Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Textil- und Modeindustrie Lesezeit 5 Min.

Interview: Nachhaltigkeit darf Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden

Die Textil- und Modeindustrie wird oft als klimaschädigende und selten als eine nachhaltige Branche angesehen. Das stimmt nicht, sagt Uwe Mazura, Geschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie. Im iwd-Interview erklärt er, wieso die Branche Teil der Lösung zur Klimaneutralität ist und warum Deutschland ein attraktiver Produktionsstandort für Textil und Mode bleiben muss.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Geschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie Uwe Mazura beklagt die Situation mittelständischer Textilproduzenten, die durch steigende Energiepreise und Regulierungen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
  • Die Textilindustrie trage mit innovativen Stoffen und Geweben, die zum Beispiel beim ressourcenschonenden Bauen verwendet werden, zur Klimaneutralität Deutschlands bei.
  • Mazura fordert wettbewerbsfähige Energiepreise, um eine Abwanderung hiesiger Textilunternehmen ins Ausland zu verhindern.
Zur detaillierten Fassung

Die deutsche Textil- und Modeindustrie sagt von sich: „Wir können Wandel.“ Was konkret meinen Sie damit?

Die deutsche Textilindustrie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Weltmarktführerschaft in vielen innovativen Bereichen erarbeitet. Die in Deutschland produzierten Stoffe und Gewebe sind aus ganz vielen alltäglichen und industriellen Anwendungen nicht mehr wegzudenken. Windräder, modernes, ressourcensparendes Bauen, Medizinprodukte, Filter für sauberes Wasser und saubere Luft, hochwertige Spezialtextilien fürs Wohnen, in Autos und Flugzeugen. Selbst zur Herstellung von grünem Wasserstoff braucht es unsere Spezialtextilien. Rund zwei Drittel unserer mittelständischen Unternehmen, viele davon familiengeführt, produzieren und veredeln in Deutschland Stoffe, Garne und technische Textilien. Und etwa ein Drittel der Unternehmen ist im Mode- und Bekleidungsbereich tätig. Sie stehen für Qualität und Langlebigkeit genauso wie für Innovation und Nachhaltigkeit. Wir können im internationalen Wettbewerb mit hochinnovativen Produkten punkten.

In Ihrem Positionspapier zu Ihren Erwartungen an die künftige Bundesregierung fordern Sie einen Schub für Investitionen und Innovationen. Wie soll der aussehen?

Unsere Unternehmen stehen weltweit für beste Umwelt- und Sozialstandards. Viele sind bereits auf dem Weg zur CO2-Neutralität, wir machen große Fortschritte bei der Kreislaufwirtschaft. Bei vielen Umweltfragen, beispielsweise wie wir Luft und Wasser reinigen und unseren CO2-Fußabdruck verringern, gibt es textile Lösungen. Aus diesem Grund ist eine eigene Textilindustrie im Land so wichtig. Sie muss aber auch noch international wettbewerbsfähig produzieren können. Unsere Unternehmen kämpfen mit immer mehr Auflagen und immer mehr Bürokratie, ganz zu schweigen von den Energiepreisen und der Einführung der CO2-Bepreisung. Für Strom und Gas zahlen sie zwei- bis dreimal so viel wie ihre Mitbewerber im Markt.

Die neue Bundesregierung muss die Unternehmen, die in Deutschland für Wertschöpfung und Arbeitsplätze sorgen, auch machen lassen. Wir brauchen nicht immer neue Fesseln, wir brauchen bezahlbare Energiepreise.

Was fordern Sie konkret?

Es gibt nicht ausreichend bezahlbaren grünen Strom oder grünen Wasserstoff im Markt. Wir können Green Deal Textil, aber wir brauchen auch die Marktbedingungen, damit unsere Unternehmen bestehen können. Damit ich nicht missverstanden werde: Wir stehen zu den Klimazielen der Bundesregierung, aber wir fordern eine ehrliche Debatte. Corona hat gezeigt, wie wichtig eine Textilindustrie im eigenen Land ist. Wir sind eingesprungen, als es keine Schutzmasken mehr aus China gab. Deshalb muss eine neue Bundesregierung die Unternehmen, die in Deutschland für Wertschöpfung und Arbeitsplätze sorgen, auch machen lassen. Wir brauchen nicht immer neue Fesseln und wir brauchen bezahlbare Energiepreise.

In Ihrem Positionspapier werben Sie in diesem Zusammenhang auch für eine Chemikalienpolitik, die sich am Machbaren orientiert.

Ja, auch hier gilt: Innovationen dürfen nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dies gefährdet den Standort Deutschland und führt letztlich zu einer Produktionsverlagerung an Standorte, die unsere Auflagen nicht haben. Damit erreichen wir das Gegenteil von Umwelt- und Klimaschutz. Wir erleben das bei Spezialtextilien, etwa bei Schutzanzügen für die Feuerwehr. Mit einem Anzug aus Biobaumwolle können Sie nicht ins Feuer gehen. Unsere Unternehmen, die lebensrettende Berufsbekleidung herstellen, gehen äußerst verantwortungsvoll mit dem Einsatz von Chemikalien um. Und trotzdem gibt es immer mehr Stoffe, die bei uns verboten werden, obwohl ihre Alternativen sie nicht annähernd ersetzen können.

Innovation braucht es auch für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Die meisten denken bei dem Stichwort an Bekleidung und Secondhandshopping, das dürfte ja aber nicht Ihr präferiertes Geschäftsmodell sein?

Uwe Mazura ist Geschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie; Foto: Grabowsky Wenn Sie sich Secondhandware anschauen, werden Sie feststellen, dass gerade gute Markenbekleidung aufgrund ihrer Qualität und Langlebigkeit immer wieder in Umlauf geht. Diese Wertigkeit zahlt auch ganz entscheidend auf Nachhaltigkeit ein, deswegen unterstützen wir Secondhand. Wir denken Kreislaufwirtschaft aber umfassender. Das fängt schon beim Einsatz der Materialien an, die im besten Fall kompostierbar oder wiederverwertbar sein sollten. Denken Sie an Teppiche aus Meeresmüll, Outdoorjacken aus Plastikflaschen oder Fasern aus Ananasschalen. Hier müssen wir branchenübergreifend unterwegs sein. Viele Unternehmen sind damit schon wesentlich weiter, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Gerade die Bekleidungsindustrie ist global stark vernetzt. Ein Großteil der Mode wird außerhalb Europas produziert. Braucht es da nicht mehr als nationale Anstrengungen, um Produktionsprozesse nachhaltiger zu gestalten?

Nationale Gesetzgebungen wie das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz zu den Lieferketten sind ein Widerspruch in sich. Sie machen einfach keinen Sinn in einem globalen Markt, noch dazu, wenn sie zulasten ausgerechnet jener Unternehmen gehen, die global für beste Umwelt- und Sozialstandards stehen. Nach einer Umfrage unter unseren Mitgliedern planen über 90 Prozent, ihre nachhaltigen Produktanteile noch weiter auszuweiten. Nachhaltigkeit ist ein Megatrend, sie gehört inzwischen zu jeder Unternehmensstrategie.

Was würden Sie sich von den anstehenden Koalitionsvereinbarungen wünschen, um den Mode- und Textilstandort Deutschland zu stärken?

Ein ehrliches Bekenntnis der deutschen Politik zum Industriestandort Deutschland, keine Lippenbekenntnisse, die in Gesetzgebungsprozessen dann gleich wieder auf dem Altar moralischer Debatten geopfert werden. Wir dürfen die Industrie nicht aus unserem Land vertreiben, wir müssen sie stärken. Nur mit unseren Unternehmen und ihren Innovationen werden wir Klimaneutralität schaffen, keinesfalls mit Verbotsfantasien. In unserem Fall heißt das: die Textilforschung stärken, schnell und ausreichend bezahlbaren grünen Strom und grünen Wasserstoff bereitstellen und unsinnige Auflagen beseitigen, die Innovationen bremsen. Wir brauchen gerade nach den Corona-Lockdowns eine Wiederbelebung der Innenstädte und Steuergerechtigkeit mit Blick auf globale Online-Plattformen. Ohne einen vielfältigen stationären Einzelhandel wird es keine lebenswerten Innenstädte in Deutschland und Europa geben.

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