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Kommentar: „Gegen die kalte Progression ist ein Tarif auf Rädern überfällig“

Bislang wird jedes Jahr aufs Neue um die Eckwerte im Einkommensteuertarif gerungen, die der kalten Progression Einhalt gebieten sollen. Um schleichende Steuererhöhungen zu verhindern, sollte stattdessen künftig ein Ausgleichsinstrument angewendet werden, das die kalte Progression automatisch beseitigt, schlägt IW-Steuerexperte Tobias Hentze vor.

Kernaussagen in Kürze:
  • IW-Steuerexperte Tobias Hentze plädiert dafür, künftig ein Ausgleichsinstrument bei der kalten Progression anzuwenden, das schleichende Steuererhöhungen verhindert.
  • Bei den Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherung gibt es solch einen Automatismus bereits. Er sorgt dafür, dass die Sozialbeiträge mit der Lohnentwicklung steigen.
  • „Nicht nur die Steuersystematik fordert den Ausgleich der kalten Progression, es ist auch eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit", so Hentze.
Zur detaillierten Fassung

Bei den Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherung gibt es einen Automatismus, der dafür sorgt, dass die Sozialbeiträge mit der Lohnentwicklung steigen. Das mag aus Sicht des Beitragszahlers zwar ärgerlich sein. Systematisch ist es aber richtig und wird in der öffentlichen Debatte nicht infrage gestellt. Von daher verwundert es, dass mit Blick auf die kalte Progression – Einkommenssteigerungen, die lediglich die Teuerung ausgleichen, werden mit einem höheren Steuersatz „bestraft“, sodass real weniger Geld übrig bleibt – jedes Jahr aufs Neue eine Diskussion darüber aufkommt, ob die Tarifeckwerte tatsächlich verschoben werden sollten.

Dabei geht es auch hier um systematische Gerechtigkeit. Denn ohne einen Inflationsausgleich würde der Durchschnittssteuersatz bei unverändertem Realeinkommen steigen. Der Staat würde also einen größeren Anteil vom Verdienst des Steuerpflichtigen für sich reklamieren, ohne dass dessen Kaufkraft gestiegen wäre.

Wie bei den Sozialbeiträgen sollte es auch bei der kalten Progression einen Automatismus geben, der die Teuerung ausgleicht, um schleichende Steuererhöhungen zu verhindern. Die Wirkung dieses Ausgleichsinstruments sollte bereits für das jeweils aktuelle Jahr gelten.

Anders als bei den Sozialbeiträgen gibt es bei der kalten Progression bislang keinen Automatismus, um die schleichenden Steuererhöhungen zu verhindern. Dies war denn auch eines der Themen, über die die Ampelkoalition in den vergangenen Wochen gestritten hat.

Nicht nur die Steuersystematik fordert den Ausgleich der kalten Progression, es ist auch eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit: Da der absolute Entlastungsbetrag ab Einsetzen des Spitzensteuersatzes nicht weiter steigt, sinkt bei Spitzenverdienern die Entlastung relativ zum Einkommen. Für die Mittelschicht ist der Ausgleich der kalten Progression im Portemonnaie aufgrund der schnell steigenden Grenzsteuersätze deutlich spürbar.

Die Steuerpflichtigen haben 2022 rund 14 Milliarden Euro zuviel bezahlt

Wünschenswert wäre für die Zukunft, die systematische Erfordernis des Ausgleichs in Form eines „Tarifs auf Rädern“ gesetzlich zu verankern. Denn mit einem Tarif auf Rädern wären heimliche und demokratisch nicht legitimierte Steuer-erhöhungen ausgeschlossen. Im Kern bedeutet dies, dass die Politik gesetzlich festschreibt, dass die kalte Progression auf Basis der geschätzten Inflationsrate im Steuertarif automatisch beseitigt wird.

Tobias Hentze ist Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung beim IW; Foto: IW Medien Die Wirkung dieses Ausgleichsinstruments sollte dann bereits für das jeweils aktuelle Jahr gelten. Derzeit erfolgt die inflationsbedingte Tarifanpassung erst für das Folgejahr, sodass die Einnahmen aus der kalten Progression für das laufende Jahr beim Staat verbleiben. Im Jahr 2022 haben die Steuerpflichtigen in Deutschland so rund 14 Milliarden Euro mehr Steuern bezahlt, als nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip geboten gewesen wäre. So gesehen ist der Staat bei dem derzeitigen Prozedere ein Inflationsgewinner.

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