Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Europäische Union Lesezeit 3 Min.

Grundfreiheiten des EU-Binnenmarkts nur teilweise umgesetzt

Seit nunmehr 30 Jahren gibt es den europäischen Binnenmarkt, der den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital in der EU ermöglicht. Doch eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass die vier Grundfreiheiten noch auf Grenzen stoßen. Auch Vorgaben der Europäischen Union wirken teils kontraproduktiv.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts sind keinesfalls vollständig umgesetzt, zeigt eine neue IW-Studie.
  • Das wird unter anderem deutlich, wenn man auf die teils eklatanten Preisunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten schaut.
  • Sowohl die EU-Länder als auch die Europäische Union selbst können ihren Teil dazu beitragen, die Hürden im Binnenmarkt weiter abzubauen.
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Ein Raum ohne Binnengrenzen: Urlaubsreisende in der EU können ihn Tag für Tag erleben, wenn sie ohne Grenzkontrollen von Land zu Land reisen. Bereits der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft forderte den gemeinsamen Binnenmarkt als Voraussetzung – mit dem 31. Dezember 1992 als Stichtag. Der Wegfall der Schranken an den Grenzen war dafür nur ein Element.

Die Preise in der Europäischen Union liegen teilweise noch sehr weit auseinander – ein Indiz dafür, dass die Grundfreiheiten des Binnenmarkts noch nicht umfassend umgesetzt sind.

Wie es 30 Jahre später mit der innereuropäischen Grenzenlosigkeit insgesamt aussieht, hat nun das IW untersucht. Grundlage der Analyse ist die ökonomische Annahme, dass Preisunterschiede abnehmen, wenn sich Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital frei bewegen können.

Doch es zeigt sich, dass die Preise in den EU-Mitgliedsstaaten nach wie vor zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen:

Im Jahr 2021 lag das Preisniveau – gemessen an den Konsumausgaben der privaten Haushalte – in Irland um 44 Prozent über dem Durchschnitt aller EU-Staaten, in Rumänien dagegen um 45 Prozent darunter.

Der Quotient aus dem Preisniveau in Irland und jenem in Rumänien betrug 2,6. Das heißt: Waren und Dienstleistungen waren in Irland im Schnitt um das 2,6-Fache teurer als in Rumänien.

Teils eklatante Preisunterschiede

Mit Blick auf einzelne Warengruppen und Dienstleistungen zeigten sich noch eklatantere Preisunterschiede (Grafik):

Produkte im Bereich der Nachrichtenübermittlung waren im Jahr 2021 in Rumänien 65 Prozent günstiger als im EU-Durchschnitt, in Belgien 71 Prozent teurer.

Um so viel Prozent wich das Preisniveau für Waren oder Dienstleistungen in dieser Produktgruppe 2021 vom EU-Durchschnitt ab Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Teilweise beeinflussen allerdings auch die Mitgliedsstaaten die Preisbildung, weil die öffentliche Hand Vorgaben macht oder neue Preise genehmigen muss – wie etwa das Porto bei der Post in Deutschland.

Auf der anderen Seite fallen die Unterschiede bei elektrischer und optischer Ausrüstung mit einem Quotienten von 1,2 merklich geringer aus, ebenso bei Maschinen und Geräten mit 1,3 und im Fahrzeugbau mit 1,6. Im Bereich der Ausrüstungsinvestitionen funktioniert der Binnenmarkt also relativ gut – anders als im Baugewerbe, das auf einen Quotienten von 3,1 kommt.

Im Baugewerbe belebt Konkurrenz das Geschäft

Im Bausegment fällt auf, dass der Wert im Wohnungsbau mit 3,7 deutlich höher liegt als im Hoch- und Tiefbau mit „nur“ 2,8. Hier dürfte eine Rolle spielen, dass im Hoch- und Tiefbau Aufträge oft durch staatliche Stellen vergeben werden – und die müssen bei Großprojekten EU-weit ausschreiben. Das führt wohl dazu, dass sich die Preise annähern – Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.

Während die Quotienten der Preisniveaus den Status quo beschreiben, taugt ein anderes Maß dafür, die zeitliche Entwicklung in den Blick zu nehmen: der Variationskoeffizient. Er wird berechnet als Quotient aus Standardabweichung und Mittelwert. Dieser Indikator erscheint zwar etwas abstrakt, seine Aussagekraft ist indes leicht zu verstehen. Denn der Koeffizient ist umso größer, je stärker einzelne Preise vom Mittelwert abweichen. Er reduziert sich also, wenn die Preisunterschiede für einzelne Waren und Dienstleistungen sinken.

Preisgefälle hat sich nicht verringert

Für den EU-Binnenmarkt ist das über die vergangenen Jahre allerdings nicht der Fall gewesen (Grafik):

Die Preisunterschiede für Waren in Ländern des europäischen Binnenmarkts sind seit 2003 nahezu konstant geblieben, für Dienstleistungen haben sie sich sogar merklich erhöht.

Preisunterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten des europäischen Binnenmarktes gemessen am Variationskoeffizient Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Sowohl der Variationskoeffizient als auch die Quotienten der Preisniveaus belegen, dass es noch immer erhebliche Wettbewerbsbeschränkungen innerhalb der EU gibt – vor allem mit Blick auf den Dienstleistungssektor. Tatsächlich sind gerade hier die nationalen Regulierungen alles andere als einheitlich und die Mitgliedsstaaten nutzen ihre Spielräume, um landeseigene Anbieter vor Konkurrenz zu schützen.

Die EU verstärkt das Problem zusätzlich: Aufgrund von EU-Recht ist selbst bei kurzfristigen Dienstreisen ein Nachweis dafür erforderlich, dass der entsandte Arbeitnehmer sozialversichert ist.

Bis zur innereuropäischen Grenzenlosigkeit ist es also noch ein weiter Weg. Die EU-Mitgliedsstaaten täten gut daran, ihn gemeinsam zu beschreiten und nationale Interessen hintanzustellen. Die Europäische Union sollte derweil prüfen, inwiefern sie ihr Regelwerk zur Personenfreizügigkeit im Arbeitskontext lockern kann.

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