50 Jahre IW-Trends Lesezeit 4 Min.

Interview: „Heute würde ich mit jeder wissenschaftlichen Publikation durchrasseln“

Zum Gespräch bringt Jörg Beyfuß, 84, drei große, dunkelblau eingebundene Bände mit. Sie enthalten sämtliche 96 Aufsätze, die er als IW-Wissenschaftler unter seinem Namen für die Zeitschrift IW-Trends geschrieben hat. Im Interview erklärt er, warum er die Publikation, die dieses Jahr 50 Jahre alt wird, initiiert hat und mit welchen Widrigkeiten er anfangs kämpfen musste.

Kernaussagen in Kürze:
  • Jörg Beyfuß ist der Erfinder der vierteljährlich erscheinenden IW-Publikation IW-Trends, die dieses Jahr 50 Jahre alt wird.
  • Der Start war nicht ganz einfach. Beyfuß: „Es gab einen eklatanten Mangel an Autoren. Die ersten Nummern haben mein Kollege Thomas Vajna und ich alleine bestritten.“
  • Beyfuß und Vajna ging es in erster Linie darum, der empirischen Wirtschaftsforschung ein publizistisches Medium zu bieten.
Zur detaillierten Fassung

Herr Beyfuß, was war der Anlass, die IW-Trends auf den Weg zu bringen?

Ich bin Anfang 1966 ins Institut der deutschen Wirtschaft, das damals noch Deutsches Industrieinstitut hieß, eingetreten. Das war damals eine interessante Zeit, eine Zeit des Wandels: Kurt Kiesinger (CDU) regierte die Bundesrepublik, 1965 erschien das zweite Gutachten des Sachverständigenrats, das unter anderem die „konzertierte Aktion“ vorschlug, Karl Schiller (SPD) wurde Wirtschaftsminister. All dies führte zu einem grundlegenden Wandel im wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Denken, was letztlich zur Gründung dieser Zeitschrift geführt hat.

Können Sie das näher erläutern?

Bis zu meinem Eintritt ins IW war der Grundtenor der Wirtschaftspolitik und des wirtschaftspolitischen Denkens die Ordnungspolitik. Es ging um den Aufbau der Sozialen Marktwirtschaft und das Festigen und Verteidigen dieser Idee. Der erste Auftrag, den ich im IW bekam, war, das ordnungspolitische Bild des Karl Schiller zu umreißen. In der Wirtschaft herrschte damals große Sorge, dass mit ihm SPD-Wirtschaftspolitik in die Lande zöge – also die Vorstellung, die Wirtschaft sei steuerbar. Wir waren an einen Punkt gekommen, an dem sich alle Ökonomen in ganz Europa zur Machbarkeit der Wirtschaftspolitik hinwenden mussten. Und dafür war die gesamte ökonomische Liga – sowohl hier im IW als auch außerhalb – überhaupt nicht gewappnet.

Jörg Beyfuß war zwischen 1966 und 2002 als Wissenschaftler beim Institut der deutschen Wirtschaft beschäftigt; Foto: IW Medien

Und wie kam es dann zur IW-Trends-Gründung?

Die Medienlandschaft im IW damals sah so aus: Es gab die publizistische Abteilung, den Unternehmerbrief und den Schnelldienst. Aber es gab eine große Lücke zu den wissenschaftlichen Beiträgen. Es dauerte bis zu fünf Monate, bis die erschienen. Und diese Lücke galt es zu schließen, nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich: mit der empirischen Wirtschaftsforschung.

War die Gründung der IW-Trends ein Auftrag oder Ihre eigene Idee?

Das war unsere Idee. Ich habe mit meinem damaligen IW-Kollegen Thomas Vajna mal einen sehr schönen Abend bei einem Glas Kölsch verbracht, als uns diese Idee kam.

Gab es ein publizistisches Vorbild?

Klar, unsere großen Herausforderer waren der Wochenbericht des DIW und der ifo Schnelldienst. Allerdings hatten die schon damals namentlich gekennzeichnete Artikel.

Mussten Sie von der Idee bis zur ersten Ausgabe dicke Bretter bohren oder sind Sie offene Türen eingerannt?

In unserer monatlich stattfindenden Abteilungssitzung haben Thomas Vajna und ich die Idee vorgetragen. Und die erste Frage, die uns gestellt worden ist, lautete: „Was ist denn eigentlich Empirie?“ Darauf habe ich dem Kollegen geantwortet: „Sie machen Empirie. Sie machen den internationalen Arbeitszeitvergleich.“

Hatten Sie den Namen „IW-Trends“ schon erfunden zu dem Zeitpunkt?

Ja, den Namen und den Untertitel „Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung“ hatten wir schon. Wir hatten auch von Anfang an die Idee, die Namen der Autoren unter die Beiträge zu setzen, aber damit konnten wir uns nicht durchsetzen.

Warum nicht?

Es gab einen eklatanten Mangel an Autoren. Die ersten Nummern haben Thomas Vajna und ich alleine bestritten. Das änderte sich erst 1980, also sechs Jahre nach dem Erscheinungsdatum des ersten IW-Trends, als die Beiträge namentlich gekennzeichnet wurden.

Worum ging es denn in den ersten Ausgaben?

Es ging uns darum, Konjunkturbeobachtung zu betreiben. Deswegen war die letzte Seite immer mit Tabellen bestückt, um einzelne Konjunkturindikatoren wie den privaten Konsum zu illustrieren.

In den ersten Ausgaben der IW-Trends ging es darum, Konjunkturbeobachtung zu betreiben und einzelne Konjunkturindikatoren zu illustrieren.

Und wir haben ganz bewusst die einzelnen Aggregate der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung durchdekliniert: Was ist der private Verbrauch, was ist verfügbares Einkommen, was sind Investitionen, was ist Lagerhaltung? Schon im ersten Jahr haben wir, also Kollege Vajna und ich, eine Konjunkturprognose aufgestellt.

War es am Ende Zufall, dass die Entstehung der IW-Trends genau in die Zeit der ersten großen Energiekrise fiel?

Ja, das war Zufall. Die Zeiten damals waren heftig und deshalb hat es uns auch nie an Themen gemangelt. Vor jeder Sitzung der konzertierten Aktion sind Thomas Vajna oder ich von den Verbänden vorgeladen worden, wo wir dann eine Projektion abgegeben haben. Anders als heute basierte diese allerdings nur auf ganz einfachen Gleichungsmodellen. Offen gesagt: Heute würde ich bei jeder Publikation im IW durchrasseln. Ich kann vor dem, was hier heute geleistet wird, nur den Hut ziehen. Heute gibt es Big Data, wir hatten nichts. Auch das Sozio-oekonomische Panel gab es damals noch nicht.

Haben Sie damit gerechnet, dass die IW-Trends 50 Jahre alt werden?

Ich habe vor mehr als 60 Jahren in der Untersekunda in Wuppertal zusammen mit zwei Mitschülern eine Schülerzeitschrift namens „Die Unvollendete“ gegründet, die gibt es heute auch noch. Insofern: Ja! Natürlich ist das Themenspektrum der heutigen Trends-Aufsätze viel breiter als zu meiner Zeit, wir waren ja zunächst eine rein wirtschaftswissenschaftliche Zeitschrift, da kam in den ersten Jahren kein sozialpolitisches Thema vor. Das änderte sich erst, als Hans-Peter Klös die bildungs- und sozialpolitische Abteilung im IW übernahm. Und eine englischsprachige Version der IW-Trends gab es früher auch nicht.

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