EU muss beim Freihandelsabkommen Tempo machen
Die Europäische Union und die Mercosur-Staaten verhandeln seit Langem über ein Freihandelsabkommen. Statt ihre Maximalforderungen durchsetzen zu wollen, sollte die EU auch aus geopolitischen Gründen alles daransetzen, das Abkommen bald unter Dach und Fach zu bringen. Denn ein anderer großer Akteur macht den Europäern in Südamerika heftig Konkurrenz.
- Das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten zügig abzuschließen, wäre für die EU wichtig – schon aus geopolitischen Gründen.
- Die Konkurrenz aus China sitzt der EU im Nacken. Das Handelsvolumen zwischen China und den Mercosur-Staaten ist zwischen 2012 und 2022 um fast 95 Prozent auf gut 192 Milliarden Dollar gewachsen.
- Die EU kann es sich nicht leisten, auf den Zugang zu Rohstoffen und Agrarerzeugnissen aus Südamerika zu verzichten. Und auch die Möglichkeit, mehr hochtechnologische Produkte an die Mercosur-Staaten zu verkaufen, darf Brüssel nicht den chinesischen Wettbewerbern überlassen.
Mehr als 20 Jahre: So lange schon streben die EU und die Mercosur-Staaten – also Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – ein Freihandelsabkommen an. Zwar konnten sich beide Seiten im Jahr 2019 auf einen Vertragstext einigen, dennoch ist das Abkommen bis heute nicht ratifiziert.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass die EU trotz der bereits enthaltenen Vorgaben zur Nachhaltigkeit auf einer Zusatzerklärung besteht. Diese soll noch verbindlichere Nachhaltigkeitsziele enthalten – vor allem zum Schutz des Regenwalds im Amazonasgebiet. Dagegen sträuben sich allerdings die Mercosur-Staaten. Immerhin sind beide Seiten offenbar gewillt, das Abkommen bis Ende dieses Jahres zu beschließen – der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat angekündigt, in den kommenden Wochen einen Kompromissvorschlag vorzulegen.
Zollabbau und vereinheitlichte Standards
Der Vertragstext sieht den Abbau von Zöllen in für die EU wichtigen Exportsektoren vor. So sollen Zölle auf Autos aus der EU – diese Abgaben betragen derzeit 35 Prozent des Warenwerts – ebenso entfallen wie Zölle auf von der EU exportierte pharmazeutische Produkte in Höhe von 14 Prozent. Zudem wollen die Vertragspartner Produktstandards vereinheitlichen und Zollverfahren vereinfachen.
Das Freihandelsabkommen würde die mit mehr als 770 Millionen Einwohnern größte Freihandelszone der Welt entstehen lassen. In wirtschaftlicher Hinsicht allerdings sind die Mercosur-Staaten für die EU auf den ersten Blick ein schwacher Partner (Grafik):
Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt je Einwohner war im vergangenen Jahr selbst im wohlhabendsten der Mercosur-Staaten, Uruguay, nur halb so hoch wie im EU-Durchschnitt.
Zudem ist der Mercosur lediglich der elftwichtigste Handelspartner für die EU.
Doch geopolitisch ist das angestrebte Abkommen für die EU ausgesprochen wichtig, schon deshalb, weil die Mercosur-Staaten Demokratien und damit wichtige Wertepartner für Europa sind. Zudem möchte die EU ihre wirtschaftlichen Beziehungen stärker diversifizieren und damit weniger abhängig von China werden. Der Mercosur, der bislang noch kein größeres Handelsabkommen mit anderen Staaten geschlossen hat und als relativ abgeschotteter Markt gilt, bietet für die EU daher gute Chancen.
Geopolitisch ist das angestrebte Freihandelsabkommen für die EU ausgesprochen wichtig, schon deshalb, weil die Mercosur-Staaten Demokratien und damit wichtige Wertepartner für Europa sind.
Allerdings sollte die EU nicht noch länger zögern, von ihren Maximalforderungen abzurücken und dem Freihandelsabkommen zuzustimmen. Andernfalls dürfte Europa gegenüber der Konkurrenz aus Fernost endgültig ins Hintertreffen geraten. Schließlich hat China seine Verbindungen zu den Mercosur-Staaten zuletzt kontinuierlich ausgebaut, wie die Handelsströme zeigen (Grafik):
Das gesamte Handelsvolumen zwischen China und den Mercosur-Staaten ist zwischen 2012 und 2022 um fast 95 Prozent auf gut 192 Milliarden Dollar gewachsen.
Damit übertrifft der Handel jenen zwischen den Mercosur-Ländern und der EU mittlerweile um nahezu 70 Milliarden Dollar. Denn Letzterer entwickelte sich in den vergangenen zehn Jahren wenig dynamisch. So stiegen die Exporte aus dem Mercosur in die EU in diesem Zeitraum nur um 13 Prozent, die Importe stagnierten sogar nahezu.
Einiges deutet darauf hin, dass Chinas Rolle in den Mercosur-Staaten weiter wachsen wird. So plant Uruguay ein bilaterales Handelsabkommen mit Peking. Und der brasilianische Präsident hat ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und China ins Gespräch gebracht.
EU konkurriert mit China
Sollte die chinesische Führung hier schneller zum Zuge kommen als die EU, wäre das auch deshalb problematisch, weil die EU sowohl bei den in die Mercosur-Staaten exportierten Gütern als auch bei den von dort importierten Waren stark mit China konkurriert:
Die Mercosur-Länder liefern an beide Handelspartner vornehmlich Rohstoffe wie Mineralöl und Agrarprodukte wie Ölsamen. Zugleich gehören Maschinen, Apparate und ähnliche Produkte zu den wichtigsten Importgütern aus der EU wie auch aus China.
Die Mercosur-Staaten sind inzwischen viel weniger auf die EU angewiesen als früher, da sich China als alternativer Handelspartner etabliert hat. Umgekehrt kann es sich die EU aber nicht leisten, auf den Zugang zu den Rohstoffen und Agrarerzeugnissen aus Südamerika zu verzichten. Und auch die Möglichkeit, mehr hochtechnologische Produkte an die Mercosur-Staaten zu verkaufen, darf Brüssel nicht den chinesischen Wettbewerbern überlassen.
Die EU muss beim Freihandelsabkommen mit dem Mercosur also Kompromissbereitschaft zeigen. Ein zügiger Vertragsabschluss wäre zudem ein Beleg dafür, dass es die EU-Staaten mit ihrer Strategie des „De-Risking“ gegenüber China ernst meinen.