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Erdgas: Fatale Abhängigkeit

Wie lange kann Deutschland ohne russisches Gas auskommen? Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem vom Wetter und den Füllständen der heimischen Gasspeicher.

Kernaussagen in Kürze:
  • Ein Großteil des hierzulande eingesetzten Erdgases, Erdöls und der Steinkohle kommt aus Russland. So stammen rund 55 Prozent des importierten Erdgases aus Russland.
  • Wie lange Deutschland ohne russisches Erdgas auskäme, hängt von den Speicherständen, den möglichen Flüssiggaslieferungen aus anderen Lieferländern sowie von den Außentemperaturen ab.
  • Um unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu werden, sollte Deutschland seine Lieferantenstruktur diversifizieren und den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben.
Zur detaillierten Fassung

Deutschland kann Autos und Impfstoffe. Auch in Maschinen, Windrädern, elektrischen Ausrüstungen und Datenverarbeitungsgeräten sind wir gut. Doch all das braucht Energie – und die stammt noch immer überwiegend aus fossilen Quellen (Grafik):

Rund 34 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland wurden im Jahr 2020 aus Mineralöl gewonnen, gut 26 Prozent aus Erdgas.

So viel Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland stammten im Jahr 2020 aus diesen Quellen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein Großteil des hierzulande eingesetzten Erdgases, Erdöls und der Steinkohle kommt, wie vielen erst seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs so richtig klar wurde, aus Russland. Und nicht nur die Unternehmen brauchen diese Energiequellen, auch die meisten privaten Haushalte sind auf Öl oder Gas in der ein oder anderen Form angewiesen – so stellen Gasheizungen die meistgenutzte Wärmequelle in deutschen Wohnungen und Häusern dar.

Deutschland fördert selbst nur sehr wenig Erdgas, etwa 95 Prozent der benötigten Menge werden importiert.

Deutschland selbst fördert jedoch nur sehr wenig Erdgas, etwa 95 Prozent der benötigten Menge werden importiert. Und beim Gas ist die Abhängigkeit Deutschlands von Russland besonders groß (Grafik):

Mehr als die Hälfte des Erdgases, das Deutschland im Jahr 2020 einführte, kam aus Russland.

So viel Prozent der Gesamteinfuhren des jeweiligen Energieträgers importierte Deutschland im Jahr 2020 aus Russland Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Abhängigkeit ist jedoch alles andere als einseitig. Denn Deutschland ist wiederum für Russland der wichtigste Gaskunde – ein Viertel der gesamten russischen Gasexporte gingen 2020 nach Deutschland. Zum Vergleich (Grafik):

Die restlichen EU-Länder sowie das Vereinigte Königreich und die Türkei nahmen zusammen 54 Prozent der Gaslieferungen Russlands ins Ausland ab.

So viel Prozent der russischen Gasexporte im Jahr 2020 gingen an diese Abnehmerländer und -regionen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Und was wäre, wenn Russland plötzlich den Gashahn zudreht? Oder wenn die EU einen Importstopp für russisches Gas verhängt? Ganz einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten, denn die Versorgungslage Deutschlands hängt von mehreren Faktoren ab:

Eine zentrale Rolle spielen die Speicherkapazitäten: Wenn die Tanks zu Beginn der Heizperiode Anfang Oktober gut gefüllt sind, schafft dies gute Voraussetzungen dafür, eine Versorgungslücke zu überbrücken. Denn Deutschland verfügt mit einem nutzbaren Volumen von 24 Milliarden Kubikmetern fast über ein Viertel aller in der EU installierten Erdgasspeicher.

Ein Viertel der deutschen Gasspeicher gehört Gazprom

Zu Beginn des Winters im vergangenen Oktober waren die Gasspeicher in Deutschland jedoch nur zu zwei Dritteln gefüllt – in den Jahren zuvor lagen die Speicherstände zum gleichen Zeitpunkt bei mehr als 95 Prozent. Zwischen 20 und 25 Prozent der vorhandenen Gasspeicherkapazitäten in Deutschland gehören außerdem direkt oder über Joint Ventures dem russischen Gasförderkonzern Gazprom und diese Speicher wurden im vergangenen Jahr kaum befüllt.

Wie lange Deutschland ohne russisches Gas auskommt, hängt zudem von der Verfügbarkeit von Flüssiggasimporten aus anderen Lieferländern ab. Deutschland selbst verfügt zwar noch über keine eigenen Flüssiggasterminals, doch die Anbindung an Terminals in den europäischen Nachbarländern ist gut. Auch sind die Umschlagkapazitäten längst nicht ausgereizt. Die Nutzungsrate der EU-Flüssiggasterminals lag 2020 nur bei 50 Prozent.

Ist Flüssiggas eine Alternative?

Allerdings wird nur ein geringer Teil der weltweiten Flüssiggasmengen frei gehandelt, meistens binden sich Liefer- und Abnehmerländer mittels langfristiger Lieferverträge. Außerdem ist die Entwicklung der gehandelten Mengen weltweit schwer abzuschätzen. Hinzu kommt, dass der Transport von Flüssiggas per Schiff dauern kann – je nach Lieferland bis zu zwei Wochen. Und die größten Importkapazitäten für Flüssiggas gibt es EU-weit in Spanien, doch es fehlt die Infrastruktur, um das Gas in größeren Mengen in andere EU-Mitgliedsstaaten zu transportieren.

Die dritte Komponente, die die Versorgungslage beeinflusst, ist die Temperatur: Je wärmer der Winter, desto weniger Gas wird gebraucht. Ist es jedoch klirrend kalt in Deutschland, steigt der Gasbedarf rapide.

In verschiedenen Modellrechnungen kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass Deutschland Versorgungsstörungen – ob nun durch Unterbrechungen der Gaslieferungen durch die Ukraine oder durch ein Ende aller russischen Gaslieferungen – für einen kurzen Zeitraum kompensieren kann. Wie lange Deutschland im Fall der Fälle tatsächlich ohne Nachschub aus Russland auskommt, hängt wie gesagt von den Füllständen der Gasspeicher, den möglichen Flüssiggasimporten und den Außentemperaturen ab.

So werden wir unabhängiger

Doch es gibt Strategien, um unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu werden: Deutschland und die EU sollten sich erstens bemühen, ihre Lieferantenstruktur zu diversifizieren, also zusätzliche Gasexporteure zu gewinnen. Dabei spielen Flüssiggas und die dafür notwendige Infrastruktur eine entscheidende Rolle. Zweitens sollten Maßnahmen entwickelt werden, die ausreichende Gasspeicherstände zum Beginn der nächsten Heizperiode gewährleisten – analog zu den bereits existierenden Kriterien für die Bevorratung von Öl. Und langfristig ist der Ausbau der erneuerbaren Energien der zentrale Baustein, um Deutschlands Energieabhängigkeiten zu reduzieren.

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