Interview: „In unserem Geschäftsmodell gibt es keine Verlierer“
Das Plattformunternehmen Too Good To Go bringt erfolgreich Betriebe, die übrig gebliebene Lebensmittel und Speisen abgeben wollen, und preisbewusste Verbraucher zusammen. Warum alle Beteiligten von dieser Idee profitieren, erläutert Wolfgang Hennen, Geschäftsführer Deutschland von Too Good To Go.
- Mithilfe der Too-Good-To-Go-App werden in Deutschland pro Jahr zwischen einer und anderthalb Millionen Mahlzeiten gerettet, die sonst weggeschmissen würden, sagt Wolfgang Hennen, Geschäftsführer Deutschland des gleichnamigen Plattformunternehmens.
- In Deutschland hat Too Good To Go aktuell mehr als neun Millionen Nutzer, die bei ungefähr 16.000 Partnerbetrieben Lebensmittel zu reduzierten Preisen einkaufen können. „In diesem Jahr wollen wir um weitere 50 Prozent wachsen“ , sagt Hennen.
- Seit Mitte 2022 schreibt das Unternehmen in Deutschland schwarze Zahlen, auf globalem Niveau seit November 2022.
Wann haben Sie das letzte Mal Essen weggeworfen?
Leider machen wir das ja alle und auch regelmäßig. Ich glaube aber, dass ich im Durchschnitt sehr viel weniger wegwerfe als der durchschnittliche Bürger.
Warum schmeißen wir so viele Lebensmittel weg?
Ich bin seit zwei Jahrzehnten in der Lebensmittelbranche tätig und ich beobachte, dass wir alle die Verbindung und die Nähe zu den Nahrungsmitteln mehr und mehr verloren haben. Früher hatten die Verbraucher eine wesentlich bessere Produktkenntnis, auch hinsichtlich dessen, was noch genießbar ist und was nicht mehr. Deswegen haben wir eine Kampagne mit dem Titel „Oft länger gut“ gestartet, wo wir versuchen, aufzuklären, wie man erkennt, was noch verzehrt werden kann. Das Mindesthaltbarkeitsdatum hat diesbezüglich zu einer vollkommen verzerrten Wahrnehmung geführt.
Sie haben in Deutschland mehr als neun Millionen Nutzer. Gibt es einen Prototyp?
Nein, es gibt keinen und das hat uns selbst erstaunt. Wir dachten, wir seien als Start-up stark vertreten bei der jüngeren, urbanen Bevölkerung, die ein ausgeprägtes Nachhaltigkeitsbewusstsein mitbringt – und so war es zu Beginn wahrscheinlich auch. Mittlerweile haben wir den kompletten Querschnitt der Bevölkerung auf der Plattform, da sind Senioren, Alleinerziehende, Großfamilien, Studenten und Schüler dabei.
Wie soll es für ihr Unternehmen weitergehen?
Im vergangenen Jahr sind wir um 100 Prozent gewachsen, wir haben uns 2022 also quasi verdoppelt. In diesem Jahr wollen wir um weitere 50 Prozent wachsen. Das ist mit sehr viel Überzeugungsarbeit verbunden, denn es ist schwer, neue Partnerbetriebe zu gewinnen. Lebensmittelverschwendung ist mit Scham belegt und diese Scham müssen die Unternehmen erst einmal überwinden, bevor sie mit uns zusammenarbeiten.
Wir haben etwa 16.000 Partnerbetriebe in Deutschland und retten pro Tag mehr als 40.000 Mahlzeiten.
Aktuell haben wir ungefähr 16.000 Partnerbetriebe in Deutschland, wir retten pro Tag mehr als 40.000 Mahlzeiten, im Monat sind es zwischen einer und anderthalb Millionen Mahlzeiten. Und das ist immer noch nur ein Bruchteil der Lebensmittelverschwendung. Unser Traum ist es, einen Planeten ohne Lebensmittelverschwendung zu haben. Da können wir mit unserer Plattform einen Beitrag leisten. Darüber hinaus investieren wir in Aufklärung und wir werden unsere Zusammenarbeit mit den Partnerbetrieben verstärken, um gemeinsam nach Lösungen gegen die Lebensmittelverschwendung zu suchen.
Ist eine Ausweitung geplant? In anderen Ländern kann man mit der Too-Good-To-Go-App auch Pflanzen erstehen.
Nein, wir wollen uns auf die Lebensmittelverschwendung fokussieren.
Schreiben Sie schwarze Zahlen?
Ja, wir schreiben in Deutschland seit Mitte 2022 schwarze Zahlen und auf globalem Niveau seit November 2022. Das ist das Einzigartige an unserem Geschäftsmodell: Es gibt keine Verlierer. Der Händler gewinnt, weil er seine Ware noch für 30 Prozent des ursprünglichen Verkaufspreises absetzen kann und Kundschaft in den Laden bekommt, die sonst nicht käme. Der Kunde gewinnt, weil er gute Lebensmittel für einen niedrigeren Preis erhält. Und auch die Umwelt profitiert, wenn Lebensmittel verzehrt statt weggeworfen werden.
Leiden die Tafeln nicht darunter, wenn Supermärkte und Restaurants ihre überschüssige Ware über Ihre App verkaufen, statt sie an Bedürftige zu spenden?
Wir sind komplementär zu den Tafeln, weil wir dieser Organisation gar nicht in die Quere kommen. Die Tafeln haben feste Abholzeiten, sie brauchen eine gewisse Grundmenge und es gibt einige Lebensmittel, die die Tafeln gar nicht annehmen dürfen, wie belegte Brötchen. Wir arbeiten übrigens auch mit vielen Betrieben zusammen, wo wir mit den Tafeln gemeinsam Lebensmittel retten.