Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Interview Lesezeit 5 Min.

„Nach der US-Wahl kehrt die Zivilisation ins Weiße Haus zurück“

Die Präsidentenwahl in den USA wurde zur Zitterpartie für den demokratischen Herausforderer Joe Biden – doch er hat es geschafft. Darüber, welchen Schaden Donald Trump in den vergangenen Jahren verursacht hat, was das Wahlergebnis bedeutet und wie die Zukunft mit einem Präsident Biden aussehen könnte, sprach der iwd mit Michael Werz. Der Experte für Außenpolitik arbeitet am Center for American Progress in Washington D. C., ist Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke und aktuell Fellow der Stiftung Mercator.

Kernaussagen in Kürze:
  • Außenpolitikexperte Michael Werz betont im iwd-Interview, dass der Sieg von Joe Biden bei den US-Wahlen viele Möglichkeiten bietet.
  • Für ihn wird es zentral sein, dass Europa und die USA eine gemeinsame Position gegenüber China finden und sich gemeinsam im pazifischen Raum engagieren.
  • Ein Ende des Trumpismus ist für Werz indes nicht absehbar, vielmehr wird es seiner Meinung nach dauern, bis die von Trump verursachten Schäden repariert sind.
Zur detaillierten Fassung

Ist die US-Wahl in Ihrem Sinne ausgegangen?

Das ist sie. Ich bin erleichtert, dass die Zivilisation ins Weiße Haus zurückkehrt.

Was bedeutet dieses Wahlergebnis für die transatlantischen Beziehungen?

Ob für die USA, für Deutschland oder für Europa: Die Wahl Bidens ist ein riesiger Fortschritt mit vielen Möglichkeiten.

Europa und die USA müssen sich vor allem gemeinsam gegenüber China positionieren.

Allerdings wird es keine Rückkehr zur transatlantischen Politik der 1990er Jahre geben, sondern es bedarf einer völlig neuen Agenda. Es wird immer wieder auch um die Zusammenarbeit mit Nationen gehen, die im klassischen Sinne nicht zum transatlantischen Raum gehören.

Michael Werz ist Experte für Außenpolitik und arbeitet am Center for American Progress in Washington D. C.; Foto: privat Und nicht zu vergessen: Viele Akteure in Europa haben sich in ihrer schlichten Anti-Trump-Position recht behaglich eingerichtet und sind nicht vorbereitet auf Kooperationsanfragen, die nach dem 20. Januar ganz sicher aus den USA kommen werden, und auf die Notwendigkeit, sich global zu positionieren.

Was muss Europa und was muss Deutschland tun, um Biden und Amerika zu unterstützen?

Es braucht vor allem eine gemeinsame Positionierung gegenüber China, um den unaufhaltsamen Aufstieg dieses Landes handhabbar zu machen. Dabei haben die Amerikaner und in der EU allen voran die Deutschen naturgemäß unterschiedliche Interessen – die deutsche Industrie, vor allem die Autobauer und -zulieferer, haben in China ja einen großen Markt.

Der Pazifikraum ist wichtig für das transatlantische Verhältnis

Das transatlantische Verhältnis wird sich letztlich im Pazifikraum beweisen müssen und nicht nur in der Atlantik-Region: Es wird darum gehen, Japan, Taiwan und Südkorea zu unterstützen; ebenso müssen die kleineren aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften wie Vietnam oder Indonesien ernst genommen werden mit einem normativen Entwurf einer globalen Ordnung, die demokratische Standards, die Menschenrechte und die Soziale Marktwirtschaft ins Zentrum rückt.

Als die US-Nachrichtensender Biden zum Wahlsieger erklärten, gratulierten viele westliche Regierungschefs schnell und wirkten ziemlich erleichtert. Warum haben sie Trump nicht schon während seiner Amtszeit viel öfter die Stirn geboten?

Klar, als Privatperson hätte ich mir das natürlich gewünscht. Aber ich habe Verständnis dafür, dass das nicht geschehen ist. Schließlich müssen Regierungen im Sinne ihrer Bürger, ihrer politischen Interessen und ihrer Wirtschaft handeln. Da waren und sind die Abhängigkeiten gegenüber den USA groß. Es gab auf so vielen Ebenen schier unlösbare und bedrohliche Konflikte mit dem erratischen Donald Trump – vom Handelskrieg bis hin zur Infragestellung der NATO-Verpflichtungen.

Dennoch hat die deutsche Kanzlerin Trump gegenüber von Anfang an ihre Kriterien für eine Zusammenarbeit übermittelt – mit Blick auf Menschenrechte und Umgangsformen beispielsweise. Das ärgert Trump und viele in seiner Administration bis heute.

Autoritarismus ist eine ansteckende Krankheit.

Einen weiteren Aspekt dürfen wir mit Blick auf das Verhältnis von Trump zur Europäischen Union, die ja selbst erheblichen internen politischen Spannungen ausgesetzt ist, nicht vergessen: Autoritarismus ist eine ansteckende Krankheit. Viele Politiker in Ungarn und Polen fanden in Trump einen politischen Verwandten, weil sie sich unter seinem Einfluss bei gleichzeitiger EU-Dauersubventionierung einen illegitimen Freiraum der Zerstörung von Rechtstraditionen verschaffen konnten. Entsprechend schwierig war es für Europa, mit einer Stimme gegenüber der US-Administration aufzutreten.

Mit Joe Biden wird die neue US-Administration die EU nun dabei unterstützen, gegen die antidemokratischen Tendenzen beispielsweise in der Türkei, aber eben auch in Polen und Ungarn konsequenter vorzugehen.

Viel will Biden anders machen als Trump, manches aber auch nicht – Stichwort „Buy American“.

Das halte ich für Unfug. „Buy American“ war vor allem eine Wahlkampfposition, um sich im Mittleren Westen der USA keine Blöße zu geben. Biden wird keine protektionistische Position einnehmen. Er ist ein Vollblut-Außenpolitiker, sein Team ist ganz stark allianz-orientiert.

Hinzu kommt: Je proaktiver Deutschland und Europa jetzt agieren, desto mehr Einfluss werden sie auf die USA nehmen können.

Aber Biden wird von Europa und vor allem von Deutschland mehr Engagement in der internationalen Sicherheitspolitik fordern.

Es ist ja auch peinlich, dass in Deutschland immer noch die 2-Prozent-Diskussion beim NATO-Beitrag geführt wird. Allerdings ist es auch wichtig, dass man umfassender über nachhaltige Sicherheitsstrategien nachdenkt: Neben den Ausgaben fürs Militär sind auch die Investitionen in Entwicklungshilfe und internationalen Klimaschutz von großer Bedeutung. Denn all diese Bereiche sind zentral, um globale Instabilität einzuhegen und Menschenrechte durchzusetzen.

Kein Ende des Trumpismus in den USA

Und wenn man die deutschen Aufwendungen in diesen drei Positionen ansieht, dann ist der Beitrag zu internationaler Stabilität und Nachhaltigkeit pro Kopf der Bevölkerung sogar um einiges höher als das, was die USA lockermachen.

Die amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten. Ist mit Biden das Ende des sogenannten Trumpismus gekommen?

Eher im Gegenteil. Trump hat mit 70 Millionen Stimmen dieses Mal mehr Wähler mobilisiert als Obama vor acht Jahren. Das ist Grund zur Sorge. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass Biden in seinen Reden als President Elect die Hand in Richtung aller Amerikaner ausgestreckt hat.

Und wie steht es um die republikanische Partei?

Leider nicht gut. Es sieht so aus, als ob die traditionsreiche republikanische Partei wirklich zu einer Donald-Trump-Partei wurde und sich vom rechten bis rechtsextremen Rand des eigenen Spektrums dominieren lässt.

Die ersten Signale nach der Wahl – zum Beispiel vom Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell – deuten keineswegs darauf hin, dass die Republikaner bereit sind, im Interesse des Landes Kompromisse zu suchen, obwohl sie die Wahlen deutlich verloren haben. Aus Angst vor den eigenen, von Trump fanatisierten und mobilisierten Wählern könnte sich wieder eine fatale Blockadepolitik entwickeln wie einst unter Obama.

Totalausfall der Republikaner bringt das ganze System ins Wanken

Hinzu kommt: Was in den vergangenen Jahren durch Trump angerichtet wurde, ist nicht so schnell ungeschehen zu machen. Wir haben eine Verwahrlosung der politischen Debatten erlebt, die Politisierung von Justiz und Sicherheitsbehörden und schamlose Selbstbereicherung sowie indirekte und direkte Aufrufe zu politischer Gewalt.

Die ehrwürdige Verfassung der Vereinigten Staaten sieht einen solchen Totalausfall der konstitutionellen Kontrollpflichten einer der beiden Parteien nicht vor. Das bringt nun das ganze System ins Wanken.

Am 20. Januar 2021 soll Joe Biden vereidigt werden. Wird es dazu kommen oder wird die Lage in den USA weiter eskalieren?

Er wird am 20. Januar vereidigt werden. Regional mag es Proteste geben, vielleicht sogar gewaltsame. Aber nicht im größeren Rahmen. Denn selbst in den konservativsten Bundesstaaten ist es unvorstellbar, dass die politisch Verantwortlichen nicht den Hammer auspacken und notfalls die Nationalgarde aufmarschieren lassen, sollten rechtsextreme weiße Milizen Gewalt ausüben.

Allen ist klar, dass diese Sollbruchstelle der amerikanischen Gesellschaft nicht weiter strapaziert werden darf.

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