Interview: „Wie Mehltau auf dem Wirtschaftsleben“
Das Jahr 2021 war kein einfaches für die deutsche Wirtschaft, viele Betriebe schauen dennoch recht optimistisch in die Zukunft. Warum das so ist und was die Politik zu einem Wirtschaftsaufschwung beitragen kann, erläutert IW-Konjunkturforscher Michael Grömling.
- Der Optimismus der Unternehmen für das nächste Jahr speist sich aus den Dämpfern und Tiefschlägen des laufenden Jahres, sagt IW-Konjunkturforscher Michael Grömling.
- Dazu zähle unter anderem die Materialknappheit, die in erster Linie in der Industrie zu Produktionsstörungen geführt hat.
- Auch während der vierten Welle gehe es zunächst darum, bewährte Maßnahmen wie die Kurzarbeit, die Beschäftigungsverhältnisse zu stabilisieren hilft, weiter zu gewähren.
Deutschland erlebt die vierte Corona-Welle, es gibt so viele Neuinfizierte wie noch nie, Lockdowns und Kontaktbeschränkungen sind vielerorts schon wieder Realität. Hat die Wirtschaft davon noch nichts mitbekommen oder warum schauen die hiesigen Unternehmen vergleichsweise optimistisch ins Jahr 2022?
Der Optimismus der Unternehmen für das nächste Jahr speist sich aus den Dämpfern und Tiefschlägen, die sie dieses Jahr wegstecken mussten: Da war das Nachwirken der zweiten Welle und die Frühlingswelle, die im ersten Halbjahr vor allem dem Dienstleistungssektor erheblich zugesetzt hat.
Hinzu kommt die Materialknappheit, die in erster Linie in der Industrie, aber auch in Teilen der Dienstleistungsbranche und der Bauwirtschaft zu Produktionsstörungen geführt und sich wie Mehltau auf das Wirtschaftsleben gelegt hat. Das Jahr 2021 war in Deutschland zwar auch immer wieder von Normalisierungen geprägt, aber vieles lief doch nach wie vor mit angezogener Handbremse.
Sie sprachen es gerade schon an: Damit sich die Wirtschaft erholt, müssen die Lieferketten funktionieren. Wo sollen das fehlende Material und Personal plötzlich herkommen?
Es gibt eine Reihe von Ursachen für diese Probleme: In Teilen holen wir immer noch verzögerte Lieferungen aus dem vergangenen Jahr auf, das wird irgendwann abgearbeitet sein. Und global haben wir ernste Transportprobleme, weil Häfen geschlossen werden und das Löschen und Beladen von Containerschiffen nicht im gewohnten Umfang funktioniert. Das wird aber nicht immer so bleiben – sofern wir nicht weiterhin permanent durch die Pandemie gestört werden und einzelne Sondereffekte nicht weiter gehäuft auftreten, beispielsweise geopolitische Machtspiele, Unwetter oder brennende Halbleiterfabriken. In einzelnen Wirtschaftsbereichen werden die Lieferketten ganz sicher auch im Jahr 2022 noch gestört sein, aber die Probleme sind grundsätzlich endlich.
Was kann die deutsche Politik dazu beitragen, den Wirtschaftsaufschwung zu befördern?
Wenn einzelne Länder bewusst bestimmte Bauteile der Halbleiter-Industrie horten oder zurückhalten, um sich eine strategisch günstige Ausgangsposition zu verschaffen, kann die Politik je nach Gegenspieler wenig ausrichten.
Mit Blick auf die Pandemie ist es für uns alle erschreckend, zu erkennen, mit welcher Wucht sich die Delta-Variante unter den Ungeimpften verbreitet und wie wenig die Politik darauf vorbereitet war. Wir sehen, dass die Politik insgesamt immer wieder hinterherhinkt. Aktuell zeigt sich das an den Versprechungen hinsichtlich des Boosterns. Hier mangelt es an der nötigen Vorbereitung. Menschen, die sich zum dritten Mal impfen lassen möchten, müssen nun wochen- oder monatelang warten, bis sie den Schutz haben, der ein normales Wirtschaftsleben ermöglichen würde. Wir brauchen also eine deutlich vorausschauender handelnde Regierung.
Die Pandemie-Politik hat aber schon jetzt mehr zu bieten als gesundheitspolitische Maßnahmen:Sollten Wirtschaftshilfen so lange gewährt werden, wie die Pandemie andauert?
Im Auge des Sturms der vierten Welle geht es erst einmal darum, bewährte Maßnahmen wie die Kurzarbeit, die Beschäftigungsverhältnisse zu stabilisieren hilft, weiter zu gewähren.
Ob in der gegenwärtigen Situation fiskalpolitische Maßnahmen helfen, etwa eine erneute Mehrwertsteuersenkung, wage ich zu bezweifeln. Was uns zurzeit lähmt, sind ja Angebotsschocks – verursacht durch Unternehmen, die nicht reibungslos produzieren können, weil Bauteile fehlen oder weil sich Beschäftigte in Quarantäne oder zu Hause befinden, weil sie sich um Kinder kümmern müssen. Solche Probleme lassen sich nicht über fiskalpolitische Maßnahmen lösen.
Und was ist mit den Corona-Hilfen für Unternehmen? Wie lange können wir uns die leisten?
Das ist eine Frage der Solidarität in der Gesellschaft, inwieweit solche Maßnahmen der Fiskalpolitik angewandt werden, um letztlich unverschuldet in eine Notlage geratenen Betrieben – also vielen Menschen – zu helfen.
Mittel- bis langfristig wird man sich aber auch damit auseinandersetzen müssen, wie man die Investitionstätigkeit in Deutschland verstetigt bekommt. Eine entscheidende Frage wird sein, ob das staatliche Regelwerk in der Lage ist, große Investitionsprogramme auf die Kette zu kriegen, die dann die entsprechenden Effekte auf die privaten Investitionen auslösen.
Ist Deutschland da auf einem guten Weg? Die deutsche Verwaltung gilt oft als ziemlich bürokratisch und damit zwar als gründlich, aber eben auch zu langsam.
Vieles hat die Krise ja aufgebrochen: Alle Gesellschaftsschichten sind wesentlich digitaler geworden, als sie es vor der Krise waren. Auch die Offenheit gegenüber den Naturwissenschaften ist deutlich größer geworden. Es geht eben nicht darum, krisengebeutelten Unternehmen einfach Geld zur Verfügung zu stellen, sondern die notwendige Modernisierung des unternehmerischen Kapitalstocks zu begleiten.
Die entscheidende Frage an Politik und Verwaltung lautet also: Wie können sie die Unternehmen dabei unterstützen, die Transformationen durch die Digitalisierung und die Dekarbonisierung zu bewältigen? Und wie stärkt man die technologische Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft?
Was ist denn aus Ihrer Sicht des Konjunkturforschers in der aktuellen Situation das ideale Weihnachtsgeschenk?
Nach wie vor plädiere ich für zwei Dinge: ein Gesellschaftsspiel und ein Buch.