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Israel: Geplante Justizreform beeinträchtigt die Wirtschaft

Als Benjamin Netanjahu Ende Dezember 2022 erneut als Ministerpräsident Israels antrat, war das Land wirtschaftlich solide aufgestellt. Sein Vorhaben, die Befugnisse der Justiz zu beschneiden, bringt nun weite Teile der Bevölkerung und der Wirtschaft auf.

Kernaussagen in Kürze:
  • In Israel protestieren seit Wochen Hunderttausende gegen die geplante Justizreform, die die Befugnisse des Parlaments massiv ausweiten würde.
  • Das Vorhaben hat nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Folgen. Israelische Medien berichteten bereits über einen beginnenden Abfluss von Kapital ins Ausland.
  • Die Bundesrepublik ist nach den USA und China Israels drittwichtigster Warenlieferant. Israel führte 2022 Waren aus Deutschland im Wert von rund 5,9 Milliarden Euro ein.
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Kampfpiloten, Ärzte, Mitarbeiter des Geheimdienstes Mossad, Busfahrer, Marinereservisten, Vertreter der Hightech-Industrie: Seit Wochen protestieren Hunderttausende Israelis von links bis rechtsliberal gegen die geplante Justizreform, die die Befugnisse des Parlaments massiv ausweiten würde. So sollen künftig Entscheidungen des obersten Gerichts mit einer einfachen Mehrheit kassiert werden können.

Die geplante Justizreform bringt nicht nur Hunderttausende Israelis auf die Barrikaden, sondern hat auch wirtschaftliche Folgen: von Einbußen der Wirtschaftsleistung bis zum Braindrain.

Auch der amerikanische Präsident Joe Biden hat die israelische Regierung wegen dieses Vorhabens kritisiert. Biden weigert sich hartnäckig, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Washington einzuladen – selbst jetzt noch, wo die rechtsreligiöse Regierung in Israel verkündet hat, die Justizreform zu verschieben.

Das Vorhaben sei ein Angriff auf die Demokratie, sagen deren Kritiker. Manche sprechen sogar von einer Zerstörung des Obersten Gerichtshofs.

Auch wirtschaftliche Folgen werden prophezeit: So berichtete die Manufacturers Association of Israel, israelische Firmen erwögen, Produktionskapazitäten ins Ausland zu verlegen. Führende Wirtschaftsexperten warnten vor einem Vertrauensverlust ausländischer Investoren, vor Einbußen der Wirtschaftsleistung und vor einem Braindrain – also einem Abwandern von israelischen Fachkräften. Zudem berichteten israelische Medien bereits über einen beginnenden Abfluss von Kapital ins Ausland.

Als Benjamin Netanjahu vor rund 100 Tagen wieder ins Amt kam – er ist bereits zum sechsten Mal israelischer Premierminister –, befand sich das Land in einer soliden ökonomischen Lage (Grafik):

Im vergangenen Jahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt Israels um rund 6 Prozent.

Wirtschaftskennzahlen Israels 2019 bis 2022 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das ist zwar etwas weniger als im Jahr 2021, als die Wirtschaftsleistung im Nach-Corona-Boom um fast 9 Prozent zulegte, doch angesichts der Krise in Europa ist das immer noch ein sehr respektabler Wert. Die Arbeitslosenquote sowie die Staatsschulden sind 2022 gesunken.

Dabei tangiert der Ukraine-Krieg auch Israel, in Form gestiegener Weltmarktpreise für Rohstoffe etwa. Doch anders als viele andere Länder leidet Israel nicht unter einer Energiekrise: Die heimischen Erdgasvorkommen im Mittelmeer decken nicht nur den Eigenbedarf, sondern sind so reichlich, dass die EU Mitte 2022 eine Absichtserklärung mit Israel und Ägypten über Erdgaslieferungen geschlossen hat. So könnten in diesem Jahr bis zu zehn Milliarden Kubikmeter israelisches Erdgas, das in ägyptischen Anlagen verflüssigt wird, per Tankschiff nach Europa transportiert werden. Und das ist erst der Anfang – geplant ist eine Ausweitung der Liefermenge auf 30 Milliarden Kubikmeter.

Ukrainische und russische Touristen bleiben aus

Der Warenaustausch zwischen Israel und der Ukraine war schon vor Ausbruch des Kriegs überschaubar: Der Anteil der israelischen Ausfuhren in die Ukraine lag 2021 bei lediglich 0,3 Prozent aller Warenexporte, auf der Importseite machten ukrainische Einfuhren nur 0,2 Prozent aller Warenimporte Israels aus. Schmerzlicher ist dagegen der Verlust der russischen und ukrainischen Touristen: Im Vor-Corona-Jahr 2019 stammten 8 Prozent der israelischen Gäste aus Russland und 3,7 Prozent aus der Ukraine.

Wesentlich intensiver ist der deutsch-israelische Handel. Zwar ist der Warenexport nach Deutschland für Israel kein besonders bedeutender Markt, doch die Importe aus Deutschland erreichten im Jahr 2022 einen Höchststand (Grafik):

Israel führte 2022 Waren aus Deutschland im Wert von rund 5,9 Milliarden Euro ein – so viel wie noch nie.

in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Damit war Deutschland nach den USA und China Israels drittwichtigster Warenlieferant. Zulegen konnten bei den deutschen Ausfuhren vor allem Maschinen und Ausrüstungen, Beförderungsmittel, Optik-, Mess- und Kontrolltechnik sowie Medizintechnik. Drittwichtigster Posten bei Israels Importen aus Deutschland sind Chemieprodukte, wobei das Plus 2022 weniger ausgeprägt war als bei den zuvor genannten Warengruppen.

Die Hauptstärke der israelischen Wirtschaft ist nach wie vor der Hightech-Sektor, dem selbst die globalen Wirtschaftsprobleme 2022 nichts anhaben konnten. So stiegen die Exporte von israelischen Hightech-Dienstleistungen und -waren im Jahr 2022 um rund 11 Prozent. In die Hightech-Branche fließt auch mit rund 57 Prozent der Großteil der ausländischen Direktinvestitionen, deren Bestand im Jahr 2022 um 8,6 Milliarden Dollar (plus 3,8 Prozent) zulegen konnte. Die Investitionen in Start-ups dagegen gingen im zweiten Halbjahr 2022 zurück.

Knapp 3 Prozent Wirtschaftswachstum prognostiziert

Vor der Justizkrise prognostizierte die israelische Zentralbank ein reales Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent für 2023; 2024 sollte die israelische Wirtschaftsleistung demnach sogar um 3,5 Prozent zulegen. Ob diese optimistischen Vorhersagen eintreffen, wird zu einem nicht unerheblichen Teil von den künftigen politischen Entwicklungen in Jerusalem abhängen.

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