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Interview: „Kein anderes Land hat so viele Hidden Champions wie wir“

Warum es ausgerechnet in Deutschland so viele heimliche Weltmarktführer gibt? Das liegt auch an der deutschen Geschichte, sagt Hermann Simon. Der ehemalige BWL-Professor, Unternehmensgründer und Autor kennt sich mit Hidden Champions bestens aus, schließlich ist er der Namensgeber für diese Unternehmensform.

Kernaussagen in Kürze:
  • Hidden Champions sind meist mittelständische Unternehmen, die jeweils zu den drei wichtigsten Firmen in ihrem Segment auf dem Weltmarkt gehören sowie weniger als 5 Milliarden Euro Jahresumsatz und eine geringe Bekanntheit in der Öffentlichkeit haben, sagt Hermann Simon, Namensgeber für diese Unternehmensform.
  • Dass es in Deutschland so viele dieser Firmen gibt, liegt laut ihm vor allem an der frühen Tendenz zur Internationalisierung, speziellen regionalen Kompetenzen und dem dualen Berufsbildungssystem.
  • Für das künftige Wachstum von heimlichen Weltmarktführern seien hohe Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung entscheidend.
Zur detaillierten Fassung

Welche typischen Merkmale haben Hidden Champions in Ihrer Definition?

Das sind mittelständische Unternehmen, die jeweils zu den drei wichtigsten Firmen in ihrem Marktsegment auf dem Weltmarkt gehören. Sie haben weniger als 5 Milliarden Euro Jahresumsatz und ihre Bekanntheit in der Öffentlichkeit ist meist gering. Das kommt daher, dass der übergroße Anteil dieser Unternehmen sich nicht mit Konsumprodukten beschäftigt, sondern sich auf Industriegüter fokussiert. Diese Hidden Champions konzentrieren sich zudem auf ihre Marktnische, die sie weltweit bedienen, und erreichen jeweils in ihrem recht engen Bereich ein überragendes Know-how sowie eine hohe Fertigungstiefe.

Und in Deutschland sind diese Unternehmen besonders wichtig?

Genau. Hidden Champions erarbeiten einen Großteil der Exportkraft Deutschlands und damit indirekt auch des Wohlstands im Lande. Weltweit habe ich inzwischen knapp 4.000 Hidden Champions identifiziert, rund 1.600 davon haben ihren Sitz in Deutschland. Kein anderes Land hat so viele Hidden Champions wie wir!

Warum gibt es denn gerade hierzulande so viele dieser Firmen?

Dafür kann ich mindestens ein Dutzend Ursachen aufführen. Aber ich will mich auf einige wenige beschränken: Deutschland war bis 1918 kein einheitlicher Nationalstaat, sondern eine Ansammlung von mehr als 20 Monarchien und Fürstentümern und drei Hansestädten. Ein Unternehmer aus München, der wachsen wollte, musste also sehr schnell „internationalisieren“, wenn er zum Beispiel Geschäfte mit Stuttgart oder Dresden machen wollte. Diese frühe Tendenz zur Internationalisierung ist bis heute typisch für deutsche Unternehmer – ganz anders als etwa in Frankreich, Japan oder den USA.

Eine weitere Ursache ist, dass wir in vielen Regionen ganz spezielle Kompetenzen hatten. So gibt es im Schwarzwald mehr als 500 Medizintechnikfirmen, deren Ursprung auf die dortige Uhrenindustrie zurückzuführen ist. Und in Göttingen haben wir 39 Messtechnikunternehmen. Warum? Weil die mathematische Fakultät der Göttinger Universität über Jahrhunderte weltweit führend war. Und natürlich spielt unser duales Berufsbildungssystem eine wichtige Rolle für die Hidden Champions: Wir haben die am besten ausgebildeten Facharbeiter der Welt.

Gibt es noch weitere gemeinsame Merkmale dieser im Grunde sehr verschiedenen Firmen?

Es gibt da noch einige wichtige Punkte. Stichwort Innovation: Die Hidden Champions geben doppelt so viel für Forschung und Entwicklung aus und melden fünfmal so viele Patente an wie der Durchschnitt der Industrie. Stichwort Kundennähe: 38 Prozent der Mitarbeiter dieser Firmen haben regelmäßig Kundenkontakt – bei unseren bekannten Großunternehmen sind es nur 8 Prozent. Stichwort Fachkräfte: Hidden Champions bilden mit einer Azubiquote von knapp 10 Prozent, gemessen an der Belegschaftsgröße, doppelt so viele Lehrlinge aus wie die Firmen im Industriedurchschnitt.

Die Hidden Champions geben doppelt so viel für Forschung und Entwicklung aus und melden fünfmal so viele Patente an wie der Durchschnitt der Industrie.

Forschung und Entwicklung haben also eine große Bedeutung für das künftige Wachstum von Hidden Champions?

Dieser Punkt ist enorm wichtig, vielleicht sogar entscheidend. Denn chinesische Unternehmen vergleichbarer Größenordnung haben heute etwa die dreifache Mitarbeiterzahl in Forschung und Entwicklung wie unsere Weltmarktführer – da muss sich bei uns etwas tun. Nehmen wir Carl Zeiss, den Weltmarktführer in Optik und Photonik: Im Unternehmen arbeiten 3.100 Leute in der Forschung. Bei Hikvision, dem chinesischen Weltmarktführer bei Überwachungskameras, sind in diesem Bereich 9.300 Beschäftigte tätig, also exakt das Dreifache. Nur mit sehr hoher Innovationskraft kann man die technologische Weltmarktspitze halten oder ausbauen. Ich habe 2005 Nokia in Finnland besucht, den damals unangefochtenen Weltmarktführer im Handymarkt mit fast 50 Prozent Weltmarktanteil. Die Nokia-Manager waren aufgrund dessen auch reichlich unbesorgt: „Wir sind unschlagbar, wir haben 19.000 Mitarbeiter in der Forschung“, hieß es. Drei Jahre später habe ich in Neu-Delhi einen Vortrag des Huawei-Chefs gehört, der sagte: „Wir haben 52.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung.“ Nun, wir wissen alle, wie diese Geschichte ausgegangen ist …

Hermann Simon ist Namensgeber für die Unternehmensform der "Hidden Champions"; Foto: Christoph Neumann Hidden Champions sind oft Familienunternehmen und werden über Jahrzehnte von gestandenen Unternehmern geleitet. Ist das ein Vorteil?

Tatsächlich beträgt die durchschnittliche Amtsdauer des Geschäftsführers bei den Hidden Champions 21 Jahre. In deutschen Großunternehmen sind es nur sechs Jahre. Das sagt einerseits viel über das Thema langfristige Orientierung und Strategie aus – das kann aber in Zeiten des Wandels, wie wir sie gerade erleben, auch nötige Änderungen blockieren oder verzögern. Was mir aber wichtig ist: Die letzten 40 Jahre haben gezeigt, wie anpassungsfähig gerade der deutsche Mittelstand ist.

Wir erleben gerade einen groß angelegten Umbau der Wirtschaft zu noch mehr Nachhaltigkeit, Stichwort Dekarbonisierung. Welche Chancen sind damit verbunden?

Dieser Bereich hat enormes Potenzial, zumal sehr viele Hidden Champions in der einen oder anderen Weise schon mittendrin stecken. Die meisten Akteure in diesem Bereich starten in Nischenmärkten wie dem Wasserstoff oder mit neuen Materialien. Das ist genau das richtige Spielfeld für diese Unternehmen. Dazu ein Beispiel: Die meisten Hemden werden heute noch aus Baumwolle hergestellt, einem Material, das bei der Herstellung unglaubliche Mengen Wasser benötigt. Aber Baumwollfasern können ersetzt werden durch Holzfasern. Weltmarktführer ist das österreichische Unternehmen Lenzing Group. Für ein Baumwollhemd brauchen Sie 2.700 Liter Wasser, für ein Hemd aus Lyocell – dem Material von Lenzing – 180 Liter, die Anbaufläche für ein Baumwollhemd ist zehnmal so groß wie für ein Lyocell-Hemd und im Preis unterscheiden sich die Hemden kaum.

Potenzial gibt es auch in den Bereichen Recycling und Remanufacturing. Bei Kaffeekapseln etwa kann Aluminium durch biologisch basiertes Material ersetzt werden. All dies sind Arbeitsbereiche von Hidden Champions aus Deutschland.

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