Lehrermangel Lesezeit 4 Min.

Deutschland gehen die Lehrer aus

Alle Jahre wieder trifft die Schulen ein Lehrernotstand. Eine Ursache dafür sind die unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen der Bundesländer – sie führen dazu, dass die Prognosen der Kultusministerkonferenz zum Lehrerbedarf regelmäßig danebenliegen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Bis 2025 werden an Grundschulen und an Haupt- und Realschulen sowohl in West- als auch in Ostdeutschland jedes Jahr Tausende Lehrkräfte fehlen.
  • Ein ähnliches Problem gibt es an Berufsschulen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung übersteigt der Bedarf die Zahl der neu ausgebildeten Berufsschullehrer jährlich um 1.000.
  • Viele Bundesländer haben mit der Einstellung von sogenannten Seiteneinsteigern auf den akuten Lehrermangel reagiert. Langfristig hilft aber nur eine bessere Planung des Lehrerbedarfs.
Zur detaillierten Fassung

In all den Debatten über ausbildungsunwillige Jugendliche, fehlende MINT-Fachkräfte, überausgelastete Handwerker sowie chronisch unterbesetzte Pflegeeinrichtungen und Altenheime gerät eine Berufsgruppe mitunter aus dem Blick: Lehrer. Dabei ist der Lehrermangel gesellschaftlich und wirtschaftlich besonders eklatant, schließlich sitzen in den heutigen Klassenzimmern die künftigen Fachkräfte. Laut IW-Bildungsmonitor 2018 schneiden Viertklässler heute in Mathe und Deutsch schlechter ab als frühere Jahrgänge. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, geht sogar davon aus, dass aufgrund der fehlenden Lehrkräfte „in manchen Bundesländern eine ganze Schülergeneration Schaden nimmt“.

Dass sich das Problem des Lehrermangels tatsächlich nicht ohne Weiteres in Wohlgefallen auflösen wird, zeigt auch die Prognose zum bundesweiten Lehrerbedarf, die die Kultusministerkonferenz (KMK) im Oktober veröffentlicht hat (Grafik):

Bis 2025 werden an Grundschulen und an Haupt- und Realschulen sowohl in West- als auch in Ostdeutschland jedes Jahr Tausende Lehrkräfte fehlen.

Lehrermangel und Lehrerüberschuss nach Lehrämtern an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Tatsächlich sind die KMK-Zahlen sogar eher optimistisch – denn die Lehrerprognosen für Sachsen sind in die bundesweite Berechnung noch gar nicht eingeflossen. Und in Sachsen ist der Lehrermangel besonders groß – dort blieb nach den diesjährigen Sommerferien jede siebte ausgeschriebene Grundschullehrerstelle unbesetzt.

Lediglich die meisten Gymnasien dürften keine Probleme haben, freie Lehrerstellen zu besetzen. Tatsächlich gäbe es sogar ein Überangebot an Gymnasiallehrkräften, doch durch die Rückkehr einer Reihe westdeutscher Länder zum neunjährigen Gymnasium wird der Bedarf an Lehrern für diese Schulform sprunghaft steigen.

MINT-Fächer besonders stark betroffen

Besonders betroffen vom Lehrermangel sind MINT-Fächer, wie eine Studie beispielhaft am Land Nordrhein-Westfalen zeigt: Bis zum Schuljahr 2025/26 wird sich die Zahl der an allgemeinbildenden Schulen unterrichtenden MINT-Lehrkräfte in der Sekundarstufe I und II in etwa halbieren – Gründe dafür sind die im Schnitt relativ alten Lehrkräfte sowie der fehlenden Nachwuchs in MINT-Lehramtsstudiengängen. Diese Entwicklung lässt sich auf die anderen westdeutschen Flächenländer übertragen. In den ostdeutschen Bundesländern und in den Stadtstaaten wird der Rückgang aufgrund der Altersstruktur der Lehrkräfte vermutlich sogar noch drastischer ausfallen.

In Deutschland fehlt es in fast allen Schulformen an Lehrern. Die Situation wird sich laut Prognosen in den kommenden Jahren nicht verbessern.

Der Lehrermangel ist jedoch nicht nur an Grundschulen und im Sekundarbereich I an Haupt- und Realschulen ein Problem, sondern auch an Berufsschulen. So zeigt eine Studie für die Bertelsmann Stiftung, dass bis zum Schuljahr 2020/21 jährlich 1.000 Lehrkräfte an beruflichen Schulen eingestellt werden müssten, die keine Ausbildung als Berufsschullehrer haben, um den Stellenbedarf zu decken. Für die Schuljahre 2020/21 bis 2030/31 ergäbe sich an den berufsbildenden Schulen unter der Annahme, dass weiterhin kontinuierlich 1.000 Stellen durch ausgebildete Gymnasiallehrkräfte besetzt werden könnten, eine Lücke von knapp 14.000 Lehrkräften.

Die Kultusministerkonferenz liefert ebenfalls Zahlen für den künftigen Bedarf an Berufsschullehrern. Für die Schuljahre 2020/21 bis 2030/31 kommt die KMK allerdings nur auf eine Lücke von gut 6.000 Berufsschullehrern – also weniger als die Hälfte dessen, was die Bertelsmann-Studie vorhersagt.

Seiteneinsteiger gegen den Lehrermangel

Und was unternehmen die Bundesländer angesichts des aktuellen Lehrernotstands? Viele Länder haben mit der Einstellung von sogenannten Seiteneinsteigern auf den akuten Lehrermangel reagiert. Das sind Lehrkräfte, die ohne ein grundständiges Lehramtsstudium an Schulen unterrichten. Je nach Bundesland wird bei Seiteneinsteigern entweder der Universitätsabschluss (Master, Diplom und Magister) mit dem ersten Staatsexamen gleichgestellt und sie durchlaufen genau wie Lehramtsabsolventen den Vorbereitungsdienst. Diesen schließen die Seiteneinsteiger mit dem zweiten Staatsexamen ab, erlangen also die volle Lehramtsbefähigung; oder sie erhalten die Möglichkeit der berufsbegleitenden pädagogischen Qualifizierung bei reduzierter Stundenzahl.

Im Jahr 2017 wurden in der Bundesrepublik 13 Prozent der offenen Lehrerstellen mit Seiteneinsteigern besetzt.

So viel Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte im Schuljahr 2017/18 waren Seiteneinsteiger Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das heißt, dass rund 4.400 Lehrkräfte ohne grundständige Lehramtsausbildung eingestellt wurden. Dabei variierte der Einsatz je nach Bundesland stark (Grafik): Während Bayern, Hessen und das Saarland gar nicht auf Seiteneinsteiger zurückgreifen mussten und Baden-Württemberg, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein einen Anteil von unter 5 Prozent erreichten, wurden in Berlin 42 Prozent der Stellen mit Seiteneinsteigern besetzt. In Sachsen hatte sogar fast die Hälfte der neu eingestellten Lehrkräfte keine Lehramtsbefähigung.

Manche Bundesländer versuchen zudem, pensionierte Lehrkräfte wieder zurück an die Schulen zu holen oder Lehrer durch höhere Gehälter und die Wiedereinführung der Verbeamtung zu gewinnen.

Wie aber ließe sich der wiederkehrende Lehrermangel grundsätzlich beheben? Das geht nur durch gute Planung. Eine einheitliche, jährliche Erhebung und Modellberechnung des Lehrerbedarfs und -angebots in allen Bundesländern wäre ein erster Schritt. Darüber hinaus müssten die Arbeitsbedingungen für nicht gymnasiale Lehrer verbessert werden – also etwa für Grundschullehrkräfte, die für die weitere Schulkarriere insbesondere von benachteiligten Kindern sehr wichtig sind.

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