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Ein Fonds für Deutschland

Jahrzehntelang hat der deutsche Staat Investitionen vernachlässigt – mittlerweile wären gut 450 Milliarden Euro nötig, um in den kommenden zehn Jahren den Verfall der Infrastruktur und andere Versäumnisse schrittweise wettzumachen. Die Gelegenheit dafür ist günstig wie nie: Die Zinsen sind historisch niedrig, sodass Deutschland Kredite aufnehmen kann, ohne die Maastricht-Vorgaben für die Staatsverschuldung zu verletzen. Nötig dafür wäre allerdings eine flexible Nutzung der Schuldenbremse.

Kernaussagen in Kürze:
  • In den vergangenen Jahren hat der Staat zu wenig in die Infrastruktur investiert. IW und IMK schätzen den Bedarf an öffentlichen Investitionen für die kommenden zehn Jahre auf gut 450 Milliarden Euro.
  • Um dieses Geld bereitzustellen, braucht es einen neuen Finanzierungskanal, der unabhängig von der aktuellen Haushaltslage und Konjunktur verfügbar ist. Vorgeschlagen wird ein Deutschlandfonds.
  • Dieser Fonds ist mit der Schuldenbremse vereinbar, zumal er für neue Aufgaben bestimmt ist. Die Finanzierungskonditionen sind zudem dank niedriger Zinsen günstig.
Zur detaillierten Fassung

Was auf Deutschland in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zukommt, liegt auf der Hand: Die vernachlässigte Infrastruktur muss nicht nur an das postfossile Zeitalter angepasst werden, sondern auch an den für eine alternde Bevölkerung benötigten volkswirtschaftlichen Strukturwandel. Dazu braucht es völlig neue Konzepte.

Hierbei spielt der Staat eine Schlüsselrolle. Er kann – und muss – mit eigenen Investitionen privatwirtschaftliches Engagement anstoßen, Investitionen fördern und durch kluge Regulierung günstige Rahmenbedingungen schaffen.

In den vergangenen Jahrzehnten jedoch war vorausschauendes Investieren für den Staat ein Fremdwort:

Nach dem Vereinigungsboom zu Beginn der 1990er Jahre gingen die staatlichen Bruttoanlageinvestitionen stetig zurück und fielen 2004 erstmals unter die Schwelle von2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Netto, also nach den Abschreibungen, waren die Investitionen sogar negativ.

Besonders schwach entwickelten sich die staatlichen Bauinvestitionen. Auf kommunaler Ebene ist der preisbereinigte Bruttokapitalstock, also das Anlagevermögen wie Schulen, Schienen, Straßen und Häfen, seit einigen Jahren sogar geschrumpft. Dieses Versäumnis wiegt umso schwerer, als das Verkehrsaufkommen in Deutschland nach der EU-Osterweiterung deutlich zugenommen hat (Grafik):

Die Fahrleistung von Lkw auf deutschen Straßen ist von 2010 bis 2017 um fast 17 Prozent gestiegen.

Veränderung wichtiger Wirtschafts- und Infrastrukturindikatoren von 2010 bis 2017 in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Da Ähnliches auch für Pkw und die Bahn gilt, ist die veraltete und unzureichende Verkehrsinfrastruktur mittlerweile zu einer ärgerlichen Wachstumsbremse geworden, beklagten mehr als zwei Drittel der Unternehmen in einer IW-Umfrage bereits im Frühjahr 2018.

Der Deutschlandfonds ist mit der Schuldenbremse vereinbar, zumal er für neue Aufgaben bestimmt ist.

Gründe für die staatliche Zurückhaltung bei den Investitionen gibt es viele. Zum Beispiel hat die Politik lange Zeit ihre Prioritäten auf andere Ausgaben wie beispielsweise die Mütterrente, die Rente mit 63 und – völlig zu Recht – die Rückführung der Schuldenquote auf Maastricht-Niveau gelegt. Aber auch die Tatsache, dass viele Wissenschaftler und Politiker davon ausgegangen sind, die deutsche Wirtschaft wachse auf absehbare Zeit nur schwach und die Bevölkerung schrumpfe bereits kurzfristig, ließ Investitionen in die Infrastruktur zweitrangig erscheinen.

Angesichts dieser offensichtlichen Fehleinschätzung ist es nun höchste Zeit, das Versäumte nachzuholen (Grafik):

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) schätzen den Bedarf an öffentlichen Investitionen für die kommenden zehn Jahre auf gut 450 Milliarden Euro.

Investitionsbedarf für die nächsten zehn Jahre in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Allein für die Sanierung der kommunalen Infrastruktur sind laut Kommunalpanel der KfW Bankengruppe bis 2030 gut 138 Milliarden Euro nötig. Ein weiterer großer Posten ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft: Um den Ausstoß an CO2 bis 2050 um 95 Prozent zu reduzieren, muss der Staat allein in den kommenden zehn Jahren etwa75 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Hinzu kommen jeweils hohe zweistellige Milliardenbeträge für die Bildung sowie für den Ausbau der überregionalen Infrastruktur, also für Bahn, Fernstraßen und Breitbandausbau.

Neuer Finanzierungskanal nötig

Gut 450 Milliarden Euro sind zu viel Geld, um es durch Umschichtungen im Haushalt bereitzustellen. Vielmehr braucht Deutschland einen neuen Finanzierungskanal, der unabhängig von der aktuellen Haushaltslage und Konjunktur verfügbar ist. Das IW und das IMK schlagen dazu einen Deutschlandfonds vor (siehe: „Schulden machen oder bremsen?“), der als rechtlich selbstständige Person des öffentlichen Rechts gegründet wird und komplett dem Bund gehört.

Dieser Fonds ist mit der Schuldenbremse vereinbar, zumal er für neue Aufgaben bestimmt ist. Bei der Finanzierung von zusätzlichen staatlichen Investitionen über Kredite kommt die „Goldene Regel“ zum Tragen: Sie soll verhindern, dass die Aufnahme öffentlicher Kredite nachfolgende Generationen belastet, indem zukünftige Lasten durch einen zusätzlichen Nutzen neutralisiert werden. Da außerdem der Realzins unter der realen Wachstumsrate der Wirtschaft liegt, sind künftige Generationen ohnehin nicht belastet.

Grundsätzlich wäre zwar eine Reform der Schuldenbremse wünschenswert, um den gemachten Erfahrungen und den veränderten Rahmenbedingungen systematisch Rechnung tragen zu können. Doch dafür dürfte auf absehbare Zeit die parlamentarische Mehrheit fehlen, weshalb die Fondslösung zu bevorzugen ist.

Niedrige Zinsen sprechen für Fondslösung

Für eine solche Vorgehensweise sprechen auch die derzeit außerordentlich günstigen Finanzierungskonditionen, also die niedrigen Zinsen, und die Tatsache, dass das Zinsniveau in Deutschland – aller Voraussicht nach – noch lange Zeit niedrig bleiben wird.

Auch mit den EU-Haushaltsregeln wäre solch ein Deutschlandfonds gut vereinbar. Zwar würde er dem öffentlichen Sektor zugeordnet und fiele deshalb unter die Maastricht-Regeln. Wenn der öffentliche Schuldenstand Deutschlands jedoch – wie absehbar – unter den Wert von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fällt, greifen die strengen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts nur noch entschärft, sprich die Defizitgrenze für das mittelfristige Strukturdefizit steigt von 0,5 auf 1 Prozent des BIP. Für Deutschland heißt das: Der Verschuldungsspielraum würde sich um rund 22 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen.

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