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Interview: „Der umfassende Umstieg auf E-Autos ist alternativlos“

Um die ambitionierten Klimaschutzziele der Bundesregierung im Verkehrssektor zu erreichen, ist der Umstieg auf E-Mobilität der einzige Weg, sagt Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur im IW. Die Möglichkeiten, die Emissionen durch ein Tempolimit, flüssigeren Verkehr oder teilweisen Umstieg auf den Schienentransport zu senken, seien begrenzt.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, müssten die Verkehrsemissionen hierzulande bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken, sagt Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur im IW.
  • Das funktioniere nur, wenn der Bestand an E-Autos in Deutschland deutlich erhöht werde. Bis 2030 bräuchte es 15 Millionen davon im Bestand, aktuell sind es rund 1,5 Millionen.
  • Die Möglichkeiten, die Emissionen durch ein Tempolimit, flüssigeren Verkehr oder einen teilweisen Umstieg auf den Schienentransport zu senken, seien begrenzt, sagt der Verkehrsexperte.
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Aufgrund der Energiekrise nahmen die Debatten über autofreie Tage und ein Tempolimit zuletzt wieder an Fahrt auf. Was halten Sie davon?

Die vier autofreien Sonntage im Jahr 1973 sind zwar im Gedächtnis der Bevölkerung geblieben, eine Wirkung konnte man aber damals nicht nachweisen.

Was das Tempolimit angeht: Klar ist, dass der Energieverbrauch eines Fahrzeugs mit höheren Geschwindigkeiten steigt. Energetisch macht es einen großen Unterschied, ob ich 120 oder 180 Kilometer pro Stunde fahre. Aber ob ein Verbot hier der richtige Weg wäre? Die Autofahrer haben auf die steigenden Spritpreise bereits freiwillig damit reagiert, dass sie auf Autobahnen bewusst langsamer fahren und so Sprit sparen.

Werden die Preise für Benzin und Diesel noch einmal auf ein niedrigeres Niveau zurückkehren?

Die Bundesbürger werden sich wohl leider noch recht lange auf hohe Spritpreise einstellen müssen – insbesondere beim Diesel, wo die Lage deutlich schlechter aussieht als beim Benzin. Es könnte sogar sein, dass wir aufgrund der weltweiten Angebots- und Nachfragesituation im ersten Quartal des Jahres 2023 Probleme bei der Versorgung mit Diesel bekommen.

Thomas Puls ist Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur im IW; Foto: IW Medien Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, müssen auch im Verkehrssektor massiv Emissionen eingespart werden. Wie ist der aktuelle Stand?

Um das Ziel zu erreichen, müssten sich die Verkehrsemissionen hierzulande bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 2019 reduziert haben. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, ambitioniert. Von 1990 bis 2019 haben sich die Emissionen des Pkw-Verkehrs zwar um rund 13 Prozent verringert, dafür stiegen sie im Verkehr mit Nutzfahrzeugen allerdings an. „Schuld“ daran ist unter anderem der europäische Binnenmarkt – bei mehr Handel zwischen den Ländern liegt es in der Natur der Sache, dass der Güterverkehr zunimmt. Es wird also keinen Rückgang im Verkehrsaufkommen geben, weswegen beim Antrieb angesetzt werden muss.

Der Elektroantrieb gilt als die Zukunft im Verkehr. Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen?

Eine der wenigen Möglichkeiten für Deutschland, die Klimaschutzziele im Verkehr einzuhalten, ist es, den Bestand an E-Autos deutlich zu erhöhen. Wir haben derzeit um die 48 Millionen Pkw in Deutschland, davon rund 1,5 Millionen elektrisch angetriebene. Bis 2030 bräuchten wir 15 Millionen davon im Bestand, die Zahl müsste sich also in knapp sieben Jahren verzehnfachen. Gegen Ende des Jahrzehnts dürften dann zudem keine anderen Autos mehr zugelassen werden.

Mit gutem Beispiel voran geht unter anderem Norwegen. Die Skandinavier haben den Bau von Elektroautos massiv gefördert und sind nun bei den Neuzulassungszahlen ein echter Vorreiter. Es dauert aber natürlich, bis sich Neuzulassungen im Bestand so niederschlagen, dass tatsächlich auch die Emissionen sinken.

In Deutschland fahren derzeit rund 1,5 Millionen Elektroautos . Bis 2030 bräuchten wir 15 Millionen davon im Bestand, um die Klimaschutzziele im Verkehr einzuhalten.

Auch die deutschen Autobauer setzen inzwischen stark auf elektrische Antriebe. Wie stehen die Firmen im internationalen Vergleich da?

Das kommt ganz darauf an, in welche Länder man schaut. In China – einem sehr wichtigen Markt – ist der Anteil deutscher Autos an den elektrischen Neuzulassungen im Vergleich zum Marktanteil bei Verbrennern gering. In den meisten anderen Märkten verkaufen sich deutsche E-Autos aber ähnlich gut wie jene mit herkömmlichem Antrieb. Die deutschen Hersteller müssen sich da aus meiner Sicht keine Sorgen machen.

Anders sieht die Lage allerdings in der Zuliefererindustrie aus. Gerade unter den kleinen und mittelständischen Betrieben gibt es viele, die auf Produkte im Bereich des Verbrennungsmotors spezialisiert sind. Die großen Zulieferer können einfach Kompetenzen im Bereich Elektronik zukaufen, für die anderen kann es problematisch werden.

Viele chinesische Anbieter drängen auf den europäischen Automarkt. Können die heimischen Marken mit- und gegenhalten?

Wenn in Europa chinesische Autos in großem Stil verkauft werden sollen, dann müssten die chinesischen Firmen diese auch in Europa bauen. Einen Kleinwagen oder Ähnliches von China nach Europa zu verschiffen, wäre aufgrund der Transportkosten enorm unwirtschaftlich. Ich glaube auch nicht, dass höherpreisige Elektroautos aus China in absehbarer Zeit Marktanteile in Europa gewinnen werden. Das würde zunächst einmal einen umfassenden Aufbau von Infrastruktur und Logistik benötigen.

Auch ein fließender Verkehr sorgt nachweislich für weniger Emissionen. Wie sieht da die Entwicklung in Deutschland aus?

Was den Autobahnverkehr angeht, hat Deutschland ein großes Infrastrukturproblem. Wir haben einen riesigen Reparaturbedarf, allein 4.000 Autobahnbrücken sind in naher Zukunft sanierungsbedürftig – und höchstwahrscheinlich kommen jedes Jahr mehr dazu, als abgearbeitet werden. Das trifft auch die Wirtschaft: In einer Befragung des IW im Sommer 2022 gaben gut acht von zehn der teilnehmenden Unternehmen an, durch Infrastrukturmängel in ihrer allgemeinen Geschäftstätigkeit beeinträchtigt zu sein, rund ein Viertel von ihnen deutlich. Der Anteil der Firmen, die sich gar nicht beeinträchtigt fühlen, hat sich seit 2013 halbiert.

Kann der Schienenverkehr für Entlastung sorgen?

Leider nicht, dafür sind die Mengenverhältnisse zu weit auseinander. Ein Beispiel dazu: Rund 8 Prozent des Transportaufkommens deutscher Lkw werden weiter als 300 Kilometer transportiert – eine Entfernung, bei der die Schiene anfängt, eine passende Alternative zu sein. Diese 8 Prozent wären für den Schienenverkehr aber schwer zu stemmen, weil die zu transportierende Menge dann um 70 Prozent steigen würde.

In dieser Hinsicht können also nur wenig Emissionen eingespart werden und die Dekarbonisierung des Straßenverkehrs – also der umfassende Umstieg auf Elektroautos – erweist sich somit als recht alternativlos. Dazu braucht es unter anderem eine flächendeckende öffentliche Ladeinfrastruktur, die jetzt angegangen werden muss.

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