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Selbstständigkeit fördert soziale Durchlässigkeit

Lange galt Deutschland als weitgehend durchlässige Gesellschaft mit guten Aufstiegsmöglichkeiten. Doch eine OECD-Studie stellte der Bundesrepublik 2018 ein schlechtes Zeugnis aus. Das Problem: Die Daten bezogen sich nur auf abhängig Beschäftigte. Dabei bietet gerade die Selbstständigkeit große Möglichkeiten, wie eine aktuelle IW-Untersuchung zeigt.

Kernaussagen in Kürze:
  • Wie groß die Chancen für Kinder stehen, einen besser bezahlten Job auszuüben als ihre Eltern, hängt auch von den Gegebenheiten im jeweiligen Land ab.
  • Eine IW-Studie unterstreicht, dass berufliche Selbstständigkeit einen positiven Einfluss auf die soziale Durchlässigkeit hat,
  • Das Bruttojahreseinkommen von selbstständigen westdeutschen Männern im Alter von 35 bis 55 Jahren ist von 2000 bis 2019 um 52 Prozent gestiegen. Abhängig Beschäftigte mussten dagegen Einkommensverluste hinnehmen.
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Die Kinder sollen es einmal besser haben. Alle Eltern sagen diesen Satz wahrscheinlich früher oder später in ihrem Leben. Wie groß die Chancen für den Nachwuchs stehen, einen besser bezahlten Job auszuüben, hängt nicht zuletzt von den Gegebenheiten im jeweiligen Land ab. Um zu ermitteln, wie durchlässig eine Gesellschaft ist, nutzen Forscher den sogenannten intergenerationalen Elastizitätskoeffizienten. Dabei wird ein Zusammenhang zwischen den Arbeitseinkommen der Eltern und ihrer Kinder hergestellt. Der Koeffizient liegt in aller Regel zwischen null (hohe Chancengleichheit) und eins (geringe Chancengleichheit).

In früheren Studien lag der Wert für westdeutsche Vater-Sohn-Paare in einem Bereich von 0,2 bis 0,4.

Ein Wert von 0,3 kann beispielsweise so interpretiert werden, dass 30 Prozent der Einkommensunterschiede zwischen den Vätern auf die Söhne übertragen werden.

Die OECD hat allerdings im Jahr 2018 eine Studie veröffentlicht, in der Deutschland mit einem Wert von 0,55 deutlich schlechter abschneidet. Für diesen Extremwert ist vor allem eine unübliche Dateneinschränkung verantwortlich. So bezieht sich die OECD-Studie lediglich auf abhängig Beschäftigte.

Daraus lässt sich bereits ableiten, dass die berufliche Selbstständigkeit eine große Rolle für die soziale Durchlässigkeit spielt. Das IW wollte es genauer wissen und hat mithilfe von Daten des Sozio-oekonomischen Panels erstmals den Einfluss der Selbstständigkeit auf die Mobilität der Arbeitseinkommen isoliert und systematisch untersucht.

Die Selbstständigkeit hat in Deutschland laut IW-Studie erwiesenermaßen einen deutlich positiven Effekt auf die Einkommensmobilität.

Die Analyse erstreckt sich über den langen Betrachtungszeitraum von 1984 bis 2019. Da sich die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen in dieser Zeit deutlich verändert hat, wurden sie nicht in die Auswertung einbezogen, um eine mögliche Verzerrung zu vermeiden. Genauso verhält es sich mit Arbeitnehmern in Ostdeutschland, wo sich die Arbeitsbedingungen und -einkünfte durch das Ende der DDR grundlegend verändert haben. Im Fokus stehen demnach westdeutsche Männer zwischen 35 und 55 Jahren.

Im Vergleich der Selbstständigen mit den abhängig Beschäftigten fällt zunächst auf, dass Erwerbstätige, die ihr eigener Chef sind, im Schnitt einen höheren Bildungsabschluss haben. Damit einher gehen bessere Verdienstchancen (Grafik):

Das inflationsbereinigte Bruttojahreseinkommen von Selbstständigen ist von 2000 bis 2019 um durchschnittlich 52 Prozent auf 82.600 Euro gestiegen.

Durchschnittliches jährliches reales Bruttoerwerbseinkommen westdeutscher Männer im Alter von 35 bis 55 Jahren in Preisen von 2015 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Einkommen der Angestellten sanken im selben Zeitraum real um 6,5 Prozent. Für Arbeiter betrug das Minus sogar 11,1 Prozent.

In einem weiteren Schritt erstellten die IW-Forscher sechs Modellvarianten, in denen sie Schritt für Schritt die Selbstständigen aus ihrem Datensatz herausrechneten. Das Ergebnis: Die Einkommensmobilität sinkt sukzessive und landet schließlich bei einem Wert von 0,54 – fast exakt der OECD-Wert.

Die Selbstständigkeit hat somit erwiesenermaßen einen deutlich positiven Effekt auf die Einkommensmobilität. Die Forscher fanden zudem heraus, dass sich dieser Effekt verstärkt, wenn Väter und Söhne jeweils überwiegend unterschiedlichen Erwerbsarten nachgegangen sind.

Doch wie steht Deutschland beim Elastizitätskoeffizienten im internationalen Vergleich da? Für einen Spitzenplatz reicht es nicht (Grafik):

Die besten Aufstiegsmöglichkeiten bieten mit Dänemark, Norwegen und Finnland drei nordeuropäische Länder.

Intergenerationaler Elastizitätskoeffizient der Arbeitseinkommen von Vätern und Söhnen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Bundesrepublik landet im Mittelfeld, bietet aber deutlich bessere Voraussetzungen als beispielsweise Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich.

Das alte Credo der Vereinigten Staaten „vom Tellerwäscher zum Millionär“ scheint nicht allzu gut zu funktionieren. Auch in den USA sind die Aufstiegschancen eingeschränkt und deutlich schlechter als in Deutschland.

Vergleicht man die Werte der OECD-Studie mit den obigen Erkenntnissen, fällt auf, dass die Unterschiede in Deutschland besonders groß sind. Die Gruppe der Selbstständigen hat demnach in Deutschland eine besondere Bedeutung für die Einkommensmobilität insgesamt. Das kann unter anderem damit zusammenhängen, dass die Gruppe hierzulande die freien Berufe umfasst, also auch Ärzte, Notare und Rechtsanwälte. Gleichzeitig fällt der Anteil der unterdurchschnittlich verdienenden Soloselbstständigen – also der Selbstständigen ohne eigene Angestellte – in Deutschland geringer aus als in anderen Ländern.

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