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„Die Corona-Langzeitarbeitslosen kommen erst noch“

Bislang hält sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen. Aber wird das auch so bleiben? Oder wächst gerade eine Generation Corona heran? Antworten darauf geben IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer sowie Dirk Werner, Leiter des Kompetenzfelds berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am IW.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Arbeitsmarkt wird durch die Corona-Krise zwar stark beeinträchtigt, doch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat sich kaum verringert, sagt IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer.
  • Dennoch gibt es Signale, die anzeigen, dass die Krise nicht schnell vorübergehen wird – etwa der recht deutliche Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit.
  • Ein großes Problem ist auch die gesunkene Zahl der Neueinstellungen. Möglicherweise haben die aktuellen Jahrgänge Probleme, unmittelbar nach der Ausbildung oder dem Studium in den Arbeitsmarkt einzusteigen, sagt Dirk Werner, Leiter des Kompetenzfelds berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am IW.
Zur detaillierten Fassung

Steht Deutschland vor einer Jobkrise?

Schäfer: Nein, wir beobachten zwar starke Beeinträchtigungen des Arbeitsmarktes durch die Corona-Krise wie erhöhte Arbeitslosigkeit, doch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat sich kaum verringert. Es gibt zwar Signale, die anzeigen, dass die Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht schnell vorübergehen wird – etwa der recht deutliche Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit. Doch wir sind noch weit von einer Situation entfernt, wie wir sie vor den Agenda-Reformen hatten. Bei der Arbeitslosigkeit haben wir zwar die Fortschritte der vergangenen fünf Jahre verloren, wir sind also wieder auf dem Stand des Jahres 2016, aber wir sind noch lange nicht beim Stand von 2004.

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist seit Januar 2020 um fast 740.000 zurückgegangen. Erwartungsgemäß haben das Gastgewerbe und der Handel am meisten unter dem Beschäftigungsabbau gelitten. Im Verarbeitenden Gewerbe hat es die Metall- und Elektro-Industrie am stärksten getroffen – warum?

Schäfer: Die M+E-Industrie war von den Auswirkungen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 sehr stark betroffen: Viele Lieferketten brachen zusammen und Fabriken wurden teilweise stillgelegt, weil Vorprodukte fehlten oder die Mitarbeiter nicht zur Arbeit kommen konnten. Die Jobs, die in dieser Zeit wegfielen, blieben erst mal weg. Denn selbst nach der graduellen Erholung, die auf den Lockdown folgte, zögerten die Unternehmen aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Situation sehr, wieder Personal einzustellen.

Holger Schäfer ist Arbeitsmarktexperte am IW; Dirk Werner ist Leiter des Kompetenzfelds berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am IW. Fotos: IW Medien Eine Branche, die sich anscheinend gerade wieder etwas erholt, ist die Zeitarbeit – der Arbeitskräftebedarf bei einigen Unternehmen ist also da.

Überraschenderweise haben in der Pandemie Spezialisten und Experten, also Hochqualifizierte, häufiger ihren Job verloren als Fachkräfte und Helfer. Wie kann das sein?

Schäfer: Für eine abschließende Antwort ist es noch zu früh. Dieser Befund ist auf jeden Fall untypisch, denn bei einer konjunkturellen Krise fallen üblicherweise als Erstes die Helferjobs weg, weil die nun mal am ehesten verzichtbar sind.

Werner: Auch Hochschulabsolventen tun sich derzeit schwer, einen Job zu finden. Baden-Württemberg beispielsweise hat für Ingenieure, die gerade ihren Bachelor oder Master absolviert haben, ein Brückenprogramm aufgelegt, um sie weiterzuqualifizieren und auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Möglicherweise haben die aktuellen Jahrgänge Probleme, unmittelbar nach der Ausbildung oder dem Studium in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Schäfer: Ja, das ist ein guter Punkt. Denn ein großer Anteil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit rührt ja nicht daher, dass viele Menschen entlassen worden sind, sondern dass weniger eingestellt wird.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland ist zuletzt auf gut eine Million gestiegen. Wie schätzen Sie den Trend für den weiteren Jahresverlauf ein?

Schäfer: Die Langzeitarbeitslosigkeit wird weiter steigen, denn die, die jetzt neu dazugekommen sind, das sind noch nicht die Corona-Arbeitslosen. Die kommen frühestens im April oder Mai dazu, denn langzeitarbeitslos ist man ja erst dann, wenn man ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung ist.

Für wen ist das Risiko, über längere Zeit keinen Job zu finden, derzeit besonders hoch?

Schäfer: Generell gilt: Je geringer jemand qualifiziert ist, desto höher das Risiko, arbeitslos zu werden und auch zu bleiben.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist seit dem Ausbruch der Pandemie nur wenig gestiegen – kommt das dicke Ende noch, weil viele junge Leute die Krise an Universitäten oder weiterbildenden Schulen aussitzen?

Werner: Das ist sicher ein starker Effekt, dass viele junge Leute erst mal in der Schule bleiben, indem sie nach ihrem Schulabschluss ein oder zwei Jahre an einer beruflichen Schule dranhängen und noch einen Schulabschluss mehr machen oder eine berufliche Grundbildung erwerben. Denn die Berufsorientierung findet ja momentan nur sehr reduziert statt: Es gibt kaum Praktika, und Berufsorientierungsprogramme wie Messen finden, wenn überhaupt, nur virtuell statt.

Ein großer Anteil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit rührt nicht daher, dass viele Menschen entlassen worden sind, sondern dass weniger eingestellt wird.

Einen Run auf die Hochschulen gibt es bislang jedenfalls nicht, denn ein starker Anstieg der Studentenzahlen ist nicht zu sehen.

Und wie sieht es auf dem Ausbildungsmarkt aus?

Werner: Da wird das Matching zunehmend schwieriger, also die Frage, wie finden Ausbildungsplatzanbieter und Bewerber zusammen? Im vergangenen Jahr ist sowohl die Zahl der unversorgten Bewerber als auch die der unbesetzten Ausbildungsplätze weiter gestiegen – und das bei einem Rückgang der Ausbildungsstellen in Branchen, in denen es wirtschaftlich schlecht läuft. Diese Entwicklung verstärkt den Fachkräftemangel und das beobachten wir nicht nur in den coronagebeutelten Branchen wie dem Einzelhandel, der Gastronomie und der Hotellerie, sondern auch in der boomenden Bauwirtschaft oder in IT-Berufen, die ja eigentlich aufgrund der rasanten Digitalisierung ebenfalls Nachwuchsbedarf haben.

Was kann und sollte die Politik tun, damit Unternehmen in den kommenden Monaten wieder mehr Arbeitsplätze schaffen beziehungsweise freie Stellen besetzen?

Schäfer: Im Moment ist der Zugang in den Arbeitsmarkt erschwert, weil Unternehmen kaum einstellen. Alle Einstellungen zu subventionieren, kostet sehr viel Geld und birgt auch die Gefahr von Mitnahmeeffekten. Besser wäre es, Einstellungshemmnisse zu beseitigen, ohne viel Geld dafür in die Hand zu nehmen. Man könnte beispielsweise Erleichterungen bei der befristeten Beschäftigung vornehmen – indem man etwa das Vorbeschäftigungsverbot bei der sachgrundlosen Befristung für eine begrenzte Zeit aussetzt.

Was halten Sie von den Ausbildungsprämien, die jetzt weiter ausgedehnt und finanziell aufgestockt werden sollen?

Werner: Das ist eine sinnvolle Hilfe, etwa für Azubis in Insolvenzbetrieben, aber mich hat wenig überrascht, dass das Programm „Ausbildungsplätze sichern“ nicht zum Fliegen kommt. Das Programm ist aus Sicht vieler Unternehmen zu bürokratisch, weil man nachweisen muss, wie viele Kurzarbeiter der Betrieb hat und wie hoch der Umsatzeinbruch war.

Das Hauptproblem im Ausbildungsmarkt ist ohnehin nicht finanzieller Art, sondern, wie gesagt, das Matching. Um das zu lösen, brauchen wir digitale Formate der Berufsorientierung – und das nicht nur vereinzelt, sondern in der Fläche. Es fehlen auch funktionierende Plattformen für den Austausch von Betrieb und Berufsschule, um den Lernaustausch zu verbessern.

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