Mehr Wohlstand für alle
In Deutschland hält sich hartnäckig das Vorurteil, die Einkommen seien nicht nur ungleich verteilt, sondern die Kluft zwischen Arm und Reich werde auch immer größer. Eine neue IW-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es in der Bundesrepublik – wie in jeder Gesellschaft – zwar durchaus Probleme gibt, das allgemeine Wohlstandsniveau aber gestiegen und die Verteilung von Einkommen und Vermögen stabil ist. Zudem gelingt mehr Bundesbürgern der untersten Einkommensgruppe der Aufstieg.
- Die Einkommens- und Vermögenslage in Deutschland ist besser als vor einigen Jahren.
- Die verfügbaren Haushaltseinkommen sind seit 1991 um 20 Prozent gestiegen.
- Rund 60 Prozent der Deutschen aus der untersten Einkommensgruppen sind seit 2009 aufgestiegen.
Ein Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre zeigt den permanenten Wandel, dem die deutsche Gesellschaft unterworfen war und ist. Die Wiedervereinigung, die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung, die schwere Wirtschaftskrise 2009, der demografische Wandel und die Flüchtlingsmigration um 2015 sind Beispiele dafür – und jedes einzelne davon hat einen mehr oder weniger großen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen, letztlich also auch auf das Einkommen jedes Einzelnen.
- Die Markteinkommen der Haushalte, also im Wesentlichen die Einkommen aus abhängiger oder selbstständiger Arbeit, aus Kapitalerträgen sowie aus Vermietung und Verpachtung, sind – unter Einberechnung der Inflation – von rund 24.100 Euro im Jahr 1991 auf durchschnittlich 28.600 Euro im Jahr 2017 gestiegen, also real um 19 Prozent. Diese Einkommen sind bedarfsgewichtet, es wird also zum Beispiel berücksichtigt, dass Kinder tendenziell weniger Geld zur Deckung ihrer Bedürfnisse brauchen als Erwachsene.
In Ostdeutschland liegt das durchschnittliche Markteinkommen allerdings mit 22.145 Euro auch 30 Jahre nach der Wende noch immer deutlich unter dem westdeutschen Niveau von 29.955 Euro.
In der untersten von fünf Einkommensgruppen ist die Einkommensmobilität seit der Wiedervereinigung tendenziell gestiegen – in allen anderen Gruppen hat sie abgenommen.
Auch der Gini-Koeffizient, ein Maß für die Erfassung der Einkommensungleichheit, zeigt die unterschiedliche regionale Entwicklung in Deutschland. Ein Koeffizient von 0 bedeutet, dass alle Personen das gleiche Einkommen erhalten, ein Wert von 1 bedeutet dagegen, dass eine Person das gesamte Einkommen auf sich vereint und alle anderen nichts bekommen.
Für Gesamtdeutschland ist der Gini-Koeffizient von 0,41 im Jahr 1991 auf 0,48 im Jahr 2017 gestiegen, wobei diese Verschlechterung im Wesentlichen in den 1990er und den frühen 2000er Jahren passierte – seit 2005 ist der Koeffizient im Großen und Ganzen konstant.
Während sich der westdeutsche Gini-Koeffizient parallel zum gesamtdeutschen Wert entwickelt hat, fällt der ostdeutsche Verlauf markanter aus: Kurz nach der Wende waren die Markteinkommen in Ostdeutschland noch gleichmäßiger verteilt als die in Westdeutschland – der Gini-Koeffi-zient betrug 0,37 Punkte, im Westen waren es 0,41 Punkte.
Aufgrund der großen gesellschaftlichen Veränderungen ist der ostdeutsche Gini-Koeffizient dann bis zum Jahr 2005 auf 0,55 Punkte – also um fast die Hälfte – gestiegen und lag auch 2017 mit 0,5 Punkten noch über dem westdeutschen Wert von 0,47.
- Die verfügbaren Haushaltseinkommen ergeben sich aus den Markteinkommen einschließlich öffentlicher Transfers wie Renten sowie den geschätzten geldwerten Vorteilen aus selbst genutztem Wohnraum, abzüglich der zu zahlenden Steuern und Sozialabgaben. Diese Haushaltseinkommen geben an, wie viel Geld den Menschen tatsächlich zur Verfügung steht. Deutschlandweit ist das bedarfsgewichtete und inflationsbereinigte Haushaltsnetto von 1991 bis 2017 um rund 20 Prozent gestiegen.
Teilt man die Haushalte in zehn gleich große Einkommensgruppen und schaut sich an, wie sich die durchschnittlichen Einkommen seit dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 entwickelt haben, dann zeigt sich (Grafik):
Von 2005 bis 2017 hat sich das fünfte Dezil, die mittlere Einkommensgruppe, mit einem Plus von 12 Prozent am besten entwickelt – die obersten 10 Prozent, die Einkommensstärksten, kamen auf ein Plus von 8 Prozent.
Obwohl der Zuwachs an verfügbarem Haushaltseinkommen in den Jahren 1991 bis 2017 mit 29 Prozent in Ostdeutschland wesentlich dynamischer ausgefallen ist als im Westen (18 Prozent), gibt es beim Niveau nach wie vor große Unterschiede: In Westdeutschland betrug das verfügbare Haushaltseinkommen 2017 rund 26.700 Euro, in Ostdeutschland waren es 21.600 Euro.
Andererseits ist festzustellen, dass die Wohlstandszuwächse in jüngster Zeit auf beiden Seiten wieder ähnlich verlaufen. Von 2014 bis 2017 sind die Einkommen in Ostdeutschland im Schnitt um rund 7,5 Prozent per annum gestiegen, in Westdeutschland betrug der jähr-liche Anstieg 6,3 Prozent.
Niedrige Einkommen vor allem in Ostdeutschland
Beim langfristigen Verlauf der verfügbaren Einkommen ist jedoch zu berücksichtigen, dass es immer wieder Änderungen der Daten gegeben hat, beispielsweise um die Migration besser zu erfassen – und Menschen mit einem Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich oft im Bereich der Niedrigeinkommen zu finden, haben also weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens zur Verfügung. Nicht zuletzt deshalb ist die Quote derer, die unterhalb dieser Grenze liegen, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Hatten im Jahr 1991 nur rund 11 Prozent der Menschen in Deutschland ein niedriges Einkommen, waren es 2015 bereits mehr als 16 Prozent – seitdem verharrt die Quote weitgehend auf diesem Niveau.
Bei den Niedrigeinkommensquoten gibt es nicht nur große Unterschiede zwischen den Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, sondern auch zwischen Ost- und Westdeutschland. So liegt die Quote in den ostdeutschen Ländern seit der Vereinigung ununterbrochen über der im Westen. Zwar hat es nach der Wende eine gewisse Annäherung gegeben, die aber kam spätestens 2002 zum Stillstand – und bis 2005 sind die Unterschiede sogar wieder größer geworden. Seitdem haben sich die Niedrigeinkommensquoten ähnlich entwickelt, sodass die Niveauunterschiede nach wie vor groß sind:
Im Jahr 2017 mussten 22 Prozent der Menschen in Ostdeutschland mit weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens zurechtkommen – in Westdeutschland waren es 15 Prozent.
Diese Kluft schmilzt allerdings, wenn die unterschiedlichen Preisniveaus in Ost und West berücksichtigt werden.
All diese Zahlen sagen jedoch nichts darüber aus, ob sich einzelne Personen im Laufe der Zeit finanziell verbessern konnten, ob die deutsche Gesellschaft also durchlässig ist.
- Die Einkommensmobilität misst, ob die materiellen Aufstiegschancen in Deutschland gewahrt sind oder nicht. Dazu wird untersucht, ob jemand, der in einem bestimmten Jahr in einer bestimmten Einkommensgruppe war, ein paar Jahre später immer noch in dieser Gruppe verharrt oder auf- beziehungsweise abgestiegen ist. Ein Vergleich der beiden Zeiträume 1991 bis 1999 und 2009 bis 2017 zeigt (Grafik):
In der untersten von fünf Einkommensgruppen ist die Einkommensmobilität seit der Wiedervereinigung tendenziell gestiegen – in allen anderen Gruppen hat sie abgenommen.
So hatten im Jahr 1999 rund 54 Prozent derjenigen, die 1991 in der untersten Einkommensgruppe waren, den Aufstieg in eine höhere Gruppe geschafft – von 2009 bis 2017 gelang dies schon 60 Prozent der Bürger aus dem untersten Einkommensquintil.