Interview Lesezeit 6 Min.

„KI wird sich so schnell verbreiten wie Maiskörner, die zu Popcorn explodieren“

Wie wirkt sich der Einsatz von KI-Algorithmen auf den Arbeitsmarkt aus? Und warum profitieren alle Branchen von der neuen Technologie? Antworten darauf gibt Oliver Thomas, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Osnabrück und Leiter der DFKI-Forschungsgruppe „Smart Enterprise Engineering“.

Kernaussagen in Kürze:
  • Alle Branchen werden von künstlicher Intelligenz gestärkt oder transformiert, sagt KI-Experte Oliver Thomas.
  • Ein große Gefahr für Arbeitsplätze durch KI sieht er nicht. Wenn KI im Arbeitsprozess zum Einsatz komme, seien weiterhin Menschen gefragt, um die Ergebnisse zu interpretieren und die Anwendungen zu verbessern.
  • Um Nachhaltigkeit und Akzeptanz für KI sicherzustellen, müssen laut Oliver Thomas selbstverständlich ethische, rechtliche und soziale Implikationen berücksichtigt werden.
Zur detaillierten Fassung

Herr Thomas, es gibt bislang keine klare wissenschaftliche Definition für künstliche Intelligenz. Haben Sie einen griffigen Vorschlag parat?

Manchmal ist es ja von Vorteil, wenn etwas nicht klar definiert ist, weil dadurch die Möglichkeit besteht, den Begriff jederzeit definitorisch zu verändern oder anzupassen. Was KI aber inhaltlich kennzeichnet, ist, dass der Mensch in seinem Entscheidungsverhalten nachgebildet werden soll.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Die einfachsten Beispiele sind Anwendungen, die in das Gebiet der KI fallen, aber nicht unbedingt mit diesem Begriff Werbung machen. Hierzu zählt etwa das Information Retrieval, das tagtäglich in Suchmaschinen wie Google genutzt wird. Weitere alltägliche Beispiele sind Navigationssysteme, die KI-Algorithmen zur Optimierung von Routen einsetzen, sowie Sprachassistenten wie Alexa und Siri, die mittlerweile KI-basiert aufgesetzt sind, sich aber gerade in den Anfangszeiten nicht darüber definiert haben.

Im Alltag der Menschen ist KI also längst verbreitet. Doch nur 10 Prozent der Unternehmen in Deutschland nutzen KI. Finden Sie das beunruhigend?

Es kommt nicht auf die aktuelle Prozentzahl an, sondern darauf, wie sich die Zahl zukünftig entwickelt. Sie können die Verbreitung der KI in Unternehmen vergleichen mit der Popcorn-Zubereitung: Erst mal passiert lange nichts, dann knallt das erste Korn nach zwei Minuten in der heißen Pfanne auf und dann folgen fast alle anderen Maiskörner in schneller Folge nach.

Das Schöne an KI ist: Es kommt überhaupt nicht auf die Branche an, denn künstliche Intelligenz ist immer nur Mittel zum Zweck!

Und wo steht Deutschland gerade in diesem „Zubereitungsprozess“?

Eines der wichtigsten Popcörner ist erst vor wenigen Tagen auf dem Digital-Gipfel explodiert mit dem von Wirtschaftsminister Peter Altmaier mitinitiierten Projekt GAIA-X. Hierbei handelt es sich um eine europäische Cloud-Initiative, an deren Realisierung auch mein eigenes Unternehmen Strategion beteiligt ist sowie weitere Partner aus der Wirtschaft und der Wissenschaft. Mit GAIA-X soll eine vernetzte Dateninfrastruktur entstehen, die Daten und Dienste für die Anwendungen künstlicher Intelligenz verfügbar macht.

Welche Branchen werden von KI-Anwendungen besonders profitieren?

Oliver Thomas ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Osnabrück und Leiter der DFKI-Forschungsgruppe „Smart Enterprise Engineering“; Foto: Strategion GmbH Das Schöne an KI ist: Es kommt überhaupt nicht auf die Branche an, denn künstliche Intelligenz ist immer nur Mittel zum Zweck! Alles wird von künstlicher Intelligenz gestärkt oder transformiert, das gilt branchenübergreifend. Das liegt auch daran, dass KI-Anwendungen oft Cross-Innovationen sind, sie lassen sich also auf verschiedene Branchen übertragen. Ein Algorithmus, der beispielsweise zur Qualitätskontrolle von Fräswerkzeugen in der Produktion eingesetzt wird, lässt sich innerhalb weniger Stunden zur Suche von Anomalien in der Buchhaltung für die Wirtschaftsprüfung nutzen. Beide KI-Anwendungen verwenden die gleiche Methode, aber in völlig unterschiedlichen Branchen.

KI wird häufig zur Produktionsautomatisierung eingesetzt. Wird die neue Technologie Arbeitsplätze vernichten?

Ganz im Gegenteil. Künstliche Intelligenz ist ja nicht rein auf Rationalisierung und Automatisierung ausgelegt, sondern auf die Schaffung von Mehrwert. KI soll – solange sie nicht autonom agiert – den Menschen in seiner Tätigkeit unterstützen, nicht ersetzen. Wenn KI im Arbeitsprozess zum Einsatz kommt, sind weiterhin Menschen gefragt, um die Ergebnisse zu interpretieren und die Anwendungen zu verbessern.

Wie sieht es mit dem Arbeitsvolumen aus? Werden Menschen aufgrund des fortschreitenden Einsatzes von künstlicher Intelligenz künftig weniger arbeiten?

Die Arbeitszeit wird sich nicht reduzieren, aber die Arbeit wird sich verändern: Mit Blick auf KI ist die größte Herausforderung der Fachkräftemangel. Um KI-Anwendungen wirtschaftlich erfolgreich zu entwickeln und umzusetzen, muss methodisches und anwendungsorientiertes Wissen in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften zusammengeführt werden. Beispielsweise gibt es zwar Data Scientists, aber das ist keine Berufsbezeichnung, sondern ein Begriff für ein Themenfeld, in dem sich eine Fachkraft bewegt. In der KI-Ausbildung gibt es keine normierte Ausbildung – und selbst wenn es sie gäbe, wäre das auch keine Lösung, weil das thematische Spektrum einfach viel zu groß ist. Entscheidend für die Unternehmen wird es deshalb künftig sein, Mit-arbeiter in der Anwendung und Nutzung von KI selbst entsprechend aus- und weiterzubilden – auch Quereinsteiger.

Ein viel diskutiertes Thema rund um künstliche Intelligenz sind die Rahmenbedingungen. Für wie wichtig halten Sie Regelungen beim Einsatz von KI?

Um Nachhaltigkeit und Akzeptanz für KI sicherzustellen, müssen selbstverständlich ethische, rechtliche und soziale Implikationen berücksichtigt werden. Schließlich wirft der KI-Einsatz unterschiedlichste Fragen auf: Wer haftet für eine Entscheidung, die KI trifft? Was passiert, wenn KI-Anwendungen Berufsbilder verdrängen? Wie können KI und Mensch erfolgreich im Alltag miteinander agieren? Die Datenethikkommission hat ihr Gutachten dazu Ende Oktober der Bundesregierung übergeben mit zahlreichen Vorschlägen und Empfehlungen zum Umgang mit KI.

Wir brauchen Innovationsnetzwerke und wir müssen uns darum bemühen, dem Mittelstand das Thema KI nahezubringen.

Die Bundesregierung hat auch eine KI-Strategie ins Leben gerufen, die bis 2025 Investitionen von 3 Milliarden Euro vorsieht. Das ist nur ein Bruchteil dessen, was China, das bis 2030 KI-Supermacht werden will, ausgibt. Allein Schanghai investiert 15 Milliarden Dollar in KI-Projekte.

International stehen wir da nicht an vorderster Stelle. Nicht nur China investiert deutlich mehr Geld in künstliche Intelligenz, auch die USA tun das. Aber was neben der finanziellen Förderung mindestens ebenso wichtig ist, ist ein funktionierendes Ökosystem: Wir brauchen Innovationsnetzwerke und wir müssen uns darum bemühen, dem Mittelstand das Thema KI nahezubringen. Anstatt neidisch nach China oder ins Silicon Valley zu schauen, sollten wir uns in Deutschland unserer Stärken bewusst sein – kein Land der Welt hat so viele mittelständische Weltmarktführer und Hidden Champions wie Deutschland. Dennoch: Die KI-Technologieumsetzung ist für viele Unternehmen noch Neuland und eine große Herausforderung.

Wird der Einsatz von künstlicher Intelligenz die digitale Spaltung verstärken? Oder wird sie die Kluft überbrücken helfen zwischen denen, die internetaffin sind, und denen, die eher hilflos auf technische Neuerungen reagieren?

Ich glaube nicht, dass KI diese Spaltung verstärkt. Tatsächlich sehe ich diese beiden Themen unabhängig voneinander. Was aber auf jeden Fall mit KI noch relevanter werden wird, ist die digitale Bildung. Um entlang der lebenslangen Bildungskette einen Zugang zu KI-Methoden zu ermöglichen, müssen moderne Lernformate in der Aus- und Weiterbildung zusammengeführt werden. Die Herausforderung ist hier aber nicht die technische Integration, sondern die sinnvolle Nutzung didaktischer Methoden und Modelle.

Eine letzte Frage: Welche ist Ihre Lieblings-KI-Anwendung?

Das ist eine meiner allerersten Anwendungen, die ich Ende der 1990er Jahre gebaut habe: ein System, das unscharfes Wissen mithilfe von Soft Computing in Geschäftsprozesse einbettet. Die betriebswirtschaftlichen Überlegungen aus dem damaligen Projekt haben bis heute Gültigkeit und fließen an meinem Lehrstuhl sowie in meiner DFKI-Forschungsgruppe in viele Untersuchungen ein – unter anderem zur Vorhersage von Maschinenausfällen, zur Nutzung von Smart Glasses im technischen Service oder zur Automatisierung manueller Tätigkeiten in der Wirtschaftsprüfung.

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