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Interview: „Die Welt des Wegschauens ist zu Ende“

Wie lässt sich die Abhängigkeit von China reduzieren? Vor allem durch Diversifizierung, sagt Jürgen Matthes, IW-Experte für Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur.

Kernaussagen in Kürze:
  • Jedes Unternehmen, das wirtschaftlich eng mit China zusammenarbeitet, muss in internen Stresstests durchspielen, ob und wie es kritische Situationen wie einen Einmarsch Chinas in Taiwan überleben kann, sagt IW-Forscher Jürgen Matthes.
  • Er rät zudem, andere verlässliche Lieferländer für wichtige Rohstoffe zu suchen, die bislang in großen Mengen aus China bezogen werden.
  • Um die Abhängigkeit der EU und Deutschlands von China zu reduzieren, seien außerdem weitere Freihandelsabkommen mit anderen asiatischen Ländern wie Indien oder Indonesien vonnöten, so Matthes.
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Haben sich die Unternehmen in Deutschland, etwa die Automobilindustrie, zu abhängig von China gemacht?

Einige Unternehmen haben einen sehr hohen Anteil an ihren globalen Umsätzen in China. Und China ist ja auch ein sehr dynamisches Land, wo viele Firmen sagen: Da muss man präsent sein. Letztlich muss jeder Betrieb aber selbst entscheiden, ob er in einem einzelnen Land zu stark engagiert ist. Das gehört zum Risikomanagement. Wegen der zunehmenden politischen Konflikte muss hier vieles neu bewertet werden.

Betriebe sollten interne Stresstests durchspielen und überlegen, ob und wie sie kritische Situationen in China überleben können. Wenn sich zeigt, dass in einem solchen Fall die Firmenexistenz auf dem Spiel steht, sollte zügig gegengesteuert werden.

Wann hätte man denn erkennen können, dass der viel beschworene „Wandel durch Handel“ nicht funktioniert?

Spätestens, nachdem Xi Jinping ein paar Jahre an der Macht war, als es keine erkennbare Entwicklung mehr Richtung Marktwirtschaft und Demokratie gab.

Was sollten Unternehmen tun, die wirtschaftlich eng mit China verflochten sind?

Jedes Unternehmen muss für sich Szenarien durchspielen. Zum Beispiel den Fall, dass China in Taiwan einmarschiert und dann möglicherweise Druck – auch seitens der Vereinigten Staaten – aufkommt, die Handelsbeziehungen mit China weitgehend einzufrieren. Betriebe sollten interne Stresstests durchspielen und überlegen, ob und wie sie solche Situationen überleben können. Wenn sich zeigt, dass in einem solchen Fall die Firmenexistenz auf dem Spiel steht, sollte zügig gegengesteuert werden.

Viele wichtige Rohstoffe, zu denen es kaum alternative Lieferländer gibt, kommen in großen Mengen aus China. Wie lässt sich das lösen?

Man muss Alternativen aufbauen, am besten in anderen verlässlichen Partnerländern oder im Extremfall auch hier in Europa. Die Gewinnung und Weiterverarbeitung von seltenen Erden beispielsweise ist eine ziemlich dreckige Angelegenheit. Die hat man, wie viele andere Dinge, gerne nach China verlagert, auch weil man diese Tätigkeiten in den Industrieländern nicht haben wollte. China hat das gut und billig gemacht, auch weil der chinesische Staatskapitalismus kräftig subventioniert. Man konnte also in China günstig einkaufen, ohne sich um den Dreck zu scheren, der dabei entsteht. Diese Welt des Wegschauens ist jedoch zu Ende.

Jürgen Matthes leitet das Kompetenzfeld Internationale Wirtschaftsforschung und Konjunktur im IW; Foto: IW Medien Was kann die Politik tun, um die Abhängigkeit Deutschlands respektive der EU von China zu reduzieren?

Die Bundesregierung könnte beispielsweise Investitionsgarantien, mit denen der Staat politische Risiken in China absichert, reduzieren – dafür gibt es auch bereits erste Anzeichen. Auch das bilaterale Investitionsabkommen mit China sollte eingefroren bleiben.

Darüber hinaus geht es vor allem darum, Anreize zu schaffen für mehr Geschäfte mit anderen Staaten. Zu nennen wären da lateinamerikanische Staaten, aber vor allem wirtschaftlich wichtige und sich dynamisch entwickelnde asiatische Länder wie Indonesien, Indien, Thailand und Malaysia. Hier gibt es allerdings auf beiden Seiten teils noch hohe Zölle. Eine entscheidende Maßnahme dagegen, die auch der Diversifizierung im Handel dient, sind Freihandelsabkommen. Doch Verhandlungen der EU mit diesen Staaten liegen auf Eis oder kommen kaum voran.

Woran liegt das?

Eine Hürde beim Abschluss der Abkommen sind die sehr hohen Standards der EU, insbesondere in puncto Nachhaltigkeit. Natürlich sollte es unser Ziel sein, dass sich Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards in Partnerländern verbessern. Aber wenn wir gleich mit der 100-Prozent-Forderung aufwarten, kommen wir zu keinem Ergebnis, denn darauf lassen sich die potenziellen Partnerländer nicht ein. Möglicherweise müssen wir uns da mit kleineren Fortschritten zufriedengeben, denn wir brauchen solche Abkommen aus geostrategischen Gründen unbedingt.

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