Berufliche Anerkennung Lesezeit 5 Min.

Interview: „Integration ist nun mal kein Selbstläufer“

Rund die Hälfte der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland möchte gerne arbeiten. Rein rechtlich können sie das auch ohne Weiteres. Warum es dennoch sinnvoll ist, dass Geflüchtete zunächst einen Antrag auf Anerkennung ihrer ausländischen Berufsabschlüsse stellen, erklärt Anika Jansen, Economist beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA).

Kernaussagen in Kürze:
  • Viele Flüchtlinge aus der Ukraine bringen Berufsabschlüsse mit, die in Deutschland sehr gefragt sind, sagt Anika Jansen vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung.
  • Weil in Deutschland viele reglementierte Berufe existieren, rät sie dazu, sich auf jeden Fall den ausländischen Abschluss anerkennen zu lassen, weil man sonst nicht in diesem Beruf arbeiten darf.
  • Zu den reglementierten Berufen zählen Jobs im Gesundheitssektor und in der Kindererziehung. Doch auch für nicht reglementierte Berufe lohne sich die Anerkennung, so Jansen.
Zur detaillierten Fassung

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer verfügen über berufliche Qualifikationen, die in Deutschland sehr gefragt sind. Löst der Angriffskrieg Putins unser Fachkräfteproblem?

Nein, ich glaube nicht, dass wir so unser Fachkräfteproblem lösen. Die meisten Menschen aus der Ukraine kommen ja hierher, weil sie vor dem Krieg flüchten – da steht zuallererst die humanitäre Hilfe im Vordergrund. Vielfach ist auch gar nicht klar, wie lange die Menschen aus der Ukraine bleiben wollen. Manche gehen bereits jetzt schon wieder zurück.

Die ukrainischen Zuwanderer haben vergleichsweise gute Chancen, sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren.

Für diejenigen, die ein bisschen länger bleiben wollen, braucht es allerdings berufliche Perspektiven. Von den ukrainischen Zuwanderern, die vor dem Krieg nach Deutschland gekommen sind, wissen wir, dass sie oftmals in Berufen arbeiten, die hierzulande einen hohen Fachkräftemangel aufweisen. Sie haben also vergleichsweise gute Chancen, sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wie viele der ukrainischen Flüchtlinge wollen denn länger bleiben?

Das ist nicht bekannt. Bislang sind rund 700.000 Geflüchtete aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, doch wenn sie zurückkehren und sich nicht abmelden, wird das nicht erfasst. Man weiß jedoch aus einer Befragung des Bundesinnenministeriums vom März 2022, dass 52 Prozent der erwachsenen Geflüchteten aus der Ukraine gerne einer Beschäftigung nachgehen wollen.

Anika Jansen ist Economist beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung; Foto: Julia Haack/KOFA Sie empfehlen ukrainischen Flüchtlingen, sich ihre Ausbildung oder ihren Berufsabschluss in Deutschland formal anerkennen zu lassen, damit sie hier einer Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation nachgehen können. Wie sinnvoll ist das, wenn viele so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat wollen?

Wir haben viele reglementierte Berufe in Deutschland, in denen man sich den ausländischen Abschluss anerkennen lassen muss, sonst darf man in diesem Beruf gar nicht arbeiten. Das gilt beispielsweise für den Gesundheitssektor und die Kindererziehung. Viele Handwerksberufe sowie Berufe in der Industrie und im kaufmännischen Bereich sind dagegen nicht reglementiert, hier kann jemand also grundsätzlich auch dann arbeiten, wenn er keinen anerkannten Abschluss dafür hat. Aber die Chancen, in solchen nicht reglementierten Berufen zu arbeiten, erhöhen sich natürlich trotzdem, wenn man die Anerkennung dafür vorweisen kann.

Wie funktioniert die Anerkennung im Detail?

Die deutschen Kammern prüfen genau, ob die Inhalte der Ausbildung in der Ukraine den Inhalten der Ausbildung in diesem Beruf in Deutschland entsprechen.

Trotz vollwertiger beruflicher Anerkennung verdienen ausländische Fachkräfte in Deutschland im Schnitt erst nach sieben Jahren so viel wie ihre deutschen Kollegen. Woran liegt das?

Das liegt in erster Linie an sprachlichen Problemen. Deutsche Sprachkenntnisse sind entscheidend für die Integration. Bei gleichem Bildungsstand und gleichen Sprachkenntnissen gibt es keinen Lohnunterschied mehr zwischen ausländischen und deutschen Fachkräften.

Wie viele der Flüchtlinge aus der Ukraine sprechen denn Deutsch?

Laut Befragung des Innenministeriums sehr wenige: 4 Prozent sprechen demnach gut Deutsch, 5 Pro-zent ausreichend. Eine Mehrheit von 63 Prozent spricht gar kein Deutsch.

Wie lange dauert es erfahrungsgemäß, bis ein Ausländer ohne Deutschkenntnisse die deutsche Sprache so gut spricht, dass er hier problemlos beschäftigt werden kann?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt sprachbegabte Leute, die können nach einem Jahr schon so gut Deutsch sprechen, dass sie in einem deutschen Unternehmen recht gut zurechtkommen. Bei anderen kann das auch länger dauern. Doch auch die Betriebe können sich öffnen und mehr verschriftlichte Arbeitsanweisungen, Einführungsseminare oder Trainings auf Englisch anbieten. Und zu guter Letzt kommt es auch auf den Beruf an: Im Gesundheits- oder Erziehungsbereich, wo man viel mit Menschen sprechen muss, ist die Beherrschung der deutschen Sprache elementar, während es im handwerklichen Bereich nicht ganz so schlimm ist, wenn ein ausländischer Mitarbeiter selbst nicht so gut deutsch sprechen kann, er aber versteht, was gesagt wird.

Es kommen vor allem Frauen und Kinder aus der Ukraine hierher. Wenn Mütter arbeiten wollen, geht das nur, wenn die Kinder gut versorgt sind. Es gibt aber schon jetzt zu wenige Kitaplätze in Deutschland.

Die Herausforderung wird auf jeden Fall größer durch die ukrainischen Kinder, denn in der Kinderbetreuung hat Deutschland die größte Fachkräftelücke, hier fehlen also die meisten Leute. Andererseits kommen mit den Flüchtlingen auch einige Fachkräfte, die in der Kinderbetreuung oder im Erziehungssektor gearbeitet haben. In der Vergangenheit rangierten diese Berufe immerhin auf Platz fünf bei den Ukrainerinnen und Ukrainern, die in Deutschland einen Antrag auf Anerkennung ihres Berufsabschlusses gestellt haben.

Auch an den Schulen sieht es nicht viel besser aus. Durch die Aufnahme ukrainischer Schülerinnen und Schüler ins Schulsystem braucht Deutschland mindestens 13.500, womöglich sogar 20.000 zusätzliche Lehrer. Wo sollen die so schnell herkommen?

Ja, wir haben in Deutschland einen Lehrermangel. Aber auch diesen Beruf bringen viele Ukrainerinnen und Ukrainer mit – bei den Anerkennungszahlen, die wir für die Jahre 2016 bis 2020 ausgewertet haben, stehen Lehrkräfte der Sekundarstufe auf Platz drei. Trotzdem kommen unterm Strich zu wenige, um unser Fachkräfteproblem zu lösen.

Ist Deutschland unter diesen Umständen überhaupt bereit, diese Integrationsleistung hinsichtlich der geflüchteten Kinder und auch der geflüchteten Erwachsenen zu erbringen?

Beim KOFA gucken wir uns in erster Linie die betriebliche Seite an. Viele Betriebe in Deutschland leiden unter einem großen Fachkräftemangel und deshalb sollten sie, wenn sie internationale Fachkräfte beschäftigen wollen, auch offen und flexibel sein und zum Beispiel in Meetings oder Handreichungen auch mal die englische Sprache einsetzen, wenn es möglich ist. Das können Unternehmen in den Niederlanden oder Dänemark besser, was einfach daran liegt, dass dort viel selbstverständlicher Englisch gesprochen wird.

Hinzu kommt, dass die Rekrutierung von internationalen Arbeitskräften nicht am ersten Arbeitstag aufhört. Die neuen Mitarbeiter müssen auch sozial integriert werden, dafür braucht es eine besondere Firmenkultur, wo die Mitarbeiter beispielsweise regelmäßig etwas miteinander unternehmen. Sinnvoll ist es auch, Mentoren zu stellen, die sich um die ausländischen Mitarbeiter kümmern. Hilfreich ist überdies, wenn die Firma auch Familienangehörige bei Dingen wie der Kinderbetreuung oder der Wohnungssuche unterstützt. Hier tut sich zwar schon einiges in den deutschen Betrieben, aber da ist noch Luft nach oben. Integration ist nun mal kein Selbstläufer.

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