Nach den Hamsterkäufen sind jetzt nachhaltige Lebensmittel gefragt
Deutschlands viertgrößter Industriezweig bringt jährlich Tausende neue Produkte auf den Markt, doch nur die wenigsten finden einen festen Platz im Supermarktregal. Besonders gefragt sind derzeit Lebensmittel mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen sowie pflanzenbasierte Alternativen.
- Die deutsche Ernährungsindustrie ist mit einem Gesamtumsatz von jährlich 185 Milliarden Euro und mehr als 6.100 Betrieben der viertgrößte Industriezweig hierzulande.
- Der Inlandsumsatz der deutschen Ernährungsindustrie ist im ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum um fast 6 Prozent geschrumpft – Grund dafür ist, dass die Verbraucher keine Hamsterkäufe mehr tätigen.
- Dagegen hat sich das Exportgeschäft in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 wieder erholt.
Trockenlachs in Scheiben, veganer Fischsalat, Kombucha Shots, tiefgekühlte Pestowürfel und Knäckebrot aus Kichererbsen: Die Ernährungsindustrie entwickelt laufend neue Produkte, von denen sich aber nur ein Bruchteil am Markt durchsetzt. Allein in Deutschland kommen jedes Jahr zu den 170.000 bis 180.000 etablierten Lebensmittelkreationen rund 40.000 neue Produkte hinzu – und genauso viele verschwinden auch wieder, denn der Platz in der Supermarktregalen ist begrenzt.
Kulinarische Novitäten, die nachhaltig oder pflanzenbasiert sind oder einen gesundheitsorientierten Zusatznutzen bieten, sind bei Verbrauchern aktuell beliebt.
Gute Absatzchancen haben derzeit kulinarische Novitäten, die nachhaltig oder pflanzenbasiert sind oder einen gesundheitsorientierten Zusatznutzen bieten wie etwa türkischer Kaffee mit dem Bindegewebseiweiß Kollagen. Wie relevant solche Aspekte sind, zeigt ein Blick auf die im Oktober in Köln zu Ende gegangene Leitmesse Anuga. Sie hatte mit rund 4.600 Ausstellern zwar deutlich weniger Messestände als die Vorläuferveranstaltung 2019, doch 2.000 der diesjährigen Aussteller waren auf biologische Nahrungsmittel, regionale Produkte und fairen Handel spezialisiert.
Globaler Markt für Bioprodukte wird weiter wachsen
In Deutschland wird der Biomarkt vielfach noch als Nische betrachtet – und das ist er auch mit zuletzt 6,4 Prozent Anteil am heimischen Lebensmittelmarkt. Global sieht die Prognose jedoch etwas anders aus: Eine Studie des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Global Industry Analysts (GIA) kommt zu dem Ergebnis, dass der internationale Markt für Bioprodukte kräftig wachsen wird: Für das Jahr 2020 schätzt GIA den weltweiten Umsatz auf 198 Milliarden Dollar, 2027 sollen bereits 496 Milliarden Dollar erzielt werden. Allein für Obst und Gemüse aus biologischem Anbau rechnen die Marktforscher mit einer jährlichen Wachstumsrate von knapp 15 Prozent. In den Segmenten Biofleisch, -fisch und -geflügel wird der Umsatz in den kommenden sieben Jahren der Prognose zufolge sogar um jährlich mehr als 15 Prozent steigen.
In Deutschland verdient die Ernährungsindustrie das meiste Geld mit Fleisch – in der Regel aus konventioneller Haltung. Obwohl Fleischersatzprodukte wie pflanzenbasierte Hähnchen-Nuggets und Hackbällchen aus Erbsenprotein boomen, entfällt der größte Umsatzanteil auf klassische Schnitzel und Leberwurst (Grafik):
Im Jahr 2020 erzielte die deutsche Ernährungsindustrie fast ein Viertel ihres Gesamtumsatzes von rund 185 Milliarden Euro mit Fleisch und Fleischprodukten.
Zum Vergleich: Der Umsatzbringer Nummer zwei, das sind Milch und Milchprodukte, kommt nur auf einen Marktanteil von rund einem Sechstel. Und Backwaren, die das drittgrößte Marktsegment bilden, tragen lediglich 10 Prozent zum Umsatz bei.
Mittelständisch und exportorientiert
Die deutsche Ernährungsindustrie ist mit mehr als 6.100 meist kleinen und mittelständischen Betrieben der viertgrößte Industriezweig hierzulande. Während des ersten Lockdowns 2020 war die Systemrelevanz der Branche plötzlich für jeden spürbar, viele Verbraucher kauften aus Angst vor Versorgungsengpässen große Mengen an Konserven und haltbaren Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Zucker. Diese Hamsterkäufe trugen dazu bei, das Minus im Exportgeschäft sowie den Umsatzrückgang von 35 Prozent im Außer-Haus-Markt zu kompensieren. Zu Letzterem zählen Gastronomie und Hotellerie, die für die Zubereitung von Speisen vielfach auf vorverarbeitete Produkte zurückgreifen.
Im zweiten Jahr der Pandemie haben sich die Lebensmitteleinkaufsgewohnheiten der Bundesbürger wieder normalisiert (Grafik):
Weil keine Hamsterkäufe mehr getätigt wurden und die Gastronomie viele Wochen lang geschlossen war, ist der Inlandsumsatz der deutschen Ernährungsindustrie im ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum um fast 6 Prozent geschrumpft.
Dagegen hat sich das Exportgeschäft – ein Drittel des Gesamtumsatzes erzielt die Branche im Ausland – im ersten Halbjahr 2021 wieder erholt. Rund 70 Prozent des ausländischen Umsatzes entfallen auf Lieferungen an andere EU-Staaten – allen voran die Niederlande, gefolgt von Frankreich, Italien und Österreich. Knapp 14 Prozent des Auslandsumsatzes wurden zuletzt in europäischen Ländern außerhalb der EU wie dem Vereinigten Königreich, der Schweiz, Russland und Norwegen erzielt und knapp 10 Prozent in Asien.
Vom Rohstoff zum Lebensmittel
Tiefkühlpizzen wachsen nicht an Bäumen: Die rund 6.000 deutschen Unternehmen der Ernährungsindustrie verarbeiten Agrarrohstoffe zu Lebensmitteln. Rund drei Viertel dieser Rohstoffe stammen aus Deutschland, ein Viertel wird im europäischen und außereuropäischen Ausland eingekauft, da sie in Deutschland nicht in ausreichenden Mengen vorhanden sind oder – wie beispielsweise Kaffee, Kakao und Palmöl – hier nicht angebaut werden können. Neben den Personal- und Energiekosten machen Rohstoffpreise den entscheidenden Kostenanteil in der Produktion verarbeiteter Lebensmittel aus.