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Lebensmittelver­schwendung: 131 Kilogramm im Jahr für die Tonne

In Deutschland werden jedes Jahr Millionen Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen, die noch genießbar sind. Für mehr als die Hälfte dieser Verschwendung sind die Verbraucher verantwortlich, die häufig zu große Mengen einkaufen und aus Unkenntnis noch Verzehrfähiges entsorgen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der EU-Durchschnittswert für verschwendete Lebensmittel je Einwohner betrug 127 Kilogramm im Jahr 2020, in Deutschland waren es 131 Kilogramm.
  • In der Bundesrepublik sind für annähernd 60 Prozent der Verschwendung die Verbraucher verantwortlich.
  • Neben einer besseren Einkaufsplanung und korrektem Lagern rät das Bundeslandwirtschaftsministerium auch dazu, das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Lebensmitteln nicht so ernst zu nehmen.
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27 Kilogramm Obst und Gemüse, zwölf Kilogramm zubereitete Speisen, zehn Kilogramm Brot und Gebäck, neun Liter Säfte und andere Getränke, sieben Liter Milch und Joghurt, fünf Kilogramm Schokolade, Chips und Süßigkeiten, vier Kilogramm Fertigprodukte, drei Kilogramm Fleisch und Wurst – was wie eine mehr oder weniger ausgewogene Ernährungspyramide klingt, landet leider im Müll. Denn das sind die Mengen, die jeder Bundesbürger pro Jahr wegschmeißt (Grafik):

Im Jahr 2020 warfen Verbraucher in Deutschland im Schnitt 78 Kilogramm Lebensmittel weg.

So viel Prozent der Lebensmittelabfälle der privaten Haushalte im Jahr 2020 in Deutschland entfielen auf diese Produktgruppen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Mit knapp 60 Prozent tragen die privaten Haushalte den größten Anteil am Food Waste. Doch auch anderswo landet Essbares regelmäßig in der Tonne: Gaststätten, Restaurants und Kantinen steuern 17 Prozent zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland bei, während der Verarbeitung landen 15 Prozent im Müll und im Handel immerhin noch 7 Prozent (Grafik):

Während der Primärproduktion – also auf den Feldern, in den Ställen und im Meer – geraten nur 2 Prozent der Nahrungsmittel unter die Räder.

So viele Millionen Tonnen Lebensmittel wurden 2020 in Deutschland weggeworfen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das liegt auch daran, dass Verluste, die vor oder während der Ernte oder Schlachtung entstehen, sowie solche Lebensmittel, die in hofeigenen Biogasanlagen landen, von der Statistik nicht erfasst werden.

Mit 131 Kilogramm je Einwohner im Jahr liegt die Bundesrepublik noch nicht mal an der Spitze der Lebensmittelverschwender in der EU. Dänen werfen im Schnitt 221 Kilogramm pro Kopf im Jahr fort.

Rechnet man nun all diese Mengen zusammen, ergibt sich für das Jahr 2020 – neuere Daten liegen nicht vor – ein Berg von weggeworfenen Lebensmitteln in Deutschland, der fast elf Millionen Tonnen wiegt. Legt man diese Menge auf alle Einwohner um, ergibt sich eine Pro-Kopf-Verschwendung von 131 Kilogramm. Mit diesem Aufkommen steht die Bundesrepublik noch nicht mal an der Spitze (Grafik):

Der EU-weit größte Lebensmittelverschwender war im Jahr 2020 Dänemark mit 221 Kilogramm pro Kopf, gefolgt von Griechenland (191 Kilogramm) und Portugal (184 Kilogramm).

So viele Kilogramm Lebensmittel wurden 2020 in der EU-27 je Einwohner weggeworfen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Weil in vielen Staaten aber auch deutlich weniger weggeschmissen wird, ergibt sich ein EU-Durchschnittswert von 127 Kilogramm verschwendeter Lebensmittel je Einwohner für das Jahr 2020.

Weltweit wird etwa ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen. Kalendarisch ausgedrückt heißt das: Sämtliche Nahrungsmittel, die bis zum 2. Mai eines Jahres produziert werden, landen früher oder später in der Tonne. Das ist nicht nur eine ungeheure Ressourcenverschwendung, sondern belastet auch das Klima. Denn diese nicht verzehrten Lebensmittelmengen verursachen Jahr für Jahr mehr als 38 Millionen Tonnen Treibhausgase. Dass außerdem massenhaft Essbares weggeworfen wird, während weltweit Millionen von Menschen hungern, ist überdies ein großes humanitäres Problem.

Food Loss and Waste, ein weltweites Problem

Dabei gibt es ein Menschenrecht auf angemessene Ernährung, für das sich seit dem Jahr 2000 der jeweilige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen einsetzt. Außerdem hat die UN-Vollversammlung den 29. September zum International Day of Awareness of Food Loss and Waste ausgerufen, der an das im Rahmen der Agenda 2030 gesteckte Ziel erinnert, die weltweite Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.

Was lässt sich im Einzelnen tun?

Weil Lebensmittel verderblich sind, ist es sinnvoll, den Verschwendungskampf primär lokal zu organisieren.

In Frankreich etwa sind Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern seit Februar 2016 gesetzlich verpflichtet, Partnerschaften mit der Tafel oder anderen Hilfsorganisationen abzuschließen, die die unverkauften, aber noch brauchbaren Lebensmittel abnehmen. Betriebe, die sich nicht daran halten und Essbares entsorgen oder ungenießbar machen, müssen vom Umsatz abhängige Strafen zahlen.

Paris gewährt ihnen im Gegenzug zur Spende Steuererleichterungen: Die Supermärkte können 60 Prozent des Einkaufspreises der abgegebenen Waren von der Steuer absetzen. Seit 2018 gilt das Gesetz gegen die Lebensmittelverschwendung auch für den Großhandel, größere Lebensmittelhersteller sowie Großkantinen.

Tschechien hat ebenfalls ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung verabschiedet. Dort müssen Supermärkte – genau wie in Frankreich ab 400 Quadratmetern Verkaufsfläche – seit fünf Jahren abgelaufene Lebensmittel spenden. Unternehmen, die dagegen verstoßen, drohen bis zu 400.000 Euro Strafe. Und auch in Dänemark und Italien existieren Regeln, die das Spenden von Lebensmitteln fördern.

In Deutschland gibt es bislang keine verbindlichen Gesetze gegen das Verschwenden von Nahrungsmitteln.

Zwar hat der Bund im Februar 2019 eine „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ vorgelegt, wonach die Menge der weggeworfenen Nahrungsmittel auf Einzelhandels- und Verbraucherebene bis 2030 halbiert werden soll. Und auch der Koalitionsvertrag der Ampelregierung sieht vor, „gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch zu reduzieren“.

Doch bislang gibt es nichts Verbindliches. Einen ersten Vorstoß haben Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesjustizminister Marco Buschmann nun im Januar unternommen: Sie plädierten dafür, dass das Containern – also das Herausholen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern – in den meisten Fällen künftig nicht mehr als Diebstahl geahndet werden soll. Noch im Sommer 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Containern in Deutschland eine Straftat bleibt, wenn dafür ein fremdes Grundstück betreten wird. Wer Lebensmittel aus Supermarktmülleimern entnimmt, gilt als Dieb.

Der Handel sträubt sich allerdings gegen den Vorstoß, das Containern zu legalisieren, und verweist auf mögliche Gesundheitsgefahren durch weggeschmissene Lebensmittel. So landen aufgrund von Warenrückrufen auch immer wieder Produkte im Abfall, die beispielsweise Glassplitter oder gefährliche Substanzen enthalten können. Weil die Unternehmen in Deutschland für ihren Müll haften, befürchtet der Handel Schadenersatzklagen, sollte das Containern legal werden.

Recht erfolgreich entwickeln sich dagegen digitale Geschäftsmodelle wie „Too Good to Go“.

Mithilfe dieser App können Kunden übrig gebliebene Nahrungsmittel von Cafés, Supermärkten, Restaurants und Bäckereien zu einem vergünstigten Preis erwerben. Das dänische Start-up hat in Deutschland mittlerweile mehr als neun Millionen Nutzer, die in rund 16.000 Betrieben einkaufen können.

Da der größte Anteil der Lebensmittel jedoch in Privathaushalten weggeworfen wird, müssen sich in erster Linie die Verbraucher fragen, wie sie für weniger Essensabfälle sorgen können. Hier ist offensichtlich Erfahrung von Vorteil: Haushalte, in denen ältere Menschen leben, werfen nämlich tendenziell weniger weg, während jüngere Haushaltsvorstände mehr potenziell verwertbare Lebensmittel entsorgen.

Besser als sich nach dem MHD zu richten: Schauen, riechen, schmecken

Neben einer besseren Einkaufsplanung und korrektem Lagern rät das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Verbrauchern unter anderem auch dazu, das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Lebensmitteln nicht so ernst zu nehmen. Stattdessen sollte man abgelaufene und damit vermeintlich ungenießbare Produkte anschauen, an ihnen riechen und sie vorsichtig kosten. Ist alles in Ordnung, spricht nichts gegen den Verzehr.

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