Interview Lesezeit 5 Min.

„Eigentlich müssten wir die Schuldenbremse reparieren“

IW-Direktor Michael Hüther fordert ein groß angelegtes Investitionsprogramm für Deutschland: Insgesamt 450 Milliarden Euro – finanziert über Kredite – sollen in den kommenden zehn Jahren fließen, um die Bundesrepublik zukunftsfähig zu machen. Der iwd sprach mit dem Wirtschaftswissenschaftler über seinen Vorschlag, Einwände dagegen und die Frage, wie seine Ideen mit der Schuldenbremse vereinbar sind.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Zinsen werden auf absehbare Zeit unter der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts liegen, sagt IW-Direktor Michael Hüther. Deshalb gelte es, eine Kreditfinanzierung für Investitionen zu prüfen.
  • Hüther schlägt einen kreditbasierten Investitionsfonds über 450 Milliarden Euro gleichmäßig verteilt auf zehn Jahre vor.
  • Sein Grundgedanke ist, die staatlichen Investitionen zu verstetigen und planbar zu machen. Das gäbe beispielsweise Baufirmen die Möglichkeit, sich nachhaltig aufzustellen und Kapazitäten aufzubauen.
Zur detaillierten Fassung

Sie waren ein großer Befürworter der Schuldenbremse. Zumindest auf Außenstehende wirkt Ihr neuer Vorschlag jetzt wie eine 180-Grad-Wende. Stimmt das?

Nein, ich habe keine Wende vollzogen. Vor Einführung der Schuldenbremse habe ich gesagt, dass wir sie brauchen, um die Maastricht-Kriterien zu erreichen – aber schon damals habe ich betont, dass wir die Bremse neu bewerten müssen, sobald wir wieder unterhalb der Schuldengrenze liegen.

Das ist jetzt der Fall. Außerdem werden die Zinsen auf absehbare Zeit unter der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts liegen. Da ist es doch völlig klar, eine Kreditfinanzierung für Investitionen zu prüfen. Der Sachverständigenrat hat recht, wenn er sagt, dass der öffentliche Kredit an sich weder gut noch schlecht ist. Er muss einfach nur passen, zum Beispiel mit Blick auf die Schuldentragfähigkeit des Staates.

Der Staat darf auf Bundesebene doch ohnehin jedes Jahr 0,35 Prozent des BIP an neuen Schulden aufnehmen. Aktuell wären das fast 12 Milliarden Euro. Warum reicht Ihnen das nicht? Schon heute werden doch vielerorts die staatlichen Fördertöpfe gar nicht in Anspruch genommen.

Das sind zwei unterschiedliche Themen. Erstens: Diese knapp 12 Milliarden Euro reichen einfach nicht aus, damit Bund und Länder so viel investieren können, wie dringend geboten ist. Selbst die 450 Milliarden Euro über zehn Jahre wären nur eine Untergrenze.

Zweitens: Dass Gelder aus Fördertöpfen nicht abgerufen werden, darf kein Argument dagegen sein, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Mein Grundgedanke ist, die staatlichen Investitionen über zehn Jahre zu verstetigen und planbar zu machen.

Es ist entscheidend, dass wir in Deutschland auf allen Ebenen – also beim Bund, in den Ländern und Kommunen – eine effiziente Verwaltung haben. Hier wurden in den vergangenen Jahren leider viele Stellen gestrichen, zum Beispiel in den Bauämtern. Da muss gehandelt werden, durch einfacheres Planungsrecht, effizientere Abläufe und verbessertes Projektmanagement.

Baufirmen und Handwerksbetriebe müssen bei staatlichen Aufträgen effizient und wirksam gesteuert und kontrolliert werden. Dazu gehören auch verbesserte Anreize für gleichermaßen qualitätsvolles und schnelles Arbeiten. In anderen Ländern gibt es dafür zum Beispiel Prämien, wenn ein Projekt vorzeitig fertiggestellt wird.

Die Investitionen sollen in Ihrem Konzept von einer Anstalt des öffentlichen Rechts koordiniert werden. Der Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie sprechen aber nicht unbedingt dafür, dass die öffentliche Hand Investitionen gut managen kann.

Lassen Sie mich vorab eines klarstellen: Mein Konzept ist nur die zweitbeste Lösung. Eigentlich müssten wir die Schuldenbremse reparieren, aber dafür das Grundgesetz mit Zweidrittelmehrheit zu ändern, ist ziemlich utopisch. Leider hat man die Schuldenbremse der Politik entzogen, indem man sie im Grundgesetz verankert hat. Deshalb mein Vorschlag: Der Vorteil eines Deutschlandfonds ist, dass er rechtlich mit der Schuldenbremse wohl kompatibel wäre, weil er eigene, klar definierte Aufgaben hätte in einer eigenständigen juristischen Person.

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Bei den genannten Beispielen lohnt ein genauer Blick, um es in Zukunft besser zu machen: Am Berliner Hauptstadtflughafen hat der Staat die Prämie für einen Generalunternehmer einsparen wollen. Eine unglaublich teure Milchmädchenrechnung, wie wir heute wissen. In Zukunft sollten solche Prämien möglich sein.

Bei der Elbphilharmonie waren die Probleme ebenfalls ziemlich typisch: Zuerst wurde ein Kostenrahmen definiert. Dann gab es eine Ausschreibung, die aber überhaupt nicht zum Kostenrahmen passte. Das geht natürlich nicht.

Was genau wäre denn der Vorteil des Deutschlandfonds, wie Sie ihn fordern?

Mein Grundgedanke ist, die staatlichen Investitionen über zehn Jahre zu verstetigen und planbar zu machen. Das gibt beispielsweise Baufirmen die Möglichkeit, sich nachhaltig aufzustellen und Ressourcen aufzubauen. Aktuell liegt der staatliche Planungshorizont bei lediglich einem Haushaltsjahr oder, wenn es gut läuft, bei einer Legislaturperiode. Kein Wunder, dass Baufirmen da wenig Anreize verspüren, Ressourcen aufzubauen.

Wie realistisch ist es in der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt, dass Baufirmen oder Handwerksbetriebe mehr Fachkräfte für sich gewinnen? Die fehlen doch überall …

Wenn es der Branche gelingt, sich als spannender Arbeitgeber zu präsentieren, wird sie auch Fachkräfte finden. Parallel muss die Branche in ihren Prozessen effizienter werden. Und wenn die Firmen nicht genügend Mitarbeiter finden: Wir haben mittlerweile ein Zuwanderungsgesetz, das explizit die duale Berufsausbildung als Zuwanderungsgrund nennt. Die Unternehmen könnten das viel stärker nutzen, um Azubis im Ausland anzuwerben. Aber natürlich machen sie das nur, wenn sie entsprechend langfristig planen können – und da schließt sich der Kreis.

Aktuell trüben sich die Konjunkturaussichten für Deutschland ein. Dann dürften gemäß Schuldenbremse wieder mehr Schulden gemacht werden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Weshalb genügt Ihnen diese Möglichkeit nicht?

Die Möglichkeiten für neue Schulden im Rahmen der Schuldenbremse sind sehr begrenzt. Man muss dafür konkrete Produktionslücken identifizieren. Es geht dabei also nur um das Reagieren in einer Notlage, nicht darum, mit Infrastrukturmaßnahmen oder Investitionen in Bildung die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu schaffen.

Seit 2005 sind die Steuereinnahmen in Deutschland real um mehr als 40 Prozent gestiegen. Sollte das nicht genügen, um die benötigten Investitionsmittel aufzubringen?

Steuereinnahmen sind ja nicht für langfristige Investitionen zugunsten künftiger Generationen gedacht. Sie sollen den Steuerzahlern direkt zugutekommen. Und wenn die Einnahmen immer weiter steigen, wären Steuersenkungen angebracht.

Die Schuldenbremse hat sich in diesem Zusammenhang aber als Steuersenkungsbremse entpuppt: Seit 2009 gab es in Deutschland keine umfassende Steuerreform mehr. Stattdessen wurde mit den Steuermehreinnahmen so einiges finanziert, was nicht zwangsläufig zukunftsweisend war.

Unsinnige staatliche Ausgaben wurden und werden von Ökonomen häufig kritisiert. Warum ist es für Sie dann keine Option, zum Beispiel Subventionen zu reduzieren?

Natürlich muss die Haushaltsplanung des Staates permanent kritisch bewertet werden, auch Subventionen. Doch wenn der Staat Geld einspart, dann sollte es über Steuersenkungen zurück an die Bürger fließen.

Aber ganz ehrlich: Subventionen haben keinen großen finanziellen Hebel – den gibt es im riesigen Sozialhaushalt mit all den staatlichen Zuschüssen. Diesen Haushalt haben wir leider nur einmal mit der Agenda 2010 angepackt – mit all den Diskussionen, die sie mit sich gebracht hat. Wir sollten deshalb realistisch sein und mutig in die Zukunft des Landes investieren.

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