Rentenreform Lesezeit 3 Min.

Frankreich: Eine Nation im Ausstand

Der lang anhaltende Streik in Frankreich schreckt nicht nur Touristen ab, er könnte auch den gesamtwirtschaftlichen Schwung abbremsen. Das würde das teure französische Rentensystem, gegen dessen Reform Hunderttausende Bürger seit Wochen protestieren, zusätzlich belasten.

Kernaussagen in Kürze:
  • In Frankreich wird seit Anfang Dezember 2019 gegen die geplante Rentenreform des Präsidenten Emmanuel Macron gestreikt. Bei der französischen Bahn ist es bereits der längste Streik der Geschichte.
  • Sollte der Streik noch länger anhalten, könnte er der französischen Wirtschaft, die sich zuletzt besser entwickelt hat als die deutsche, nachhaltig schaden.
  • Auch ohne Streik ist es um die Staatsfinanzen nicht allzu gut bestellt: Der staatliche Schuldenstand Frankreichs lag 2018 bei rund 98 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
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Rien ne va plus – in Frankreich geht seit Anfang Dezember vielerorts nichts mehr: In Paris streiken die Metro- und Busfahrer, landesweit haben Lehrer, Lokführer, Kontrolleure sowie in jüngster Zeit auch Krankenhausangestellte die Arbeit niedergelegt. Der aktuelle Ausstand bei der französischen Bahn ist mit bislang 36 Streiktagen (Stand: Anfang Januar 2020) bereits der längste in der Geschichte des Landes.

Die staatlichen Rentenausgaben Frankreichs sind mit 13,4 Prozent des BIP vergleichsweise hoch. Noch höher sind sie EU-weit nur in Griechenland und Finnland.

Auslöser der landesweiten Streiks und Demos, zu denen sich in Paris regelmäßig Hunderttausende versammeln, ist die geplante Rentenreform. Präsident Emmanuel Macron will die 42 Rentensysteme für die einzelnen Berufsgruppen durch ein einheitliches, transparenteres System ersetzen und das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anheben. Dabei gehen einige Berufsgruppen sogar noch deutlich früher in den Ruhestand – Eisenbahner etwa, die vor dem Jahr 2000 ihren Job begonnen haben, können in Frankreich schon mit 52 Jahren regulär aus dem Berufsleben ausscheiden. Allein für die Altersbezüge der Eisenbahner zahlt der französische Staat 3 Milliarden Euro pro Jahr.

Im EU-Vergleich hat Frankreich deshalb ein teures Rentensystem:

Im Jahr 2017 erreichten die staatlichen Rentenausgaben einen Wert von 13,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), noch höher sind die Quoten nur in Griechenland und Finnland mit jeweils 13,8 Prozent.

Zum Vergleich: Im Schnitt wenden die Länder des Euroraums 10,7 Prozent des BIP für staatliche Renten und Pensionen auf.

Die Proteste gegen die geplante Rentenreform schrecken nicht nur Touristen ab – schon jetzt klagen viele Restaurants und Hotels in Frankreich über sinkende Umsätze –, der lange Streik könnte vielmehr branchenübergreifend größeren Schaden anrichten. Dabei hatte sich die französische Wirtschaft zuletzt vergleichsweise gut entwickelt: Während die Wirtschaftsleistung in Deutschland im zweiten Quartal 2019 um 0,2 Prozent schrumpfte und im dritten Quartal nur um 0,1 Prozent zulegte, wuchs die Wirtschaft in Frankreich in beiden Zeiträumen jeweils um 0,3 Prozent. Seit Anfang 2018 ist das französische BIP insgesamt mehr als doppelt so stark gewachsen wie das deutsche.

Die Zahl der Erwerbstätigen ist zuletzt gestiegen, die Arbeitslosenquote sinkt

Die gute wirtschaftliche Performance des westlichen Nachbarn hat sich auch auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Anfang 2014 gab es in Frankreich 26,1 Millionen Erwerbstätige, im zweiten Quartal 2019 waren es bereits 630.000 mehr. Und auch wenn die Jugendarbeitslosenquote mit rund 19 Prozent immer noch erschreckend hoch ist, entwickelt sich die Arbeitslosigkeit insgesamt positiv (Grafik):

Nach 10,4 Prozent im Jahr 2015 betrug die Arbeitslosenquote in Frankreich 2018 im Jahresdurchschnitt nur noch 9,1 Prozent.

Entwicklung wichtiger Wirtschaftsindikatoren 2015 und 2018 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Aktuell liegt die Quote sogar lediglich bei 8,6 Prozent.

Der Rückgang seit dem zweiten Quartal 2015 kann nicht allein auf die Arbeitsmarktreformen zurückgeführt werden, die der erst 2017 gewählte Macron initiiert hat. Bereits vor seiner Amtszeit wurde beispielsweise der Kündigungsschutz gelockert sowie der Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungsbeiträge von Niedriglohnempfängern gekürzt.

Emmanuel Macron wiederum hat unter anderem dafür gesorgt, dass weniger Kündigungsschutzklagen angestrengt werden, weil die Höhe der Abfindungen im Fall von Entlassungen mittlerweile gesetzlich geregelt ist.

Staatsschulden in Frankreich könnten noch weiter wachsen

Sinkt nun aber aufgrund der lang anhaltenden Streiks das Wirtschaftswachstum, stehen die jüngsten Arbeitsmarkterfolge auf dem Spiel. Zudem droht die staatliche Schuldenlast zu wachsen. Schon ohne Streik ist es um die französischen Staatsfinanzen nicht allzu gut bestellt (Grafik):

Im Jahr 2008, vor der Wirtschafts- und Finanzkrise, lag der staatliche Schuldenstand bei knapp 69 Prozent des BIP, 2018 waren es rund 98 Prozent.

Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Während im Durchschnitt der Euroländer der Schuldenberg kleiner wird, steigt die Schuldenquote Frankreichs laut Herbstprognose der EU-Kommission bis zum Jahr 2021 auf 99,2 Prozent des BIP – und ist damit weiter denn je entfernt von der 60-Prozent-Marke, die der Maastricht-Vertrag vorsieht. Sollten die Zinsen irgendwann wieder einmal steigen, ist das eine schwere Hypothek.

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