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Interview: „Die berufliche Bildung steht unter Druck“

Seit Jahren sinkt die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, 2020 gab es besonders wenige neue Azubis. Warum das so ist und wie sich dagegen ansteuern ließe, erklärt IW-Geschäftsführer Hans-Peter Klös.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Berufsausbildung hat Modernisierungsbedarf, sagt IW-Geschäftsführer Hans-Peter Klös.
  • Vor allem übt die Digitalisierung Druck auf die Berufsausbildung aus.
  • In der Plattformökonomie beispielsweise ist die duale Berufsausbildung noch wenig präsent. Und auch an den Berufsschulen und beim Ausbildungspersonal braucht es einen Digitalisierungsschub, so Klös.
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Jahrzehntelang wurde Deutschland um sein System der Berufsausbildung beneidet. Warum ist es nun ein Fall für die Reparaturwerkstatt?

Den Begriff teile ich definitiv nicht, aber es gibt Modernisierungsbedarf, der durch die Corona-Krise noch deutlicher hervorgetreten ist. Die berufliche Bildung steht unter dreifachem Druck: Schon nach der Finanzkrise 2008/2009 gab es einen strukturellen Rückgang bei den Ausbildungsverträgen bei weiter steigenden Studierendenzahlen und sinkenden Schulabgängerzahlen. Durch Corona sind im vergangenen Jahr fast 10 Prozent weniger Verträge neu abgeschlossen worden als 2019. Und die durch Corona beschleunigte Digitalisierung übt ebenfalls Druck auf die Berufsausbildung aus, weil sich die dahinterliegenden Geschäftsprozesse verändern.

Ein zunehmender Teil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung geht auf die Plattformökonomie und auf digitale, von Verbrauchern geprägte Geschäftsmodelle zurück. Das sind Bereiche, die bisher nicht stark von der beruflichen Bildung geprägt sind.

Was sind das für Geschäftsprozesse?

Die berufliche Bildung in der Form, wie wir sie kennen und wie sie das Geschäftsmodell Deutschland stark macht, ist im Kern um das sogenannte Business-to-Business- und Business-to-Consumer-Modell herum gruppiert, also vor allem um industrielle Prozesse sowie im Handwerk. Ein zunehmender Teil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung geht aber inzwischen auf die Plattformökonomie und auf digitale Geschäftsmodelle zurück, die unter Verbrauchern bestehen oder von ihnen genutzt werden, zum Beispiel eBay, Zalando, Amazon oder MyHammer. Das sind alles Bereiche, die bisher nicht stark von der beruflichen Bildung geprägt sind. Die Frage ist also: Kriegen wir hier auch einen Fuß hinein?

In welchen drei wesentlichen Punkten muss in der Ausbildung nachgebessert werden?

Erstens ist die berufliche Bildung – wie die gesamte Ökonomie in Deutschland – noch etwas unterdigitalisiert. Erst rund 30 Prozent der ausbildenden Betriebe praktizieren „Ausbildung 4.0“. Das gilt auch für die Berufsschulen. Die Gelder aus dem Digitalpakt sind noch zögerlicher an die Berufsschulen geflossen als an die allgemeinbildenden Schulen. Zum Zweiten brauchen auch diejenigen, die ausbilden – sowohl an den Berufsschulen als auch in den Betrieben – mehr digitale Kompetenzen. Wir brauchen also auch einen Digitalisierungsschub beim Ausbildungspersonal. Und drittens brauchen wir ein anderes Verhältnis von Erstausbildung zu lebenslaufbezogener Weiterbildung: Es müssen also nach einer Berufsausbildung permanent neue Qualifizierungsbausteine hinzugefügt werden können, selbst gesteuert über Lernplattformen, angeleitet von Fachkollegen im Arbeitsalltag oder durch neue Techniken wie E-Learning oder Blended Learning mit vernetzten Bildungsorten.

IW-Geschäftsführer; Foto: IW Medien Warum braucht ein Kochlehrling mehr digitale Kompetenzen?

Weil sich auch das Geschäftsmodell eines Kochs verändern kann, wie man gerade jetzt in der Pandemie erlebt. Zurzeit wird vielfach das Essen im Restaurant ersetzt durch das Ausliefern von bestellten Speisen. Das erfordert unter anderem auch logistisches Wissen. Sehr viel läuft dabei über das Smartphone. Für die jungen Leute ist das Smartphone das „Cockpit des Lebens“, aber es hat noch nicht systematisch Eingang gefunden in die Art, wie wir Ausbildungsgänge strukturieren.

Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt eine beträchtliche Geschwindigkeit bei der Neuordnung und Modernisierung von Berufen, aber die Dynamik der Veränderungen im Wirtschaftsleben ist vermutlich noch größer als die in der Ausbildungsordnung.

Würde sich der Mangel an Ausbildungsinteressierten nicht eher dadurch beheben lassen, dass man die Azubigehälter erhöht?

Es gibt jetzt Mindestausbildungsvergütungen, da müssen wir mal ein Jahr abwarten, um beurteilen zu können, wie sie sich auf Angebot und Nachfrage bei den Lehrstellen auswirken. Genauso wichtig finde ich aber, dass die Ausbildungsberufe auch digital interessant sein müssen, weil viele junge Menschen damit den Zugang zur Arbeitswelt verbinden: nämlich eine digital anregende Form von Beschäftigung zu finden. Und hier geht noch so einiges: zum Beispiel durch die Stärkung digitaler Ausbildung im Verbund, digitale Lernortkooperationen, mehr digitale Berufsorientierung, Lernplattformen und die Nutzung von Social Media und Serious Games in der Ausbildung.

Wie lässt sich denn das Ausbildungsjahr 2021 noch retten?

Es muss schon wirtschaftlich sehr gut laufen, damit sich die Ausbildungssituation im Jahr 2021 wieder deutlich besser darstellt als im Jahr 2020.

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