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Die Geldpolitik der EZB steht vor einem Dilemma

Infolge des Kriegs in der Ukraine haben sich in den westlichen Industrieländern nicht nur Energieprodukte dramatisch verteuert. Zudem treiben noch weitere ökonomische Faktoren die Inflationsraten in die Höhe. Auf die Geldpolitik in der Eurozone könnte damit eine gewaltige Herausforderung zukommen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Ukraine-Krieg hat die Preise für Energieprodukte drastisch steigen lassen und damit auch die allgemeine Inflationsrate in Deutschland und anderswo in die Höhe getrieben.
  • Zusätzlich befeuert wird die Inflation unter anderem durch notwendige, aber teure Klimaschutzmaßnahmen sowie die demografische Entwicklung.
  • Die Europäische Zentralbank steht nun vor dem Problem, dass Zinserhöhungen zwar die Inflation drücken könnten, zugleich aber die Gefahr bergen, dass die Wirtschaft in eine Rezession stürzt.
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Nach vielen Jahren mit weitgehend stabilen Preisen schlagen die Inflationswellen in Deutschland seit einiger Zeit wieder hoch: Der Anstieg der Verbraucherpreise um 7,3 Prozent im März 2022 bedeutete die stärkste Teuerung seit der Wiedervereinigung.

Mit dem aktuellen Inflationsproblem steht Deutschland nicht allein da – auch anderswo in Europa und ebenso in den Vereinigten Staaten legen die Preise kräftig zu. Allerdings unterscheiden sich die Inflationstreiber diesseits und jenseits des Atlantiks deutlich (Grafik):

Im März 2022 war der Anstieg der Verbraucherpreise in den Euroländern zu fast 60 Prozent auf die verteuerten Energiegüter sowie die damit verbundenen Dienstleistungen zurückzuführen – in den USA dagegen war die Nachfrage nach Dienstleistungen außerhalb des Energiesektors der Hauptinflationstreiber.

So viel Prozent der gesamten Inflation waren im März 2022 auf diese Gütergruppen zurückzuführen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dass sich die derzeitige Teuerung aus mehreren Quellen speist und das Problem keineswegs kurzfristiger Natur sein wird, zeigt ein näherer Blick auf die wichtigsten Inflationsfaktoren:

  • Deglobalisierung durch Pandemie und Krieg. Um die Corona-Pandemie zu bekämpfen, hat vor allem China wiederholt auf Lockdowns gesetzt, wie zuletzt in Shanghai. Zu den Folgen zählen in den Häfen feststeckende Containerschiffe. Deshalb konnte die Nachfrage nach Containertransporten nicht bedient werden, was die Frachtraten teils bis auf das Zehnfache des Vor-Corona-Niveaus steigen ließ. Auch die Weltmarktpreise für viele Rohstoffe wie Holz, Aluminium oder Kupfer stiegen infolgedessen an – bei einigen dieser für die Industrie wichtigen Güter betrug der jährliche Anstieg seit 2020 fast 50 Prozent.

Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs sind die Preise für Energiegüter, die Deutschland importiert, teils um mehr als 300 Prozent über das Vorjahresniveau gestiegen.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den darauffolgenden Sanktionen gegen Russland haben sich vor allem Energieprodukte extrem verteuert – insbesondere in jenen Ländern, die einen großen Teil ihrer Energielieferungen bislang aus Russland beziehen:

Deutschland musste für seine Erdgasimporte im März 2022 gut 300 Prozent mehr bezahlen als ein Jahr zuvor. Importierte Steinkohle verteuerte sich in etwa genauso stark, Rohöl kostete rund 80 Prozent mehr.

Die gestiegenen Energie- und Transportkosten treiben rund um den Globus zudem die Preise für viele Nahrungsmittel in die Höhe – der Weltmarktpreis für Getreidearten wie Hafer, Weizen oder Soja ist seit 2020 im Jahresdurchschnitt um mehr als 20 Prozent gestiegen. Vor allem beim Weizen aus der Schwarzmeerregion könnte sich die Lage weiter zuspitzen, wenn der Ukraine-Krieg noch länger andauert und Lieferungen aufgrund von Ernteausfällen in der Ukraine beziehungsweise Sanktionen gegen Russland ausbleiben.

Unterm Strich geht der Preisdruck in Deutschland vor allem von handelbaren Industriegütern und Rohstoffen aus (Grafik):

Im März 2022 lagen die Preise für handelbare Güter wie beispielsweise Rohstoffe und Industrieerzeugnisse in Deutschland im Schnitt um 12,5 Prozent über dem Vorjahresniveau.

Veränderung des Preisniveaus in Deutschland gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Nicht handelbare Güter wie viele Dienstleistungen verteuerten sich binnen Jahresfrist dagegen um noch relativ moderate 2,7 Prozent.

  • Dekarbonisierung. Um die Klimawende zu schaffen, hat die Bundesregierung einen sukzessiv steigenden CO2-Preis beschlossen – im Jahr 2022 beträgt er 30 Euro je Tonne Kohlendioxid. Damit soll ein Anreiz gesetzt werden, die Verbrennung fossiler Energieträger zu reduzieren. Doch in vielen Bereichen, etwa beim Heizen von Wohngebäuden, ist ein Umstieg auf klimaneutrale Energiequellen eine zeit- und kostenaufwendige Angelegenheit. In der Übergangsperiode verteuert der CO2-Preis den bestehenden Energiemix und trägt somit zur Inflation bei.
  • Demografie. Nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen Industrieländern, altert die Bevölkerung, sodass mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als nachrücken. Der Wettbewerb der Unternehmen um die raren Nachwuchskräfte treibt die Löhne längerfristig tendenziell nach oben. Lässt sich die Produktivität nicht in gleichem Maße steigern, müssen die Unternehmen die gestiegenen Lohnkosten auf die Preise überwälzen – folglich besteht das Risiko, dass die demografische Entwicklung auf längere Sicht die Inflationsrate erhöht.
  • Digitalisierung. Die Qualität und Leistungsfähigkeit von Gütern aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie hat sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert. Dabei kostet zum Beispiel ein Smartphone der neuesten Generation in etwa so viel wie ein Handy im Jahr 2000. Real bedeutet dies einen kräftigen Preisrückgang, von dem in den vergangenen Jahren viele Bevölkerungsgruppen profitiert haben (siehe iwd 1/2022). In jüngster Zeit allerdings hat sich der Preistrend ins Gegenteil verkehrt, da infolge der Corona-Pandemie viele Lieferketten unterbrochen wurden und Vorleistungen wie Computerchips nun ein knappes Gut sind. Statt die Inflation zu bremsen, heizen IT-Güter diese nun also ebenfalls an.
  • Finanzpolitik. Lange Jahre hatten die Staaten in Europa aufs Sparen und den Schuldenabbau gesetzt. Auch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie ging es vor allem darum, Arbeitsplatzverluste zu vermeiden und die finanziellen Einbußen der Unternehmen abzufedern – anders als in den USA, wo die Regierung milliardenschwere Programme aufgelegt hat, die den Konsum ankurbeln sollten.

Doch der Ukraine-Krieg dürfte den finanzpolitischen Kurs Europas nachhaltig verändern. So stehen deutlich höhere Verteidigungsausgaben auf der Agenda – Deutschland hat bereits ein 100-Milliarden-Euro-Programm verkündet – und die Bemühungen, die Energieabhängigkeit von Russland zu verringern, erfordern höhere Investitionen in die Energiewende. Die Nachfrage nach entsprechenden Rohstoffen und Vorleistungen – zum Beispiel für den Bau von Windkraftanlagen – wird steigen und damit auch die Preise.

Hinzu kommt, dass für die Menschen, die aus der Ukraine ins westliche Europa flüchten, Wohnungen benötigt werden. Der Bedarf an Baumaterial und -leistungen wird folglich noch stärker zunehmen, als dies zuletzt ohnehin schon der Fall war. Damit werden auch die Preise in diesem Wirtschaftssektor weiter anziehen.

Der Druck auf die Europäische Zentralbank steigt

Die Frage ist nun, wie die Geldpolitik in Europa auf den Inflationsdruck reagieren sollte. Der Druck steigt auch durch äußere Einflüsse, denn die US-Notenbank ist bereits auf Zinserhöhungskurs gegangen, was den Euro gegenüber dem Dollar abwerten und die Importpreise im Euroraum weiter steigen lässt.

Das Dilemma der EZB ist jedoch groß: Folgt sie ihren Regeln und erhöht ebenfalls die Zinsen, um die Inflation in Richtung des Zielwerts von 2 Prozent zu drücken, droht sie die Wirtschaft in der Eurozone in eine Rezession zu stürzen. Zudem kann sie die Energiepreise auf dem Weltmarkt ohnehin nur bedingt beeinflussen. Eine einfache Lösung für EZB-Chefin Christine Lagarde gibt es in dieser Situation nicht.

Sie kann nur hoffen, dass die EU kein generelles Energieembargo gegen Russland verhängt, weil dies die Gefahr einer schweren Rezession vergrößern würde. Dann wäre die Zentralbank – entgegen ihrem Regelwerk – gezwungen, trotz der hohen Inflation viel Geld in die Märkte zu pumpen, um die Wirtschaft der Euroländer vor einem weiteren Absturz zu bewahren.

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