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des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Arbeitssicherheit Lesezeit 3 Min.

Interview: „Die gesetzliche Unfallversicherung schützt vor unkalkulierbaren Risiken"

Nach einem Arbeitsunfall oder bei einer berufsbedingten Erkrankung kümmern sich die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung um die versicherten Arbeitnehmer. Wie das System funktioniert, warum es 2021 wieder mehr Arbeitsunfälle gab und wieso die Arbeit langfristig trotzdem immer sicherer wird, erklärt Jochen Pimpertz, Leiter des Clusters Staat, Steuern, Soziale Sicherung im Institut der deutschen Wirtschaft.

Kernaussagen in Kürze:
  • Von Coronainfektionen im Arbeitsumfeld einmal abgesehen, bleibt der langfristige Trend zu immer weniger Arbeitsunfällen bestehen, sagt Jochen Pimpertz, Leiter des Clusters Staat, Steuern, Soziale Sicherung im IW.
  • Entscheidend dafür sei das gute Zusammenwirken der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung mit den Unternehmen.
  • Die Berufsgenossenschaften sind in erster Linie für die Beratung und die Beaufsichtigung der Betriebe beim Unfallschutz zuständig. Die Unternehmen stemmen das Gros der Investitionen in Präventionsmaßnahmen.
Zur detaillierten Fassung

Die Zahl der Arbeitsunfälle war viele Jahre rückläufig, stieg 2021 aber wieder an. Woran lag das?

Wir haben im Jahr 2021 erstmals die Auswirkungen der Coronapandemie auf das Unfallgeschehen in den Statistiken nachvollziehen können. Die Omikron-Variante hat sich stärker als ihre Vorgänger in den jüngeren Bevölkerungsschichten und damit bei den Erwerbstätigen verbreitet. In vielen Fällen gab es den Verdacht, dass die Ansteckung im Arbeitsumfeld passiert ist. Somit sind die Infektionen statistisch mit bei den Berufskrankheiten erfasst.

Das heißt, wenn man Corona außen vor lässt, bleibt die langfristige erfreuliche Entwicklung bestehen. Was sind die wesentlichen Gründe dafür, dass die Zahl der Arbeitsunfälle immer weiter abnimmt?

Jochen Pimpertz ist Leiter des Clusters Staat, Steuern, Soziale Sicherung im IW; Foto: IW Medien

Das Zusammenwirken der Berufsgenossenschaften mit den Unternehmen ist entscheidend. Die Berufsgenossenschaften haben sowohl Aufsichtspflichten als auch die Aufgabe, neue Forschungsergebnisse zur Arbeitssicherheit in entsprechende Vorschriften zu überführen, die Unternehmen zu schulen und darauf hinzuweisen, wie der Arbeitsschutz im Betrieb verbessert werden kann. Die Aufgabe der Unternehmen besteht darin, mit ihren Investitionen die Arbeitswelt sicherer zu gestalten. Der Trend der langfristig sinkenden Zahl an Arbeitsunfällen zeigt, dass beides im Zusammenspiel gut funktioniert.

Bei schweren Arbeitsunfällen und langjährigen Erkrankungen kümmern sich die Berufsgenossenschaften um die medizinische und berufliche Rehabilitation.

Was passiert mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die aufgrund eines Arbeitsunfalls oder berufsbedingter Erkrankungen nicht mehr in ihren alten Job zurückkehren können?

Diese Fälle sind eher selten. Bei schweren Unfällen und langjährigen Erkrankungen kümmern sich die Berufsgenossenschaften zunächst um die medizinische Rehabilitation. Sollte die frühere Tätigkeit aufgrund der körperlichen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr möglich sein, helfen die Berufsgenossenschaften den Menschen zudem, sich für andere berufliche Tätigkeiten fortzubilden, die sie trotz ihrer Einschränkung ausüben können.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für diese berufliche Rehabilitation?

Angenommen, ich bin ein Schreiner und habe nach mehreren Jahrzehnten Arbeit das, was man umgangssprachlich Rücken nennt. Schwere Tischlerplatten zu tragen, ist dann einfach nicht mehr drin. Eine Umschulung für einen Job, der weniger stark den Rücken belastet, aber dennoch thematisch passt, wäre dann eine Option – zum Beispiel zum Küchenplaner oder Innenausstatter.

Im Gegensatz zur Renten- oder Krankenversicherung gibt es bei der gesetzlichen Unfallversicherung keinen festen Beitragssatz für die Unternehmen. Ist das nicht unfair?

Das wird immer wieder diskutiert, aber die Idee hinter der gesetzlichen Unfallversicherungspflicht ist eine andere. Sie kommt nicht aus der Vorstellung, dass es ein solidarisch abzusicherndes Gesundheitsrisiko gibt – dafür haben wir die gesetzliche Krankenversicherung. Die Unfallversicherung ist in ihrer Historie gewachsen, weil sie im Grunde genommen die Gewährleistung für das Haftungsrisiko des Arbeitgebers übernimmt. Und deswegen schützt sie vor allen Dingen die Unternehmen davor, unkalkulierbare Risiken in irgendeiner Form übernehmen zu müssen.

Das Gros der Investitionen in Prävention wird von den Unternehmen gestemmt.

Rund 8 Prozent der Aufwendungen der gesetzlichen Unfallversicherung gehen in die Prävention. Ist das zu wenig?

Es wirkt wenig, weil wir denken, dass die Prävention die Hauptaufgabe einer gesetzlichen Unfallversicherung sein sollte. Das ist sie auch. Die Berufsgenossenschaften sind aber in erster Linie für die Beratung und die Beaufsichtigung der Betriebe beim Unfallschutz zuständig. Das Gros der Investitionen in sichere Maschinen, ergonomische Bürostühle oder das betriebliche Gesundheitsmanagement wird von den Unternehmen gestemmt.

Ist das nicht aber ein Risiko bei Betrieben, die möglichst effizient wirtschaften wollen?

Das könnte man so vermuten. Aber genau da greift die Aufsichtspflicht der Berufsgenossenschaften. Sie klären mit den Unternehmen, ob die Sicherheitsmaßstäbe erfüllt werden. Im Zweifel kann die Berufsgenossenschaft für einzelne Betriebe Aufschläge auf die Beitragspflicht verlangen. Dass diese Zusammenarbeit sinnvoll ist und gut gelingt, zeigt das in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgenommene Unfallrisiko.

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