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Hohe Lernrückstände bei Schülern

Schulschließungen und Fernunterricht haben dazu geführt, dass wichtiger Lernstoff auf der Strecke geblieben ist und bei vielen Schülern ein großer Nachholbedarf besteht. Um die Lernlücken zu schließen und mögliche Schulunterbrechungen ab Herbst abzufedern, müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden.

Kernaussagen in Kürze:
  • Erste internationale Studien haben bei Schülern hohe Lernverluste festgestellt, die durch die coronabedingten Schulschließungen entstanden sind.
  • Auch 35 Prozent der Lehrkräfte für Haupt-, Real- und Gesamtschulen in Deutschland sagen, dass bei mehr als der Hälfte ihrer Schüler Lernrückstände bestehen.
  • Damit Kinder und Jugendliche nicht weiter zurückfallen, müssen die Lernlücken ausgeglichen und die Schüler mit Förderbedarf gezielt unterstützt werden, zum Beispiel mithilfe von Mentoren.
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Längere Schulunterbrechungen können für Kinder und Jugendliche gravierende – und vor allem längerfristige – Auswirkungen haben: Schulabbrüche, geringere Einkommen und ein höheres Risiko für Arbeitslosigkeit. Das zeigen frühere internationale Studien zu Schulausfällen wegen Lehrerstreiks. Ähnliches zeichnet sich nun auch in der Corona-Pandemie ab. Denn auf den Distanzunterricht, der in den vergangenen Monaten den Präsenzunterricht größtenteils ersetzt hat, waren die meisten Schulen nicht gut vorbereitet.

Erste Befragungen von Eltern zeigen, dass die Lernzeit von Kindern und Jugendlichen während der Schulschließungen stark gesunken ist. Das gilt besonders für die leistungsschwächeren Schüler, denen das selbstständige Distanzlernen deutlich schwerer gefallen ist. Vor allem die Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Haushalten hatten zudem schlechtere Lernbedingungen im Fernunterricht.

Kein Wunder also, dass erste internationale Studien bei den Schülern hohe Lernverluste festgestellt haben:

Kompetenztests vor und nach den Schulschließungen in den Niederlanden zeigen, dass die Schüler beim Lernen zu Hause nur geringe oder keine Fortschritte gemacht haben.

Dabei sind die Kompetenzverluste bei Schülern aus weniger gebildeten Familien bis zu 55 Prozent größer. Eine Studie mit Sechstklässlern in Flandern aus dem Juni 2020 zeigt zudem, dass die Schüler vor allem in Mathematik und den Sprachen schlechter abschneiden als frühere Kohorten.

Damit Kinder und Jugendliche nicht weiter zurückfallen, müssen die entstandenen Lernlücken ausgeglichen und die Schüler mit Förderbedarf gezielt unterstützt werden, zum Beispiel mithilfe von Mentoren.

In der Schweiz konnte während einer achtwöchigen Schulschließung in den Sekundarstufen zwar kein Kompetenzverlust festgestellt werden. Dafür verlangsamte sich das Lerntempo bei den Grundschülern.

Auch andere Studien kommen zu dem Schluss, dass vor allem bei jüngeren Kindern und jenen, die sozio-ökonomisch schlechter gestellt sind, die Wissenslücken durch den Schulausfall am größten sind.

Eine Lernstandserhebung für Gesamtdeutschland liegt bislang zwar nicht vor. Eine Studie aus Baden-Württemberg zeigt jedoch, dass Schüler während der ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020 weniger Zeit fürs Lernen aufgewendet haben und die Kompetenzen von Fünftklässlern im Lesen und in Mathematik deutlich gesunken sind.

Auch den Lehrkräften in Deutschland zufolge hinken einige Schüler hinterher (Grafik):

35 Prozent der Lehrkräfte für Haupt-, Real- und Gesamtschulen sagen, dass durch die coronabedingten Maßnahmen bei mehr als der Hälfte ihrer Schüler Lernrückstände bestehen.

So viel Prozent der Lehrkräfte geben an, dass die pandemiebedingten Maßnahmen seit März 2020 bei ... zu messbaren Lernrückständen geführt haben Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Insgesamt legen diese ersten Erkenntnisse nahe, dass der Fernunterricht den Präsenzunterricht nicht angemessen ersetzen konnte. Außerdem sind in den meisten Lernerhebungen die Schulschließungen ab Dezember 2020 noch nicht berücksichtigt – und in diesem Zeitraum waren die Schulen zwar besser vorbereitet, aber viel länger geschlossen.

Nur die Bildungsverluste zu betrachten, reicht aber nicht. Der fehlende tägliche Gang in die Schule hat auch zu psychischen Belastungen und Bewegungsmangel geführt. Auch konnten viele Kinder keine Fahrradprüfung absolvieren oder Schwimmen lernen.

Umso wichtiger ist es, dass die Schulen sich schon jetzt auf das kommende Schuljahr vorbereiten:

Lernlücken schließen. Damit Kinder und Jugendliche nicht weiter zurückfallen, müssen die entstandenen Lernlücken ausgeglichen werden. Dafür sollten zunächst in allen Jahrgängen Vergleichsarbeiten geschrieben werden, um den Umfang des Lernverlustes systematisch zu ermitteln.

Gezielte Förderung. Auf dieser Grundlage könnte der Stoff durch Lehrmaterialien oder zusätzlichen Förderunterricht nachgeholt werden. Besonders wichtig ist dies für Kinder mit speziellem Förderbedarf und für jene, die vor dem Wechsel in eine andere Stufe stehen. Auch Mentoring-Programme könnten hier eine Rolle spielen. Um die 1,5 Millionen Schüler in Deutschland mit größerem Förderbedarf zu unterstützen, sind ungefähr 1,5 Milliarden Euro nötig.

Chancengleichheit wiederherstellen. Um die im Zuge der Corona-Krise entstandenen Einbußen an Chancengleichheit zu kompensieren, sind Konzepte und zusätzliches Personal nötig. Würde jede Schule zum Beispiel einen Chancenbeauftragten einstellen, entstünden da-durch Kosten von jährlich 4 Milliarden Euro.

Ausstattung verbessern. Damit der Schulbetrieb auch nach den Sommerferien sichergestellt ist, sollten die Ferien genutzt werden, um die Klassenräume mit Luftfiltern auszustatten und die sonstigen Lüftungsmöglichkeiten zu verbessern. Auch die Impfung von Lehrkräften und Eltern muss möglichst schnell abgeschlossen werden. Außerdem sind weiterhin Testkonzepte nötig.

Digitalisierung voranbringen. Sollte dennoch phasenweise Digitalunterricht nötig sein, müssen unbedingt die IT-Ausstattung verbessert und die Lehrkräfte entsprechend fortgebildet werden. Zur Umsetzung der auch für den Präsenzunterricht förderlichen Digitalisierungsstrategie werden langfristig 20.000 zusätzliche IT-Stellen an den Schulen benötigt, um die Administration sicherzustellen und die Lehrkräfte zu unterstützen. Dafür sind noch einmal jährlich 2 Milliarden Euro erforderlich.

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