Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Interview Lesezeit 4 Min.

„Nachhaltigkeit und verarbeitete Lebensmittel sind kein Widerspruch“

Bislang war die deutsche Ernährungsindustrie in erster Linie für sichere und günstige Lebensmittel bekannt, nun setzt sie verstärkt auf Nachhaltigkeit. Mit welchen Innovationen Verbraucher rechnen können und ob es vor Weihnachten zu Lieferengpässen bei einzelnen Produkten kommen wird, verrät Sebastian Beuchel, Referent für Wirtschaftspolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die deutsche Ernährungswirtschaft arbeitet daran, immer klimafreundlicher zu produzieren, sagt Sebastian Beuchel von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.
  • Nachhaltigkeit und verarbeitete Lebensmittel seien kein Widerspruch, wie man beispielsweise an der CO2-neutralen Tiefkühlpizza sehen könne.
  • Beuchel hält es zudem für unwahrscheinlich, dass im Zuge der Nachhaltigkeit wieder alle Verbraucher ihre Mahlzeiten komplett selbst zubereiten.
Zur detaillierten Fassung

Es gibt mittlerweile klimaneutrale Tiefkühlpizza von einem deutschen Hersteller im Supermarkt zu kaufen. Wie funktioniert das, dass ein hoch industrialisiertes Tiefkühlprodukt keinen CO₂-Fußabdruck hinterlässt?

Die klimaneutrale Pizza ist das Resultat aus verschiedenen Anpassungen – bei den Zutaten, der Verpackung, dem Transport und der Energie für die Produktion. So werden für die klimaneutrale Pizza pflanzliche Zutaten verwendet, die einen geringeren CO2-Verbrauch als tierische Zutaten haben. Die Verpackung besteht zu 95 Prozent aus recyceltem Material und die Energie für den Produktionsprozess wird aus einem anliegenden Windkraftwerk gewonnen. Zudem werden die Emissionen im Transport gesenkt, denn die Zutaten werden überwiegend mit der Bahn transportiert. Ganz ohne CO2 ist die Herstellung jedoch nicht möglich: Die verbleibenden Emissionen werden durch zertifizierte Klimaschutzprojekte ausgeglichen.

Nicht nur Hersteller, auch Verbraucher achten in puncto Ernährung zunehmend auf Nachhaltigkeit. Wenn man das konsequent zu Ende denkt, müssten Konsumenten irgendwann nur noch unverarbeitete Nahrungsmittel einkaufen und selbst zubereiten, oder?

Nachhaltigkeit und verarbeitete Lebensmittel sind kein Widerspruch, denn die Hersteller arbeiten daran, immer klimafreundlicher zu produzieren. Auch verarbeitete Produkte können CO2-neutral sein, wie das Beispiel der Pizza ja zeigt.

Und letztlich gibt unser Lebenswandel es auch gar nicht her, dass wir als Verbraucher alle Lebensmittel komplett selbst zubereiten.

Hat Corona nicht dazu beigetragen, dass mehr zu Hause gekocht wird?

Einerseits ja: Dadurch, dass mehr Menschen im Homeoffice waren, wurde auch mehr gekocht. Und das wird vermutlich auch so bleiben. Andererseits erlebten aber auch die Essens-Lieferdienste durch Corona einen Boom.

Und wie steht es um die Kochkompetenz?

Ich denke schon, dass auch die Kochkompetenz während der Pandemie zugenommen hat – die vielseitigen Rezept- und Tutorialangebote im Internet und auf den Social-Media-Kanälen haben sicher viele Menschen beim Kochen inspiriert.

Wir rechnen – Stand heute – nicht damit, dass einzelne Lebensmittel knapp werden.

Gerade ist die Anuga zu Ende gegangen, die weltgrößte Messe für Ernährungswirtschaft und Nahrungsmittelindustrie. Wie zufrieden sind Sie mit dem Messeverlauf?

Wir ziehen ein sehr, sehr positives Fazit, schließlich hat die diesjährige Anuga gezeigt, dass Messen überhaupt wieder möglich sind. Mit rund 70.000 Besuchern und mehr als 4.600 Ausstellern konnte die Anuga zwar nicht an die Werte von 2019 anknüpfen, aber das erstmals angebotene hybride Format der Messe hat sehr gut funktioniert. Wir sind zuversichtlich, dass nach der Fachmesse Anuga nun auch die Internationale Grüne Woche im Januar 2022, die ja eine Verbrauchermesse ist, gut laufen wird.

Sebastian Beuchel ist Referent für Wirtschaftspolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie; Foto: Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie Viele Branchen klagen aktuell über Probleme mit ihren Lieferketten. Müssen wir uns sorgen, dass an Weihnachten Gänse und Kartoffelklöße knapp werden?

Wir rechnen – Stand heute – nicht damit, dass einzelne Lebensmittel knapp werden. Allerdings hat auch unsere Branche mit steigenden Herausforderungen und Preisen in der Logistik zu kämpfen, vor allem im Schiffs- und Straßenverkehr. Hinzu kommt, dass relativ viele Lkw-Fahrer fehlen, auch in Deutschland. Und auch Container und Verpackungsmaterial sind knapp – all dies führt zwar zu steigenden Kosten in der Lebensmittellogistik, wird aber nicht zu Lieferengpässen für einzelne Lebensmittel führen.

Im ersten Jahr der Pandemie konnten die deutschen Lebensmittelproduzenten ihren Umsatz noch halten, seit Januar 2021 sinkt der Umsatz. Wie kommt das?

Im vergangenen Jahr ist der Inlandsumsatz leicht gestiegen, während die Exporte zurückgegangen sind. Jetzt ist es andersherum: Der Inlandsumsatz sinkt, doch dafür steigen die Ausfuhren, weil sich die Lage langsam wieder normalisiert und wieder mehr Produkte ins Ausland verkauft werden.

Dass wir im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Umsatzrückgang im Inland verzeichnet haben, hat in erster Linie eine statistische Ursache: Durch die Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie fiel der Inlandsumsatz im ersten Halbjahr 2020 außergewöhnlich hoch aus. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die Verbraucher wieder in ganz normalem Umfang Essen eingekauft, deswegen fällt das Halbjahresergebnis schwächer aus als 2020.

Und wie lautet Ihre Prognose für das Gesamtjahr 2021?

Die Hersteller sind verhalten optimistisch, was ihre Erwartungen an die Geschäftsentwicklung im weiteren Verlauf des Jahres 2021 betrifft. Auch der ifo Geschäftsklimaindex als Stimmungsbarometer für die Ernährungsindustrie weist aktuell einen durchweg positiven Saldo auf, insbesondere was die Geschäftserwartungen betrifft. Gestützt wird diese Einschätzung durch stabile Erwartungen an die Verkaufspreisentwicklung und das Exportgeschäft.

In Deutschland kommen jährlich bis zu 40.000 neue Lebensmittelprodukte auf den Markt. Haben Sie eine Lieblingsinnovation?

Ich persönlich finde alle Innovationen wichtig, die das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben – das reicht von nachhaltigen Verpackungslösungen über neue Rezepturen bis hin zu Prozessinnovationen, die die Energieeffizienz bei der Lebensmittelherstellung verbessern.

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