Tarifverhandlungen Lesezeit 4 Min.

Öffentlicher Dienst: Neue Runde, bekanntes Muster

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes eine Lohnerhöhung von 6 Prozent, die kommunalen Arbeitgeber verweisen auf die prekäre Haushaltslage vieler Gemeinden. Eine tarifliche Öffnungsklausel könnte den Konflikt lösen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Gewerkschaft ver.di fordert im öffentlichen Dienst nicht nur eine prozentuale Lohnerhöhung, sondern einen Sockelbetrag für die Beschäftigten.
  • Die Arbeitgeber rechnen dagegen vor, dass die Forderung die Gemeinden jährlich 6,5 Milliarden Euro kosten würde und damit schlichtweg nicht zu finanzieren wäre.
  • Der Abschluss der M+E-Industrie mit seinen Differenzierungsklauseln könnte als Vorbild dienen, um der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen der Kommunen Rechnung zu tragen.
Zur detaillierten Fassung

Im öffentlichen Dienst wiederholt sich jährlich das gleiche Tarifritual: Die Gewerkschaft fordert nicht nur eine prozentuale Lohnerhöhung, sondern einen Sockelbetrag für die Beschäftigten. So sollen die Entgelte in diesem Jahr um 6 Prozent, mindestens aber um 200 Euro steigen. Dies würde in der untersten Entgeltgruppe - je nach Erfahrungsstufe - ein Lohnplus von 10,3 bis 11,4 Prozent bedeuten.

Ver.di begründet seine Forderungen zum einen mit der guten Konjunktur, die auch die Einnahmen des Staates sprudeln lässt. Zum anderen beklagt die Gewerkschaft einen Lohnrückstand gegenüber anderen Branchen. Die Arbeitgeber rechnen dagegen vor, dass die Forderung die Gemeinden jährlich 6,5 Milliarden Euro kosten würde und damit schlichtweg nicht zu finanzieren wäre. Außerdem seien die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst seit 2008 stärker gestiegen als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt und es sei falsch, überproportionale Lohnerhöhungen für die unteren Entgeltgruppen zu fordern. Stattdessen müsse verstärkt an die oberen Entgeltgruppen gedacht werden, weil die Kommunen verstärkt Fachkräfte brauchten.

Die Tarifpartner im öffentlichen Dienst sollten sich den Abschluss der M+E-Industrie zum Vorbild nehmen. Dort wird ein Teil der Entgeltsteigerung in Form eines Einmalbetrags ausgezahlt, der differenziert werden kann.

Da die Punkte Lohnrückstand, Sockelbetrag und Haushaltslage in den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes Jahr für Jahr wiederkehren, lohnt eine genauere Analyse:

Lohnrückstand. Ver.di-Chef Bsirske beziffert den Rückstand, den die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gegenüber dem Durchschnitt der Beschäftigten anderer Branchen haben, auf 4 Prozentpunkte. Er sagt allerdings nicht, welchen Zeitraum er dabei im Auge hat.

Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst und in der Gesamtwirtschaft seit 2000 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Betrachtet man die Entwicklung seit der Wiedervereinigung, hinkt der öffentliche Dienst der Gesamtwirtschaft sogar um über 11 Prozentpunkte hinterher. Beginnt man die Rechnung erst im Jahr 2000, schmilzt die Differenz allerdings auf magere 1,1 Prozentpunkte (Grafik). Wählt man jedoch – wie die kommunalen Arbeitgeber - einen noch späteren Zeitpunkt, hat der öffentliche Dienst sogar die Nase vorn:

Seit 2008 sind die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst um 28,5 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft aber nur um 25,3 Prozent.

Ob der öffentliche Dienst noch immer einen Lohnrückstand hat, liegt also im Auge des Betrachters. Unbestritten ist jedoch, dass der öffentliche Dienst in den vergangen Jahren spürbar aufgeholt hat.

Sockelbetrag. Die Forderung nach einer stärkeren Anhebung der unteren Lohngruppen taucht zwar immer wieder auf, hat sich aber in der Struktur des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) bislang kaum niedergeschlagen: Ende 2007 betrug das unterste Entgelt des TVöD 26,3 Prozent des höchsten Entgelts, aktuell sind es 27,0 Prozent.

Damit wurde das unterste Entgelt im Verlauf der vergangenen zehn Jahren um 2,7 Prozent stärker angehoben als das höchste, also um etwa ein Viertel Prozent pro Jahr.

Wo der größere Anpassungsbedarf besteht, ist schwer zu beantworten. Das tarifliche Einstiegsgehalt im öffentlichen Dienst liegt derzeit bei 1.751 Euro monatlich, das Endgehalt bei 6.480 Euro. Im Vergleich zu anderen Branchen liegt vor allem das Endgehalt eher hoch.

Übertarifliche Bezahlung die Ausnahme

Zum Vergleich: Im privaten Bankgewerbe werden derzeit maximal 4.823 Euro monatlich gezahlt, in der Chemischen Industrie (Nordrhein) 6.163 Euro. Allerdings ist es in der Privatwirtschaft üblich, qualifizierte Mitarbeiter über- oder außertariflich zu vergüten. Bei den Banken ist das sogar eine weit verbreitete Praxis. Im öffentlichen Dienst ist die übertarifliche Bezahlung dagegen die Ausnahme. Die haushaltsrechtlichen Vorgaben der Gemeinde- und Landkreisordnungen lassen es nur in besonders begründeten Einzelfällen zu.

Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, dass die Lohnspreizung im öffentlichen Dienst vergleichsweise groß ist. Wo die Tarifbindung sehr hoch ist und übertarifliche Abweichungen selten vorkommen, muss die Tariflohnstruktur die Marktsituation besonders gut abbilden. Ob sie dies tut, zeigt sich daran, ob die Branche genügend Fachkräfte anzieht. Da der öffentliche Dienst nur schwer Fachkräfte findet – laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers werden im Jahr 2030 bundesweit 194.000 Lehrkräfte sowie 276.000 Verwaltungsfachleute und Büroangestellte fehlen - sind Sockelbeträge wenig hilfreich.

Haushaltslage. So wie ein Branchenarbeitergeberverband sowohl wirtschaftlich schwächere als auch stärkere Betriebe organisiert, vertritt der Verband der kommunalen Arbeitgeber unterschiedlich leistungsstarke Kommunen. Um dies abzubilden, müssen Tarifverträge Mindestvereinbarungen festlegen, die von der Mehrzahl der betroffenen Mitglieder erfüllt werden können.

Darüber hinaus haben sich in der Privatwirtschaft tarifliche Öffnungs- und Differenzierungsklauseln als hilfreich erwiesen. Sie erlauben entweder, das Tarifniveau im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu unterschreiten, oder Tariflohnerhöhungen zu verschieben, abzusenken oder komplett zu streichen.

Ein Blick auf den jüngsten Tarifabschluss in der Metall- und Elektro-Industrie zeigt, wie das geht: Dort wurde ein Teil der Entgeltsteigerung in Form eines Einmalbetrags ausgezahlt, der differenziert werden kann (siehe: „Der neue Tarifvertrag in der M+E-Industrie steht“). Diesen Ansatz sollten sich auch die Tarifpartner im öffentlichen Dienst zu Eigen machen.

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