Bildungsgerechtigkeit Lesezeit 4 Min.

Gleiche Bildungschancen für alle Kinder

Die Bemühungen, allen Kindern in Deutschland die bestmöglichen Chancen auf eine gute Bildung und damit auf beruflichen Erfolg zu geben, haben zuletzt einen Dämpfer bekommen. Die Corona-Pandemie hat die Nachteile von Kindern mit Migrationshintergrund und jenen aus bildungsfernen Haushalten noch vergrößert. Die Politik muss gegensteuern.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Bemühungen um mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland haben zuletzt einige Rückschläge erlitten.
  • Die Infrastruktur für die frühkindliche Bildung ist nach wie vor unzureichend und die bestehenden Angebote werden gerade von jenen Familien unterdurchschnittlich genutzt, deren Kinder von der Betreuung besonders profitieren würden.
  • Die Corona-Pandemie hat die bestehenden Bildungsungerechtikeiten noch verschärft. Die Politik muss reagieren – unter anderem mit einer auch langfristig angelegten Digitalisierungsstrategie.
Zur detaillierten Fassung

Die Verwirklichung von Bildungsgerechtigkeit bedeutet, dass alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland optimale Bildungschancen erhalten. Vor allem soll die Bedeutung von Faktoren wie dem sozioökonomischen Status oder dem Migrationshintergrund der Eltern auf den Bildungserfolg der Kinder so weit wie möglich sinken.

In dieser Hinsicht waren in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge zu verzeichnen. Ein Beispiel:

Der Anteil der 25- bis 35-Jährigen, die studierten oder bereits einen Hochschulabschluss erworben haben, ist in Nichtakademikerhaushalten von knapp 19 Prozent zu Beginn der 2000er Jahre auf 30 Prozent im Jahr 2018 gestiegen.

Dieser Trend war deutlich stärker als bei jenen jungen Menschen, die aus einem Akademikerhaushalt kamen.

An anderer Stelle gab es zuletzt jedoch auch Rückschläge. So ist der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status eines Schülers und seiner im PISA-Test nachgewiesenen Lesekompetenz in der jüngsten PISA-Studie wieder deutlich enger geworden, nachdem zwischen 2000 und 2015 der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg spürbar reduziert werden konnte.

Der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status eines Schülers und seiner im PISA-Test nachgewiesenen Lesekompetenz ist in der jüngsten PISA-Studie wieder deutlich enger geworden,

Zudem hat sich der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, seit 2013 wieder erhöht, vor allem bei jenen mit Migrationshintergrund (siehe iwd 17/2020).

Dass der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund von 2009 bis 2018 um 10 Prozentpunkte gestiegen ist und Deutschland zu jenen OECD-Ländern gehört, in denen ein relativ enger Zusammenhang zwischen einem ungünstigen sozioökonomischen Status und einem Migrationshintergrund besteht, verdeutlicht die großen Herausforderungen, vor denen Deutschland auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit nach wie vor steht.

Hinzu kommt, dass die Unterstützung der Kinder stark von ihrem Elternhaus abhängt (Grafik):

Mütter mit beruflicher oder akademischer Qualifizierung helfen ihren Kindern in der neunten Klasse deutlich mehr bei den Schulaufgaben als Mütter mit niedrigerem Bildungsstand.

So viel Prozent der Kinder bis sechs Jahren in Deutschland besuchten eine Kindertageseinrichtung Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dies gilt generell ebenso für die Väter, auch wenn sie ihre Kinder insgesamt weniger bei den Hausaufgaben unterstützen.

Zu wenige Betreuungsplätze für die Kleinen

Umso wichtiger ist es, dass das Bildungssystem die unterschiedlichen Startchancen der Kinder bestmöglich angleicht. Dabei kommt vor allem der frühkindlichen Bildung eine große Bedeutung zu. Doch zum einen ist dafür die Infrastruktur noch nicht ausreichend ausgebaut. So fehlten 2020 in Deutschland noch mehr als 340.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige (siehe iwd 22/2020). Außerdem werden in den kommenden Jahren 225.000 zusätzliche Betreuungspersonen benötigt.

Zum anderen werden die bestehenden Betreuungsmöglichkeiten gerade von jenen Familien unterdurchschnittlich genutzt, deren Kindern die Angebote besonders zugutekämen (Grafik):

Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 42 Prozent aller unter Dreijährigen ohne Migrationshintergrund in einer Kindertageseinrichtung betreut – aber nur 21 Prozent der gleichaltrigen Kinder mit Migrationshintergrund.

So viel Prozent der Mütter mit dieser Qualifikation unterstützen ihre Kinder in der neunten Klasse mehrmals pro Monat oder sogar mehrmals pro Woche bei den Schulaufgaben Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch bei den Drei- bis Sechsjährigen besteht ein Gefälle: Während Kinder ohne Migrationshintergrund fast ausnahmslos eine Kita besuchen, sind es bei jenen aus Migrantenfamilien im bundesweiten Schnitt nur 81 Prozent.

Corona verschärft Bildungsungerechtigkeiten

Die Corona-Pandemie hat die bestehenden Bildungsungerechtigkeiten noch verschärft – unter anderem, weil Kinder aus sozial benachteiligten Familien und/oder mit Migrationshintergrund zu Hause seltener über einen eigenen Computer verfügen als andere Kinder und damit beim Homeschooling das Nachsehen hatten.

Auf all dies muss die Politik reagieren. Unter anderem gilt es, mehr Kitas zu Familienzentren auszubauen. In diesen Zentren werden nicht nur die Kinder individuell betreut, es gibt auch Beratungs- und Bildungsangebote für die Eltern mit dem Ziel, dass diese die Bildungs- und Entwicklungsprozesse ihrer Kinder noch besser unterstützen können.

Insgesamt muss die Qualität der frühkindlichen Betreuung und des Schulunterrichts weiter gesteigert werden. Ein Fokus sollte dabei auf einer verbesserten Sprachförderung liegen. Dazu müssen Erzieher, Lehrkräfte und andere Betreuungspersonen ausreichend qualifiziert werden. Außerdem brauchen jene Schulen und Betreuungseinrichtungen, die sich um besonders viele Kinder mit Migrationshintergrund oder sonstigem starken Unterstützungsbedarf kümmern, eine bessere finanzielle Ausstattung.

Digitalisierung ist langfristige Aufgabe

Die Corona-Krise hat zudem gezeigt, dass die weitere Digitalisierung der Schulen dringlich ist. Hier stehen derzeit kurzfristige Lösungen wie die Anschaffung weiterer Computer, Laptops et cetera im Vordergrund. Es sind aber auch langfristige Ansätze erforderlich. Zum Beispiel ist digitales Lernen in der Lehrerausbildung zu verankern – systematisch und fächerübergreifend während des Studiums, im Vorbereitungsdienst sowie in Fort- und Weiterbildungen. Und um die IT-Administration stemmen zu können, benötigen die rund 40.000 Schulen in Deutschland insgesamt 20.000 zusätzliche IT-Kräfte.

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