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Interview: Afrika ist ein Kontinent der Chancen

Mit der Gründung einer neuen Freihandelszone, der größten der Welt, wollen 54 der 55 afrikanischen Staaten einen gesamtkontinentalen Binnenmarkt schaffen und so vor allem den innerafrikanischen Handel fördern. Was das – auch für die deutschen Unternehmen – bedeutet, darüber sprach der iwd mit Anne Lauenroth, stellvertretende Abteilungsleiterin Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Kernaussagen in Kürze:
  • Afrika ist ein Kontinent der Chancen, mit viel Potenzial für Wirtschaftswachstum, Handel und nachhaltige Entwicklung, sagt Anne Lauenroth, stellvertretende Abteilungsleiterin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), im iwd-Interview.
  • Aus deutscher Sicht müsse vor allem die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft innerhalb der Entwicklungspolitik gestärkt werden, beispielsweise um den Know-how-Transfer zu fördern.
  • Unternehmen bekämen so vor Ort die Chance, ihre Wertschöpfungsketten zu integrieren, sich als Zulieferer zu qualifizieren oder auch gemeinsam neue Produkte zu entwickeln.
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Die Ziele der panafrikanischen Freihandelszone AfCFTA sollen bis 2063 umgesetzt sein. Ist das in unserer schnelllebigen und globalisierten Wirtschaft nicht ein sehr langer Zeitraum?

Die neue Freihandelszone ist ein Teil der Agenda der Afrikanischen Union und dazu ein besonders wichtiger. Ich denke auch nicht, dass es so lange dauern wird. Viele der 54 teilnehmenden Länder haben bereits erste Vorschläge für die Zollunion eingereicht, man ist also schon im Umsetzungsprozess.

Die deutsche Industrie geht zwar davon aus, dass dieser Prozess dauern wird, allerdings nicht bis zum Jahr 2063. Bei der Agenda 2063 geht es um die generelle Vision der Afrikanischen Union.

Wie beurteilen Sie die Entwicklungen in Afrika in den vergangenen Jahren? Geht es – beispielsweise mit Blick auf internationale Handelsbeziehungen – voran?

Der BDI sieht Afrika als Kontinent der Chancen, mit viel Potenzial für Wirtschaftswachstum, Handel und nachhaltige Entwicklung. Das Bild von Afrika in der Welt ist oft zu einseitig, verbunden mit Armut, Kriegen und Konflikten. Vor Corona gab es bereits hohe Wachstumsraten, in Ostafrika sogar durchschnittlich um die 5 bis 6 Prozent.

Corona aber hat den Kontinent hart getroffen. Afrika leidet sehr unter den Handelshemmnissen und der gesunkenen globalen Nachfrage, der Tourismus liegt brach. Vor allem die Länder südlich der Sahara, in denen Millionen Menschen im informellen Sektor arbeiten, dürften bei der Bekämpfung der Armut um Jahre oder gar Jahrzehnte zurückgeworfen werden.

Corona macht allen zu schaffen, insbesondere auch dem afrikanischen Kontinent. Außer in China ist die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr überall auf der Welt geschrumpft. Ich bin überzeugt, dass sich die Lage auch in den afrikanischen Staaten langfristig wieder stabilisiert. Dazu braucht es Unterstützung, auch durch international koordinierte Maßnahmen.

Anne Lauenroth ist stellvertretende Abteilungsleiterin für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie; Foto: Christian Kruppa Denn die Herausforderungen für die nächsten Jahre sind groß. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Länder wieder auf die Beine kommen. Wie vor der Pandemie sind dafür mehr innerafrikanischer Handel, mehr Investitionen in die Digitalisierung und die Infrastruktur, höhere Bildungsausgaben und, nicht zuletzt, die Ankurbelung der Privatwirtschaft notwendig.

Welche Rolle spielt Afrika generell für die deutsche Industrie und was haben deutsche Unternehmen davon, wenn in Afrika ein gesamtkontinentaler Binnenmarkt entsteht?

Deutschland sollte die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft innerhalb der Entwicklungspolitik stärken, beispielsweise um den Know-how-Transfer zu fördern.

Die meisten einzelnen afrikanischen Märkte – mit Ausnahme von Südafrika, Nigeria und Ägypten – sind zu klein für deutsche Unternehmen. Für deutsche Unternehmen lohnt es sich zum Beispiel nur, Autos in Kenia zu produzieren, wenn sie von dort ohne hohe Zölle auch in Kenias Nachbarstaaten zu verkaufen sind. Es geht also um regionale Integration. Sie ist die Grundlage dafür, dass sich mehr Unternehmen ansiedeln. Größere Märkte sind für die deutschen Unternehmen auch deshalb besonders wichtig, weil sie eher gehobene, technologisch komplexe Produkte herstellen.

Afrika exportiert derzeit in erster Linie Rohstoffe und Agrarprodukte. Um mehr Wachstum zu erzielen, muss die industrielle Basis gestärkt werden. Sollte Deutschland etwas tun, um die afrikanischen Länder dabei zu unterstützen?

Es ist wichtig, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft innerhalb der Entwicklungspolitik zu stärken, beispielsweise um den Know-how-Transfer zu fördern. Der BDI hat dazu schon vor drei Jahren in Ostafrika das Projekt „Perspektiven schaffen“ ins Leben gerufen, das deutsche mit afrikanischen Unternehmen vernetzt. So haben Unternehmen vor Ort die Chance, ihre Wertschöpfungsketten zu integrieren, sich als Zulieferer zu qualifizieren oder auch gemeinsam neue Produkte entwickeln zu können. Das sind typische Win-win-Situationen.

Der Dialog in Sachen Industrialisierung geschieht aber nicht nur zwischen den Unternehmen, sondern auch auf der Ebene der Verbände. Die Politik kann dabei helfen, indem sie bessere Rahmenbedingungen schafft. Außerdem sollte die Bundesregierung zum Beispiel dafür sorgen, unser Modell der dualen Ausbildung in afrikanischen Ländern stärker zu verankern, das Interesse daran ist groß.

Auch davon profitieren beide Seiten: die einheimischen Unternehmen und die deutschen Unternehmen in Afrika, die stets auf der Suche nach ausreichend qualifizierten Fachkräften sind. In Afrika ist die Ausbildung häufig sehr akademisch, mit der dualen Ausbildung kann Deutschland für mehr Praxisnähe sorgen.

Auch Deutschland fehlen Fachkräfte. Lässt sich hier ein gemeinsamer Lösungsansatz finden?

In Afrika gibt es bereits interessante Projekte der Zusammenarbeit. So werden beispielsweise gemeinsam Data-Analysten und andere IT-Experten ausgebildet und dann auch für Aufträge von Unternehmen in Deutschland eingesetzt. Diese Experten arbeiten aber ebenso für afrikanische Unternehmen, insbesondere für die vielen Start-ups, die vor allem in Ruanda, Kenia und Ghana entstehen.

Ein anderes Programm heißt „Afrika kommt“, für das Unternehmen in Deutschland afrikanische Absolventen ein Jahr lang in ihrem Betrieb ausbilden und sie dann zum Beispiel in ihrer Niederlassung in Afrika einsetzen.

Im Wettbewerb der Systeme punkten die Chinesen mit ihren stark subventionierten Staatsunternehmen und Finanzierungen, die Europäer und die Deutschen können da nicht mithalten.

Deutsche Unternehmen entwickeln – meist vermittelt durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit oder die Auslandshandelskammern – die Lehrpläne an den afrikanischen Universitäten oder Fachhochschulen mit. Im Zentrum steht dabei, die Ausbildung so praxisnah wie möglich zu gestalten. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu strukturellen Veränderungen.

China sichert sich viele Rohstoffquellen auf dem afrikanischen Kontinent. Verschläft Europa hier wichtige Weichenstellungen?

Der immer stärkere Einfluss Chinas hat inzwischen dazu geführt, dass überall ein Umdenken einsetzt. Die erste Auslandsreise der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ging nach Äthiopien, dem Sitz der Afrikanischen Union – das zeigt schon, dass Europa engere Beziehungen zu Afrika will.

Im Wettbewerb der Systeme punkten die Chinesen mit ihren stark subventionierten Staatsunternehmen und Finanzierungen, die Europäer und die Deutschen können da nicht mithalten und müssen deshalb ihre eigenen Instrumente ausbauen und ihre Stärken einsetzen: Unsere Projekte sind zwar teurer, aber sie bieten auch technisches Know-how und Ausbildungsangebote. Die Chinesen tun das nicht, sie bringen oft ihre eigenen Arbeiter mit und sind nach Ende der Projekte schnell wieder weg. Langfristig und nachhaltig gedacht haben die Europäer und die Deutschen also mehr zu bieten. Diese Stärke müssen sowohl Deutschland als auch die EU klar hervorheben und die richtigen Instrumente bereitstellen – von der Finanzierung bis zur Entwicklung von gemeinsamen Programmen.

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