Erneuerbare Energien Lesezeit 5 Min.

Grüner Wasserstoff ist und bleibt Mangelware

Um in den nächsten Jahren die Versorgung mit grünem Wasserstoff zu sichern, ist Deutschland auf Importe angewiesen. Eine neue Studie von Fraunhofer UMSICHT, dem Wuppertal Institut und dem Institut der deutschen Wirtschaft kommt allerdings zu einem ernüchternden Ergebnis: Lieferungen aus dem Ausland werden den erwarteten Bedarf bis 2030 nicht decken können.

Kernaussagen in Kürze:
  • Deutschland kann bis 2030 maximal etwa ein Sechstel des prognostizierten Bedarfs an grünem Wasserstoff durch die heimische Erzeugung sicherstellen.
  • Die drohende Versorgungslücke will die Bundesrepublik deswegen mit Importen aus vermeintlich vielversprechenden Regionen schließen.
  • Wasserstoffimporte aus Marokko, Spanien, Chile oder den Niederlanden lösen aber nicht das Problem, da die Energiewende in diesen Ländern teils weniger stark vorangeschritten ist als hierzulande.
Zur detaillierten Fassung

Wasserstoff ist für die Energiewende unverzichtbar. Er ersetzt vor allem in der Industrie Kohle und Gas, kann aber auch in der Strom- und Wärmeerzeugung oder im Verkehr eingesetzt werden. Nachhaltig ist die Verwendung von Wasserstoff aber nur dann, wenn bei seiner Herstellung erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Und genau hier liegt das Problem – die hiesige Wasserstoffproduktion aus regenerativen Energien wird den wachsenden Bedarf bis 2030 nicht decken können:

Maximal etwa ein Sechstel des prognostizierten Bedarfs an grünem Wasserstoff kann 2030 durch die heimische Erzeugung sichergestellt werden.

Die Annahme beruht auf der Nationalen Wasserstoffstrategie der scheidenden Bundesregierung, die einen maximalen Bedarf von 90 bis 110 Terawattstunden und eine inländische Bereitstellung von 14 Terawattstunden bis zum Jahr 2030 erwartet hat. Dass die Versorgungslücke aufgrund des enormen Bedarfs durch einen rein nationalen Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 nicht zu decken sein wird, zeigt eine Modellrechnung des IW Köln (Grafik):

Gut 5.700 Windräder auf See müssten im Jahr 2030 installiert sein, damit Deutschland seinen Wasserstoffbedarf vollständig durch die Erzeugung im Inland decken könnte.

... sind nötig, um den Wasserstoffbedarf bis 2030 ausschließlich mit nationaler Erzeugung zu decken Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Der zusätzliche Bedarf entspricht einem Vielfachen der bisher installierten Anlagen. Auch die ambitionierten Ausbauziele der Ampelkoalition werden diese Größe nicht erreichen können – insbesondere, weil erneuerbarer Strom künftig in allen Sektoren und nicht nur zur Wasserstofferzeugung benötigt wird. So sucht die Politik bislang anderswo nach einer Lösung: Große Hoffnungen beruhen auf dem Import des grünen Energieträgers aus besonders wind- und sonnenreichen Regionen der Welt, in denen etwa Flächennutzungskonflikte eine geringere Rolle spielen als im dicht besiedelten Deutschland.

Vier Länder kommen als Wasserstofflieferanten infrage

Die Beurteilung möglicher Partnerländer beschränkt sich jedoch häufig auf die technischen Potenziale und Kostenvorteile, aber vernachlässigt die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder die verfügbaren Transportoptionen. Das IW Köln hat deswegen im Rahmen des Forschungsprojektes SCI4Climate.NRW gemeinsam mit Fraunhofer UMSICHT und dem Wuppertal Institut vier vielversprechende Kandidaten für Wasserstoffimporte näher unter die Lupe genommen:

Marokko gilt als Vorreiter für den Ausbau erneuerbarer Energien in der Region Mittlerer Osten/Nordafrika (MENA), weshalb Deutschland im laufenden Jahr eine Wasserstoffallianz mit dem nordafrikanischen Land vereinbart hat.

Spanien hat ebenfalls ambitionierte Pläne für den Ausbau der erneuerbaren Stromversorgung und bietet wie Marokko sehr gute Erzeugungsbedingungen für Wasserstoff.

Die Niederlande besitzen dagegen die beste Infrastruktur für Wasserstofftransporte. Mit den großen Häfen und der langjährigen Erfahrung der in Holland ansässigen Unternehmen kann sich das Land zu einem zentralen Umschlagplatz für Wasserstoffimporte Richtung Westeuropa entwickeln.

Chile ist aufgrund seiner Exportstrategie und der sehr großen Potenziale bei den regenerativen Energien am weitesten vorangeschritten, um größere Mengen grünen Wasserstoffs liefern zu können.

Die genannten Potenziale dieser Länder sind allerdings nur eine Seite der Medaille. Denn alle vier Länder vereint ein Problem – der Ausbau der Erneuerbaren kommt auch dort nur schleppend voran (Grafik):

Nur in Chile war der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärenergieversorgung im Jahr 2018 höher als in Deutschland.

Anteil der erneuerbaren Energien an der Pimärenergieversorgung in den vier Ländern, die als Wasserstofflieferanten für Deutschland infrage kommen, in Prozent... Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Trotz der großen Ambitionen, die Erneuerbaren bis 2030 massiv auszubauen, wird keines dieser Länder die erforderlichen Mengen an grünem Wasserstoff bereitstellen können – selbst dann nicht, wenn es ausschließlich an Deutschland liefern würde.

Zwar könnte Chile bis 2030 noch am ehesten größere Mengen Wasserstoff exportieren – dies wird aller Voraussicht nach aber an den fehlenden Transportmöglichkeiten scheitern.

Wasserstoffimporte aus Marokko, Spanien, Chile oder den Niederlanden beseitigen die Knappheit nicht – Deutschland muss selbst massiv die inländische Wasserstofferzeugung ausbauen.

Für den Transport von Wasserstoff stehen – mit Pipelines, Schiffen und Lkws – prinzipiell zwar mehrere Optionen zur Verfügung. Allerdings steckt der Transport per Pipeline und Schiff noch in der Entwicklung (Grafik):

Bis zum Jahr 2030 sind Wasserstoffimporte mit hoher Wahrscheinlichkeit nur per Lkw zu realisieren.

Differenziert nach Machbarkeit und Verfahren Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Mit Blick auf den ökologischen Fußabdruck sowie die geringen Transportmengen ist dieses Ergebnis ernüchternd. Ein Wasserstoffimport per Lkw ginge nur mit einer beträchtlichen Anzahl an Transportfahrten einher, die den grünen Fußabdruck schmälern würden, sofern dieselbetriebene Fahrzeuge eingesetzt werden.

Wasserstoffimporte – aus vermeintlich vielversprechenden Regionen – stellen also per se keine Erfolgsgarantie dar.

Einzelne Projekte bis 2030 sind zwar denkbar, lösen aber nicht das Problem, dass mögliche Partnerländer zunächst ihre eigene Energiewende vorantreiben müssen.

Deutschland muss selbst deutlich mehr Wasserstoff erzeugen

Neben dem Aufbau internationaler Kooperationen und der erforderlichen Importinfrastruktur muss daher auch die inländische Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energien stärker ausgebaut werden. Dafür wiederum bräuchte es in den nächsten Jahren viel grünen Strom, dessen Erzeugung zuletzt vernachlässigt wurde. Zudem müssen Genehmigungsverfahren für die nötige Erzeugungs- und Transportinfrastruktur beschleunigt werden.

Der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung lässt hoffen: So sollen beispielsweise die nationale Wasserstofferzeugung bis 2030 verdoppelt und europäische und internationale Klima- und Energiepartnerschaften vorangetrieben werden.

Sich gänzlich von Importen abzuwenden, wäre angesichts des hohen zukünftigen Wasserstoffbedarfs schließlich auch ein Fehler. Nicht alle Technologien und Prozesse lassen sich auf den direkten Einsatz von Ökostrom umstellen. So werden viele Prozesse in der Herstellung energieintensiver Produkte, etwa in der Stahl- und Chemieindustrie, künftig nur mit grünem Wasserstoff vollständig klimaneutral sein können. Dasselbe gilt für den Schiffs- und Flugverkehr.

Bilaterale Vereinbarungen zwischen wasserstoffexportierenden Ländern und Deutschland sind deswegen sinnvoll, um erste Partnerschaften zu etablieren und gewisse Sicherheiten zu schaffen. Die technischen Potenziale für den Ausbau erneuerbarer Energien sind in allen vier untersuchten Ländern so hoch, dass sie – zumindest langfristig – enorme Mengen an grünem Wasserstoff nach Deutschland liefern können. Länder wie Australien oder die Golfstaaten positionieren sich ebenfalls als künftige Wasserstoffexporteure.

Wichtig ist es für die Bundesrepublik, die Abhängigkeit von einzelnen Herstellerländern zu vermeiden – und die Importe möglichst breit aufzustellen. Hilfreich wäre dabei ein gemeinsames europäisches Vorgehen – insbesondere, um weltweite Standards in puncto Nachhaltigkeit zu setzen.

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