünf Verhandlungsjahren beigelegt hat. Hätte es dazu nicht bis Dezember gebraucht, wäre die durchschnittliche Verhandlungsdauer 2017 sogar noch geringer ausgefallen.
Ungewohnt kooperativ gab sich Anfang 2017 die Lokführer-Gewerkschaft GDL im Tarifkonflikt mit der Bahn: Die im Dezember 2016 vereinbarte Schlichtung mündete im März 2017 ohne weiteres Säbelrasseln in einen Tarifvertrag für Lokführer und Zugpersonal.
Von den ausgewerteten Tarifkonflikten war der Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen am stärksten umkämpft: In den 5,6 Verhandlungsmonaten gab es gleich mehrere Warnstreiks, sodass insgesamt 26 Konfliktpunkte zusammenkamen - der Spitzenwert für 2017. Im Jahr 2015 jedoch brachte es die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft in den Verhandlungen mit der Deutschen Post AG sogar auf satte 73 Konfliktpunkte.
Das Tarifjahr 2018 wird wieder konfliktreicher
Dass das 2017er Motto „Friede, Freude, Einigung“ im langjährigen Vergleich vorerst eine Ausnahme bleiben dürfte, deutete sich im laufenden Jahr schon an – auch weil es vermehrt um grundsätzliche Fragen geht und darüber intensiver gestritten wird als über Lohnerhöhungen. In der Metall- und Elektro-Industrie etwa, die Anfang Februar ihren Abschluss erzielt hat, kam es über die Forderung der IG Metall nach einem Teillohnausgleich für bestimmte Personengruppen bei einer zeitweiligen 28-Stunden-Woche nicht nur zu Warnstreiks, sondern auch zur juristischen Auseinandersetzung.
Während die Tarifrunden im Jahr 2017 kaum in Konflikte mündeten, sind für 2018 wieder härtere Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften zu erwarten.
Ungemach droht außerdem in der Bauindustrie, in der die IG BAU durchsetzen will, dass die Wegezeiten zu den Baustellen bezahlt werden und sämtlichen Beschäftigten in Ostdeutschland ein 13. Monatsgehalt zugestanden wird.
Und dann ist da noch die Vereinigung Cockpit: Sie erweckt nicht den Eindruck, dass sie nach der Einigung mit der Lufthansa eine Verschnaufpause braucht. Schon vor dem Jahreswechsel hat die Pilotenvertretung – gemeinsam mit anderen europäischen Gewerkschaften – der irischen Fluggesellschaft Ryanair deren ersten Tarifkonflikt beschert. Eine Einigung ist noch nicht in Sicht – auch weil es der Spartengewerkschaft darum geht, ihren Status als ernst zu nehmender Verhandlungspartner zu festigen.
Ob Post, Deutsche Telekom oder öffentlicher Dienst – überall bahnen sich schon jetzt langwierigere Konflikte an. Dazu trägt auch die gute Konjunktur in Deutschland bei, denn sie animiert die Gewerkschaften zu üppigeren Lohnforderungen.
Im Herbst schließlich könnte es bei der Bahn wieder rundgehen: Ab Oktober nehmen die rivalisierenden Gewerkschaften EVG und GDL einen erneuten Anlauf, ihren Rückhalt bei den Arbeitnehmern mit guten Verhandlungsergebnissen zu stärken.