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„Der Aufschwung hat die meisten Menschen erreicht“

Die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland erweist sich als recht stabil. In den vergangenen Jahren konnten sogar breite Bevölkerungsschichten einen Wohlstandszuwachs verzeichnen, weiß IW-Verteilungsexperte Maximilian Stockhausen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Dem IW-Verteilungsexperten Maximilian Stockhausen zufolge ist ein zunehmendes Auseinanderdriften der Markteinkommen wie auch der verfügbaren Haushaltseinkommen nicht zu erkennen.
  • Es kann laut Stockhausen nicht sein, dass kleinste Erhöhungen von Ungleichheitsmaßen als Beleg für ein unaufhaltsames Auseinanderdriften der Gesellschaft gewertet werden und gleichzeitig Daten- und Schätzunsicherheiten unbeachtet bleiben.
  • Deswegen ist es an der Zeit, die positiven Entwicklungen in Deutschland verstärkt zur Kenntnis zu nehmen und nicht von unaufhaltsam steigenden Ungleichheiten zu sprechen.
Zur detaillierten Fassung

In der öffentlichen Diskussion ist oft zu hören, die Einkommen und Vermögen seien in Deutschland immer ungleicher verteilt. Regelmäßig wird von einer alarmierend hohen Ungleichheit berichtet. Es entsteht der Eindruck, als stünde Deutschland kurz vor dem sozialen Abgrund. Dabei werden kleinste Erhöhungen von Ungleichheitsmaßen als Beleg dafür verwendet, dass die Gesellschaft unaufhaltsam auseinanderdrifte. Daten- und Schätzunsicherheiten werden ausgeblendet und der Hinweis darauf als Versuch der Relativierung abgetan.

Maximilian Stockhausen ist Economist für Verteilung im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Doch ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt, dass das Bild einer ungebremst zunehmenden Ungleichheit nicht stimmt. Trotz der gewachsenen Herausforderungen durch Globalisierung, Digitalisierung oder demografischen Wandel ist es Deutschland mit seiner Sozialen Marktwirtschaft und umverteilenden Sicherungssystemen gelungen, Wohlstandszuwächse für breite Bevölkerungsschichten zu generieren und diese – insbesondere in den vergangenen Jahren – in die Mitte, aber auch an den unteren Rand zu tragen. Ein zunehmendes Auseinanderdriften der Markteinkommen wie auch der verfügbaren Haushaltseinkommen ist seit über einer Dekade auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels nicht zu erkennen. Richtig ist aber, dass das heutige Niveau der Ungleichheit höher liegt als in den 1990er Jahren.

Es ist an der Zeit, die positiven Entwicklungen in Deutschland verstärkt zur Kenntnis zu nehmen und nicht von unaufhaltsam steigenden Ungleichheiten zu sprechen.

Im internationalen Vergleich zeichnet sich Deutschland trotzdem immer noch als vergleichsweise egalitäres Land aus, das viel umverteilt und für viele Menschen Aufstiegsmöglichkeiten im Lebensverlauf, aber auch zwischen den Generationen eröffnet. Ähnliches gilt für die Vermögensverteilung, die sich seit Mitte der 2000er Jahre als bemerkenswert stabil erweist. Auch die Lohnungleichheit ist nicht gestiegen, sondern zurückgegangen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst zeigte.

Die Daten spiegeln nun endlich das wider, was viele schon lange erwartet haben: Der Aufschwung der vergangenen Jahre ist bei den meisten Menschen angekommen. Das soll gleichzeitig nicht darüber hinwegtäuschen, dass Erwerbslose, Alleinerziehende oder Menschen mit einem Migrationshintergrund auch heute noch zu oft in angespannten finanziellen Lagen leben. Auch die durchschnittlichen Einkommen in Ostdeutschland liegen trotz bemerkenswerter Zuwächse weiterhin unterhalb des Westniveaus – auch wenn manche Preise, insbesondere die für das Wohnen, im Osten noch günstiger sind.

Es ist an der Zeit, die positiven Entwicklungen in Deutschland verstärkt zur Kenntnis zu nehmen und nicht von unaufhaltsam steigenden Ungleichheiten zu sprechen. Denn das kann dazu beitragen, Menschen unnötig zu verunsichern, und das Vertrauen in das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft, die den Deutschen in Ost und West ungekannten Wohlstand und soziale Sicherheit gebracht hat, erodieren zu lassen.

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