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Gerechte Einkommensverteilung: Leistung als Maß

Immer mehr Bundesbürger sind der Meinung, dass der Staat die Einkommensunterschiede in Deutschland verringern sollte – und das, obwohl die Einkommensverteilung seit mehr als zehn Jahren weitgehend stabil ist. Allerdings plädieren vergleichsweise wenige Befragte für die Ausweitung jener Ausgaben, von denen gerade nicht privilegierte Bevölkerungsgruppen profitieren.

Kernaussagen in Kürze:
  • Eine Mehrheit der Bundesbürger hält die sozialen Unterschiede in Deutschland für ungerecht und befürwortet deshalb staatliche Umverteilungsmaßnahmen.
  • Dennoch war zuletzt nur knapp ein Drittel der Deutschen der Ansicht, der Staat solle die Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung erhöhen.
  • Die meisten Befragten verstehen offenbar unter Gerechtigkeit vor allem, dass alle Bürger die gleichen Chancen bekommen müssen, eine höhere Leistung aber auch einen höheren Verdienst rechtfertigt.
Zur detaillierten Fassung

Was ist gerecht? Diese Frage würden die Bundesbürger je nach Lebenssituation wohl sehr unterschiedlich beantworten – schließlich hat Gerechtigkeit viele Facetten. Relativ einig sind sich die Deutschen allerdings, wenn es um die Einkommensverteilung geht: In der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften stimmten im Jahr 2018 fast 76 Prozent der Befragten der Aussage „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zu, dass die sozialen Unterschiede in Deutschland im Großen und Ganzen gerecht sind.

Bundesbürger begrüßen Umverteilung ...

Folglich hält es auch eine Mehrheit der Bundesbürger laut International Social Survey Programme (ISSP) für sinnvoll, dass der Staat eingreift, um die Einkommensunterschiede zu reduzieren. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass diese Mehrheit in jüngerer Zeit sogar noch gewachsen ist (Grafik):

Im Jahr 2016 waren insgesamt rund 79 Prozent der befragten Bundesbürger der Meinung, es sei Aufgabe des Staates, die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich abzubauen – zehn Jahre zuvor betrug der Anteil rund 70 Prozent.

Einstellung der Bundesbürger zu staatlichen Umverteilungsmaßnahmen in den Jahren 1996, 2006 und 2016 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dieser Anstieg lässt sich allerdings nicht damit erklären, dass die Einkommensspreizung in Deutschland zuletzt größer geworden wäre. Der sogenannte Gini-Koeffizient, der die Einkommensverteilung auf einer Skala von 0 (absolute Gleichverteilung) bis 1 (eine Person hat alles, alle anderen haben nichts) misst, wies für Deutschland zuletzt nahezu stabile Werte auf: Der Gini-Koeffizient für die Verteilung der Markteinkommen – also vor Steuern, Sozialabgaben, Renten und Transfers – lag 2015 mit 0,49 leicht unterhalb des Werts für 2005 (0,5). Nach der staatlichen Umverteilung betrug der Wert für die Nettoeinkommen zu beiden Zeitpunkten 0,29.

84 Prozent der Deutschen meinten 2017, immer mehr Mitbürger wären auf staatliche Hilfe angewiesen – tatsächlich ist die Zahl der Grundsicherungsempfänger von 2006 bis 2016 um rund eine Million zurückgegangen.

Möglicherweise halten die Bundesbürger angesichts der guten Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung der vergangenen Jahre das Ungleichheitsniveau heute für weniger akzeptabel als noch im Jahr 2005. Eine weitere Erklärung für den stärkeren Wunsch nach staatlichen Eingriffen könnte sein, dass die Deutschen die Verteilungssituation anders wahrnehmen, als sie ist. In der Tat waren laut einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Befragung im Frühsommer 2017 immerhin 62 Prozent der Teilnehmer der Auffassung, die Einkommensunterschiede hätten in den letzten Jahren eher zugenommen. Auch ein weiteres Umfrageergebnis zeigt die Diskrepanz zwischen Gefühl und Fakten:

84 Prozent der Deutschen meinten, es gäbe immer mehr Mitbürger, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind – tatsächlich ist die Zahl der Grundsicherungsempfänger von 2006 bis 2016 um rund eine Million zurückgegangen.

Wenn nun aber viele Bundesbürger trotz allem der Meinung sind, der Staat müsse noch stärker umverteilen, stellt sich auch die Frage nach den konkreten Umverteilungspräferenzen – also nach den Bereichen, in denen der Staat mehr Geld ausgeben soll. Den Daten des ISSP zufolge haben die Menschen in Deutschland dazu klare Vorstellungen (Grafik):

Mehr als 84 Prozent der Deutschen wünschten sich 2016 vom Staat höhere Bildungsausgaben – 20 Jahre zuvor äußerten sich erst knapp 53 Prozent entsprechend.

So viel Prozent der befragten Bundesbürger befürworten höhere Ausgaben in diesen Bereichen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Eine große – und im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gewachsene – Mehrheit der Befragten plädiert auch dafür, dass der Staat mehr Mittel für die Polizeiarbeit, das Gesundheitswesen und die staatliche Altersversorgung bereitstellt.

... doch nur wenige wollen mehr Unterstützung für Arbeitslose

Nun wäre zu vermuten, dass Menschen, die eine Umverteilung von oben nach unten befürworten, nicht zuletzt auch eine stärkere Unterstützung von Arbeitslosen begrüßen. Doch dies lässt die Umfrage nicht erkennen:

Lediglich knapp ein Drittel der Bundesbürger war 2016 der Ansicht, der Staat solle die Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung erhöhen.

Dass diese Antworten kein Ausrutscher sind, zeigt der Blick auf vergleichbare Untersuchungen. So sprachen sich in einer 2016 veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 91 Prozent der Befragten für höhere Ausgaben im Schulwesen aus – mehr Geld für das Arbeitslosengeld I und Hartz IV forderten dagegen lediglich 33 Prozent.

Dazu passen auch die Antworten der 30- bis 59-jährigen Bundesbürger, die das Institut für Demoskopie Allensbach unter dem Stichwort „Generation Mitte“ regelmäßig befragt. Im Jahr 2016 zählten gerade einmal 23 Prozent „Hartz IV erhöhen“ zu den Maßnahmen, die wichtig wären, um Deutschland gerechter zu machen. Oberste Priorität räumten die 30- bis 59-Jährigen den Forderungen ein, gleiche Leistungen in gleicher Höhe zu entlohnen (72 Prozent befürworteten diese Maßnahme), Steuerschlupflöcher zu schließen (71 Prozent) und zu gewährleisten, dass die Löhne über dem Sozialhilfeniveau liegen (70 Prozent).

Offenbar verstehen viele Menschen in Deutschland unter Gerechtigkeit nicht, dass die Einkommen unbedingt gleich verteilt sein sollen. Vielmehr sind sie dafür, dass alle Bürger die gleichen Chancen bekommen müssen. Wer mehr leistet, soll aber auch mehr verdienen.

Dieses Prinzip wird auch für die Sozialsysteme gutgeheißen, wie die Umfrage der Bundesregierung von 2017 verdeutlicht: Gut 74 Prozent der Befragten sind demnach der Meinung, dass diejenigen, die mehr in die Renten- und Arbeitslosenversicherung einzahlen, auch höhere Leistungen bekommen sollten.

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