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EU-Aufbaufonds – ein Beigeschmack bleibt

Nach tagelangen Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder auf milliardenschwere Corona-Hilfen geeinigt. Mit dem Kompromiss wurden wichtige Weichen zur Bekämpfung der Corona-Krise gestellt, es gibt aber auch Kritikpunkte. So ist die Rechtsstaatlichkeitsklausel nur schwammig formuliert und die Ausgabeprioritäten sind fragwürdig gesetzt.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Corona-Krise trifft die europäische Wirtschaft hart. Die EU-Kommission rechnet für 2020 mit einem EU-weiten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von mehr als 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
  • Der von den Staats- und Regierungschef beschlossene Aufbaufonds hat viele positive Aspekte, zum Beispiel die starke Unterstützung für die krisengebeutelten Südeuropäer.
  • Für die Einigung waren aber auch schmerzhafte Kompromisse nötig. Die Hilfen sind unter anderem nicht an die Rechtsstaatlichkeit eines EU-Mitglieds gebunden.
Zur detaillierten Fassung

Ganze 90 Stunden hat der Verhandlungsmarathon gedauert – dann hatten sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten auf einen Aufbaufonds zur Bekämpfung der Corona-Folgen sowie auf den EU-Finanzrahmen bis 2027 geeinigt. Wie wichtig dieses Ergebnis und damit eine schnelle Hilfe – vor allem für die stark betroffenen Südeuropäer – ist, zeigt ein Blick auf die derzeitigen Wirtschaftsprognosen (Grafik):

Die EU-Kommission rechnet für 2020 mit einem EU-weiten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von mehr als 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Veränderung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Für Italien und Spanien sind die Aussichten mit rund minus 11 Prozent besonders schlecht.

Die nun beschlossenen Hilfen haben einen Umfang von 750 Milliarden Euro – so wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im Mai gefordert hat. Neben dieser guten Nachricht hat das Verhandlungsergebnis weitere positive Aspekte.

  • Zwar werden nicht – wie zunächst angedacht – 500 Milliarden Euro als Zuschüsse an die EU-Staaten ausgezahlt, sondern nur 390 Milliarden Euro. Die restlichen 360 Milliarden Euro werden als Kredite zur Verfügung gestellt (Grafik). Dennoch werden die besonders von der Corona-Krise geplagten Südeuropäer stark unterstützt, um sich mittelfristig von den Krisenfolgen erholen zu können.
  • Neben dem Aufbaufonds haben sich die Mitgliedsstaaten auch auf den EU-Haushalt bis 2027 mit einem Volumen von knapp 1,1 Billionen Euro geeinigt. Beide Maßnahmen schaffen Vertrauen und stabilisieren die Finanzmärkte.

Zusammensetzung des EU-Aufbaufonds zur Milderung der Corona-Folgen in der Europäischen Union Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

  • Die Staats- und Regierungschefs haben die Kontrollmechanismen zur Mittelvergabe deutlich stärker zu sich und weg von der EU-Kommission verlagert. Der EU-Finanzministerrat muss die Aufbaupläne der Mitgliedsstaaten absegnen. Wenn einzelne Mitgliedsstaaten ernste Zweifel an der korrekten Verwendung der Gelder in anderen Ländern haben, können sie eine Auszahlung verzögern und eine Diskussion zwischen den Staats- und Regierungschefs über die Probleme erzwingen. Ein echtes Veto ist das aber nicht.
  • Nicht zuletzt nutzen der Aufbaufonds und die Stabilisierung der europäischen Wirtschaft auch der exportorientierten Industrie. Zur Einordnung:

Deutsche Unternehmen exportierten im Jahr 2019 rund 53 Prozent ihrer Ausfuhren in die EU-27, das entspricht etwa 700 Milliarden Euro.

Wenn die EU künftig noch stärker als Einheit agiert, kann sie ihre Position gegenüber zunehmend eigennützig agierenden Staaten stärken.

Die Einigung der EU-Staaten hat allerdings nicht nur gute Seiten – es waren auch schmerzhafte Kompromisse nötig:

  • Zwar wurde die Auszahlung der EU-Gelder erstmals an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft, doch verbindlich ist dies nicht. Der Europäische Rat unterstreicht lediglich die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit. Ungarn und Polen, die aufgrund ihrer Reformen von Justiz und Medien stark in der Kritik stehen, haben sich damit weitgehend durchgesetzt, weil sie die Verhandlungen sonst hätten scheitern lassen.
  • Das vorgeschlagene Solvenzinstrument wurde aus dem Aufbaufonds gestrichen. Damit sollten Unternehmen unterstützt werden, die aufgrund einer höheren Schuldenaufnahme in der Corona-Zeit vor dem Kollaps stehen.
  • Rund 70 Prozent der Transfers haben nichts mit der Corona-Krise zu tun, weil sie nach Kriterien der Jahre 2016 bis 2019 vergeben werden. Statt auf die Stärkung der EU zu setzen, gibt es andere, fragwürdige Prioritäten. So wurden die Mittel für Forschung, Infrastruktur und den Schutz der EU-Außengrenzen leicht gekürzt, die Agrarförderung bleibt dagegen bis 2027 viel zu hoch.
  • Die EU hat mit dem Aufbaufonds erstmals selbst Schulden aufgenommen. Wie Einnahmen generiert und damit die Schulden zurückgezahlt werden sollen, steht aber noch nicht fest. Sollten sich die 27 Mitgliedsstaaten in der Finanzierungsfrage nicht einigen, droht die Gefahr, dass alte Schulden einfach mit neuen beglichen werden und die EU dauerhaft hohe Schulden behält.

In der Debatte über neue Einnahmen der EU liegt allerdings auch eine Chance:

Wenn die EU künftig noch stärker als Einheit agiert, kann sie ihre Position gegenüber zunehmend eigennützig agierenden Staaten wie China, Russland, der Türkei und auch den USA stärken.

Dafür müssen sich die EU-Staaten aber von ihren alten Dogmen wie der überkommenen Agrarpolitik lösen und die zur Verfügung stehenden Gelder in die richtigen Kanäle lenken, um Wachstum sowie Wettbewerbsfähigkeit und strategische Autonomie zu erreichen.

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