Handel mit China: Von De-Risking keine Spur
Die Bundesregierung setzt im Umgang mit dem Wirtschaftspartner China künftig auf Diversifizierung und De-Risking. Bisher ist das Gegenteil der Fall: Das Handelsbilanzdefizit gegenüber Peking ist so groß wie nie zuvor und die kritischen Abhängigkeiten von relevanten Rohstoffen sind zuletzt weiter gestiegen.
- Die Ausfuhren nach China wuchsen im vergangenen Jahr nur um 3,2 Prozent, die Einfuhren von dort legten dagegen um 34 Prozent zu,
- Vor allem bei Rohstoffen und Produkten, die beispielsweise für die Energiewende nötig sind, existieren vielfach kritische Abhängigkeiten von China.
- Bei einer Vielzahl dieser Güter hat sich diese Abhängigkeit im vergangenen Jahr sogar noch weiter erhöht.
Als die Bundesregierung Mitte Juli ihre China-Strategie vorlegte, war die Erleichterung groß: Schließlich analysiert das Paper auf 64 Seiten bemerkenswert offen Probleme und Risiken im Umgang mit Peking. So werden beispielsweise die vielfältigen Menschenrechtsverletzungen angesprochen, das heikle Verhältnis Chinas zu Taiwan sowie die Tatsache, dass China seine Wirtschaftskraft gezielt einsetzt, um politische Ziele zu erreichen.
Laut China-Strategie der Bundesregierung müssen die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China „fairer, nachhaltiger und reziproker“ werden. Angemahnt wird eine Minderung von Risiken, was angesichts der jüngsten Importentwicklungen dringend geboten ist.
All dies vor Augen fordert die China-Strategie, dass die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China „fairer, nachhaltiger und reziproker“ werden müssten. Der Weg dorthin soll nicht über eine Entkopplung beschritten werden, sondern durch eine Minderung von Risiken – das sogenannte De-Risking. Um das zu erreichen, braucht es diversifizierte Lieferketten und zügig neue Handelsabkommen mit anderen Ländern. So sollen etwa die Wirtschaftsbeziehungen mit afrikanischen Partnern intensiviert und Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten sowie Mexiko, Chile, Kenia, Australien, Neuseeland, Indien, Indonesien und Thailand rasch finalisiert werden.
Deutlich höhere Einfuhren aus China
Ein Blick auf die Ein- und Ausfuhren des vergangenen Jahres zeigt, wie dringend notwendig eine neue China-Strategie ist. Denn im Jahr 2022 hat weder eine Diversifizierung der Bezugsquellen noch ein De-Risking in größerem Umfang stattgefunden, wie eine vom IW erstellte Analyse der deutschen Außenhandelsstatistik zeigt. Die Ausfuhren nach China wuchsen im vergangenen Jahr nur um 3,2 Prozent – obwohl die Ausfuhren in alle Länder um rund 14 Prozent zulegten. Die Einfuhren aus China dagegen legten um 34 Prozent zu, während die Importe insgesamt nur um 24 Prozent wuchsen. Dies führte dazu, dass die Bundesrepublik im Handel mit China das größte Defizit aller Zeiten verbuchte:
Im Jahr 2022 ist das deutsche Handelsbilanzdefizit gegenüber China auf rund 84 Milliarden Euro gestiegen.
Das ist zwar zu einem guten Teil einem Sondereffekt geschuldet. So ist der Wert deutscher Einfuhren von chemischen Erzeugnissen aus China im Jahr 2022 um 285 Prozent gewachsen. Ohne diese Entwicklung hätten die gesamten deutschen Einfuhren aus China „nur“ um 21,5 Prozent zugelegt. Ihr Wachstum wäre damit sogar etwas niedriger ausgefallen als das der Gesamteinfuhren. Doch darüber hinaus gab es viele weitere Produktgruppen, in denen der Importzuwachs über dem Durchschnitt lag. Oft trugen aber auch Preiserhöhungen zum starken Anstieg der Importwerte bei.
Welche Produkte haben deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr konkret deutlich stärker in China eingekauft (Grafik)?
Die größten anteiligen Beiträge zum gesamten Importzuwachs von 34 Prozent lieferten die sonstigen organischen Grundstoffe und Chemikalien mit rund 33 Prozent, gefolgt von elektronischen Bauelementen (14 Prozent) sowie Akkus und Batterien (8 Prozent).
Auch Geräte der Unterhaltungselektronik, sonstige elektrische Ausrüstungen wie Datenverarbeitungsgeräte und elektronische und optische Erzeugnisse sowie Oberbekleidung „made in China“ leisteten relativ hohe Beiträge.
Steigende Abhängigkeit von China
Unter wirtschaftspolitischen Aspekten ist vor allem relevant, wie sich die Einfuhr von Waren entwickelt hat, bei denen eine sehr hohe Abhängigkeit von China besteht – denn hier wäre schließlich das von der Bundesregierung angemahnte De-Risking angesagt. Die Bilanz ist ernüchternd: So gibt es 298 Produktgruppen, in denen der Einfuhranteil Chinas an allen deutschen Einfuhren im Jahr 2021 mehr als 50 Prozent ausmachte und die Importwerte im Jahr 2022 die 10-Millionen-Euro-Schwelle überstiegen. In 211 dieser Produktgruppen sind die Anteile Chinas im Jahr 2022 weiter gestiegen – also in mehr als 70 Prozent der Fälle.
Bei Toastern und elektrischen Heizdecken mag das egal sein, diese Waren können – wenn auch nicht unbedingt zum selben Preis – auch aus anderen Ländern importiert werden oder sind längere Zeit verzichtbar. Doch bei Rohstoffen und Produkten, die beispielsweise für die Energiewende nötig sind, existieren vielfach kritische Abhängigkeiten (Grafik):
Eine Reihe seltener Erden sowie andere wichtige Vorprodukte für die Digitalisierung und Dekarbonisierung in Deutschland stammten im Jahr 2022 zu mehr als 90 Prozent aus China.
Erstaunlich ist, dass sich bei einer Vielzahl dieser Güter die Abhängigkeit von China im vergangenen Jahr sogar noch weiter erhöht hat.
Deutsche Unternehmen, die aufgrund ihrer Exporttätigkeiten oder gar eigener Werke vor Ort einen starken China-Bezug haben, spricht die Bundesregierung in ihrem Strategiepapier ebenfalls an: Sie mahnt zur sorgfältigen Risikoanalyse und kündigt an, sich darüber mit wichtigen Unternehmen vertraulich auszutauschen. Zudem macht sie eine klare Ansage: Im Fall einer geopolitischen Krise sollen die Firmen die drohenden Verluste allein tragen – und nicht auf die Rettung mithilfe von Steuergeldern hoffen.