Einkommen und Vermögen Lesezeit 4 Min.

Gini-Koeffizient: Deutschland in guter Gesellschaft

Im Vergleich zu anderen Industrienationen ist die Ungleichheit der Nettoeinkommen in Deutschland unterdurchschnittlich ausgeprägt. Die privaten Vermögen sind dagegen ungleicher verteilt als im Länderdurchschnitt. Damit sieht es in Deutschland ähnlich aus wie in anderen europäischen Staaten mit hohem Wohlstand, umfassender sozialer Sicherung und geringer Einkommensungleichheit.

Kernaussagen in Kürze:
  • Deutschland zählt noch immer zu den Nationen, in denen die Ungleichheit der Nettoeinkommen eher unterdurchschnittlich ausgeprägt ist, wie eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt.
  • Der Gini-Koeffizient der Markteinkommen ist etwas schlechter. Tendenziell gilt: Je höher – wie in Deutschland – die gesetzliche Rente ist, desto ungleicher sind die Markteinkommen verteilt.
  • Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland relativ hoch. Dies hängt allerdings auch mit dem hohen Wohlstand und der umfassenden staatlichen Absicherung zusammen.
Zur detaillierten Fassung

Der italienische Statistiker Corrado Gini starb 1965 in Rom. Für die Wirtschaftswissenschaft ist er allerdings unsterblich – er entwickelte den oft genutzten Gini-Koeffizienten, der beziffert, wie ungleich die Einkommen in einer Volkswirtschaft verteilt sind: Der Koeffizient nimmt Werte zwischen null und eins an. Je höher er liegt, desto ungleicher ist die Verteilung. Für Deutschland lag der Gini-Koeffizient der Nettoeinkommen, also der Einkommen nach Steuern und Sozialbeiträgen und zuzüglich staatlicher Renten- und Transferzahlungen, im Jahr 2015 – das ist der aktuellste Stand – bei 0,29. Damit waren die Einkommen in der Bundesrepublik zuletzt ungleicher verteilt als beispielsweise Anfang der 1990er Jahre. Allerdings hat sich der Koeffizient seit 2005 nicht mehr signifikant erhöht. Zudem zählt Deutschland noch immer zu den Nationen, in denen die Ungleichheit eher unterdurchschnittlich ausgeprägt ist, wie eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Dieser Befund fällt noch deutlicher aus, wenn man die Bevölkerungsgröße der Länder berücksichtigt.

Ungleichheit der Einkommen ist in Südeuropa relativ hoch

Deutlich höher als in Deutschland ist die Ungleichheit der Nettoeinkommen in Südeuropa und in den baltischen Staaten. Die Slowakei, Slowenien und Norwegen sind mit Koeffizienten von jeweils unter 0,25 dagegen egalitärer.

Mit einem Gini-Koeffizienten von 0,39 sind die Nettoeinkommen in den USA ein ganzes Stück ungleicher verteilt als in den meisten europäischen Staaten.

Ganz anders fällt der Vergleich mit den USA aus, wenn nicht die Netto-, sondern die Markteinkommen herangezogen werden – also die Einkommen vor staatlicher Umverteilung durch Steuern, Sozialbeiträge, Transfers und die gesetzliche Rente. Dann steigt der Gini-Koeffizient für Deutschland auf rund 0,5 und liegt damit nahezu auf einem Niveau mit dem der Vereinigten Staaten.

Deutschland zählt noch immer zu den Nationen, in denen die Ungleichheit der Nettoeinkommen eher unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Bei den Nettovermögen ergibt sich allerdings ein gegenteiliges Bild.

Verantwortlich dafür ist vor allem die deutlich umfassendere Alterssicherung in Deutschland: Während viele ältere Bundesbürger bereits ihre Rente genießen, die nicht als Markteinkommen zählt, gehen ältere Amerikaner häufig noch arbeiten und erwirtschaften weiterhin ein Markteinkommen. Tendenziell gilt:

Je höher die gesetzliche Absicherung im Alter ist, desto ungleicher sind die Markteinkommen verteilt.

Betrachtet man dagegen nur die Markteinkommen der unter 60-Jährigen, ist die Ungleichheit in den USA wieder deutlich größer.

Insgesamt reduzieren die gesetzliche Rente, Sozialtransfers, Einkommensteuer und Sozialbeiträge die Ungleichheit in Deutschland um mehr als 40 Prozent, in den USA um weniger als ein Viertel.

Ungleiche Vermögensverteilung ist auch eine Folge der sozialen Absicherung

Während Deutschland also mit guten Werten bei der Verteilung der Nettoeinkommen punkten kann, wirken die Ergebnisse bei den Nettovermögen eher alarmierend: Hier nimmt der Gini-Koeffizient einen Wert von 0,79 an – die reichsten 10 Prozent der Haushalte besitzen 65 Prozent der Nettovermögen. Korrelation der Gini-Koeffizienten von Einkommen und Vermögen in europäischen Ländern Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein Teil des Befunds lässt sich allerdings damit erklären, dass das angesparte Vermögen wesentlich stärker vom Lebensalter abhängt als die Einkommen. Dies gilt aber ebenso für andere Länder. Doch auch im europäischen Vergleich liegt Deutschland in Sachen Ungleichheit der Vermögen auf den hinteren Rängen (Grafik). Für die Höhe der Vermögensungleichheit sind allerdings auch folgende Zusammenhänge maßgeblich:

1. Je wohlhabender ein Land ist, desto höher fällt die Vermögensungleichheit aus. Der entsprechende Korrelationskoeffizient – er setzt das kaufkraftbereinigte Medianeinkommen und die Vermögensungleichheit ins Verhältnis – liegt für die in der IW-Studie betrachteten europäischen Länder bei 0,66. Der Koeffizient kann Werte zwischen minus eins und plus eins annehmen, der positive Zusammenhang zwischen beiden Größen ist also deutlich.

2. Je stärker ein Staat die Bürger absichert, desto höher ist tendenziell die Vermögensungleichheit. Denn bei einer umfassenden sozialen Absicherung sind zum einen die Anreize geringer, sich mittels Vermögensbildung selbst ein Polster zu schaffen. Zum anderen reduzieren die zur Finanzierung erforderlichen Abgaben vor allem für Geringverdiener den Spielraum, selbst zusätzlich vorzusorgen. Deshalb überrascht es nicht, dass sogar Staaten wie Norwegen oder Schweden eine beachtliche Vermögensungleichheit aufweisen – obgleich die Nettoeinkommen dort besonders gleich verteilt sind. Geringe Ungleichheitswerte sowohl beim Einkommen als auch bei den Vermögensdaten liegen derzeit für Ungarn, die Slowakei und Kroatien vor. Allerdings weisen diese Staaten im Europavergleich auch nur ein geringes allgemeines Wohlstandsniveau und eine begrenzte soziale Absicherung auf. So gab beispielsweise die Slowakei im Jahr 2015 lediglich etwas mehr als 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die soziale Absicherung aus, Ungarn 20 Prozent und Kroatien rund 21 Prozent. In Deutschland waren es laut Eurostat dagegen mehr als 29 Prozent des BIP.

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