Wirtschaftspolitik Lesezeit 4 Min.

Deutschland braucht eine Modernisierungs-Agenda

Nicht nur die Corona-Krise selbst war ein schwerer Einbruch für viele Unternehmen, sie hat auch den Anpassungsdruck durch Digitalisierung und Klimaschutz noch einmal verschärft. Während die Automobilindustrie die Weichen gestellt hat und massiv in neue Technologien investiert, fehlt es in den energieintensiven Branchen an den notwendigen Rahmenbedingungen. Um wirtschaftlich weiter erfolgreich zu sein, muss mit dem Ende der Corona-Krise ein Modernisierungsjahrzehnt in Deutschland beginnen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Verwerfungen durch die Corona-Pandemie haben den Anpassungsdruck auf die Unternehmen verschärft.
  • Während die Automobilindustrie massiv in neue Technologien investiert hat, hinken die energieintensiven Branchen hinterher.
  • Auch das Staatswesen muss dringend modernisiert werden.
Zur detaillierten Fassung

Krisen legen bestehende Schwächen offen – werden diese dann behoben, erweist sich die Krise als wichtiger Motor wirtschaftlichen Fortschritts. Unternehmen bringen in konjunkturellen Dürrezeiten strukturelle Anpassungen auf den Weg, die die Basis für einen neuen Aufschwung sind.

Auch politische Reformen sind oft Reaktionen auf krisenhafte Entwicklungen. Ein Beispiel ist die Agenda 2010, die im Jahr 2003 aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit und der strukturellen Wachstumsschwäche gegen große Widerstände durchgesetzt wurde – und nachhaltige Erfolge zeitigte.

Die Folgen der Corona-Pandemie haben den Anpassungsdruck auf die Unternehmen verschärft.

Die ökonomischen Verwerfungen durch die Corona-Pandemie haben ebenfalls das Potenzial, den ohnehin vorhandenen Modernisierungsdruck auf die deutsche Wirtschaft zu erhöhen und damit eine Trendwende einzuleiten.

Voraussetzung dafür sind allerdings ausreichende Investitionen – und hier schneiden die Akteure je nach Zeitraum recht unterschiedlich ab (Grafik):

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) stiegen die Investitionen der Unternehmen seit 2010 um 1,1 Prozentpunkte auf 12,5 Prozent im Jahr 2020, die der privaten Haushalte erhöhten sich fast genauso stark – während die Quote des Staates zuletzt nahezu stagnierte.

Bruttoanlageinvestitionen in Prozent des BIP Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Insgesamt schultern private Akteure damit annähernd 90 Prozent des aktuellen Investitionsniveaus von 22,1 Prozent des BIP. Besonders relevant ist jedoch die Entwicklung im ersten Corona-Jahr: Hier verzeichnete der Staat ein Plus von 5,6 Prozent, die privaten Haushalte kamen nur auf 1,6 Prozent und die unternehmerischen Investitionen gaben sogar um 4,8 Prozent nach. Das Modernisierungspotenzial des privaten Sektors ist also vorübergehend spürbar geschwächt. Allerdings unterscheidet sich die Lage je nach Branche deutlich:

  1. Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselbranche der deutschen Volkswirtschaft, sie steht für fast 10 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung und gut 7 Prozent aller Beschäftigten. Auch der industrielle Kapitalstock lebt von der Automobilindustrie (Grafik):

Während das Bruttoanlagevermögen in der Automobilindustrie von 2010 bis 2018 kontinuierlich stieg, ist es in der übrigen Industrie unterm Strich gefallen.

Veränderung des realen Bruttoanlagevermögens gegenüber Vorjahr in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Zusammen mit ihrer Innovationsstärke – rund die Hälfte aller in Deutschland angemeldeten Patente kommt aus der Automobilindustrie – ist die Branche deshalb gut aufgestellt, um den anstehenden Modernisierungsprozess zu meistern und im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Die Herausforderungen sind riesig: Die Digitalisierung betrifft sowohl das Produkt Auto selbst als auch seine Herstellung, der Klimaschutz verlangt eine Umstellung auf alternative Antriebe, und mit China haben die deutschen Autobauer sowohl einen Absatzmarkt mit besonderen Risiken als auch unternehmerische Konkurrenten, die vom Staat gepäppelt werden.

  1. Die energieintensiven Branchen Papier, Glas und Keramik, Chemie sowie die Metallerzeugung und -verarbeitung stehen vor der fundamentalen Aufgabe, ihre Produktion so umzubauen, dass die Emission von Treibhausgasen reduziert und weitgehend vermieden wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ansprüche an den Klimaschutz und die jeweiligen Preissignale zur Vermeidung von CO2 international sehr unterschiedlich sind. Da der europäische Emissionshandel am teuersten ist, müssen die EU-Unternehmen Kosten tragen, die ihre Wettbewerber an anderen Standorten nicht haben.

Wächst die Kostenkluft, was wahrscheinlich ist, stehen die energieintensiven Unternehmen in Deutschland vor der Frage, ob sie im Inland neue, klimaschonende Produktionsanlagen bauen oder im außereuropäischen Ausland in weniger teure Kapazitäten investieren.

Problematisch ist zudem, dass der hohe Modernisierungsbedarf bisher nicht durch entsprechende Investitionen unterlegt werden konnte. Im Gegenteil:

Das Bruttoanlagevermögen der energieintensiven Branchen ist von 2000 bis 2018 um 68 Milliarden Euro geschrumpft.

Diese Trends stellen – zusammen mit dem Nachholbedarf bei der Digitalisierung – die bisherigen deutschen Wettbewerbsvorteile infrage und entwerten alte Wissensvorsprünge. Deutschland braucht ein Update. Der Staat kann diesen Prozess auf drei Wegen unterstützen:

Private Investitionen stärken: Staatliche Rahmenbedingen wie wettbewerbsfähige Steuersätze und Energiekosten, die Förderung von Innovationen oder die notwendige Modernisierung der gesamten Infrastruktur stärken die Fähigkeit und Bereitschaft von Unternehmen, am Standort Deutschland zu investieren.

Öffentliche Investitionen forcieren: Sowohl die Verkehrsinfrastruktur als auch jene für den Ausbau der erneuerbaren Energien müssen grundlegend modernisiert werden. Aber auch für die Wasserstoffwirtschaft ist eine neue Infrastruktur notwendig, bevor eine nennenswerte Nutzung dieser Technologie erfolgen kann. Bei der digitalen Infrastruktur – Glasfaser und Funknetze – sind schon heute Engpässe spürbar, die dringend beseitigt werden müssen.

Staatswesen modernisieren: Die Corona-Krise hat den großen Modernisierungsbedarf der öffentlichen Verwaltung in Deutschland schonungslos offengelegt – man denke zum Beispiel nur daran, dass viele Gesundheitsämter immer noch mit Faxgeräten arbeiten. Die Rückstände in der Digitalisierung, aber auch die Koordinationsschwächen an den Schnittstellen der föderalen Gebietskörperschaften haben schnelle Reaktionen in der Krise verhindert – die dynamischen und grundlegenden Veränderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte verlangen eine Modernisierung.

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