Pro und Kontra Lesezeit 4 Min.

Das neue Lieferkettengesetz: Sinnvoll oder nicht?

In Deutschland soll ab 2023 ein neues Lieferkettengesetz gelten, das hat das Bundeskabinett beschlossen. Doch die EU ist schon dabei, die Unternehmen auf noch strengere Vorgaben zu verpflichten.

Kernaussagen in Kürze:
  • Braucht Deutschland ein neues Lieferkettengesetz? Oder verschlechtern zu strenge Regeln die Wettbewerbsposition der deutschen Unternehmen? Im Pro und Kontra legen Anne Lauenroth und Johanna Kusch ihre Ansichten dar.
  • Anne Lauenroth, stellvertretende Abteilungsleiterin beim Bundesverband der Deutschen Industrie, hält das Lieferkettengesetz weder für umsetzbar noch für rechtssicher.
  • Johanna Kusch, Koordinatorin der Initiative Lieferkettengesetz, begrüßt es, dass die Sorgfaltspflichten der Unternehmen jetzt kontrolliert und Nichteinhaltung sanktioniert wird.
Ja,
sagt
Johanna Kusch,

Koordinatorin der Initiative Lieferkettengesetz

Mit dem Lieferkettengesetz müssen sich deutsche Unternehmen nun endlich ernsthaft mit ihren Sorgfaltspflichten befassen.

Das Paradigma der Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung ist in Deutschland gescheitert: Nur ein kleiner Teil der Unternehmen kommt seiner menschenrechtlichen Verantwortung ausreichend nach. Das belegte zuletzt eine 2020 veröffentlichte Unternehmensbefragung im Auftrag der Bundesregierung. Deswegen ist es nur folgerichtig, dass die Bundesregierung von diesem Paradigma abrückt. Ihr Entwurf für ein Lieferkettengesetz hat Lücken – klar ist aber: Sorgfaltspflichten gelten nicht nur auf dem Papier. Fortan werden sie behördlich kon-trolliert und Nichteinhaltung wird sanktioniert.

Mit Blick in die Zukunft tut die Bundesregierung der deutschen Wirtschaft einen großen Gefallen damit, sie zum Jagen zu tragen. Denn: Die internationalen Anforderungen an Unternehmen in Sachen Sorgfalt steigen kontinuierlich. Andere europäische Länder haben bereits entsprechende Gesetze eingeführt. Ein EU-Lieferkettengesetz steht vor der Tür. Und der Finanzmarkt erwartet zunehmend strengere Belege für eine nachhaltige Geschäftsführung – zuletzt machte der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock entsprechende Ankündigungen. Unternehmen, an denen BlackRock Anteile hält, sollen darlegen, wie sie Menschenrechtsverletzungen verhindern wollen und wie ihre Maßnahmen wirken.

Mit dem Lieferkettengesetz müssen sich deutsche Unternehmen nun endlich ernsthaft mit ihren Sorgfaltspflichten befassen. Die langen Übergangsfristen helfen denen, für die das Neuland ist. Die anderen erhalten durch das Gesetz Rückendeckung. Denn das Gesetz stellt klar: Wegschauen bei Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette soll kein Wettbewerbsvorteil mehr sein. Diese klare Haltung sollte auch einer EU-Regelung zugrunde liegen. Sie schafft Anreiz für Veränderungen –zum Beispiel auch gegenüber Unternehmen aus China.

Schon 2024 könnte ein EU-Lieferkettengesetz in Kraft sein. Und vieles deutet darauf hin, dass es in zentralen Punkten über den deutschen Entwurf hinausgeht: mehr Sorgfaltspflicht entlang der Wertschöpfungskette, mehr Umwelt- und Klimaaspekte, mehr Haftung.

Gut so, denn in diesen Vorschlägen findet sich ein zentraler Ansatz der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wieder, der im deutschen Gesetzentwurf fehlt: Unternehmen sollen dort aktiv werden, wo menschenrechtliche Probleme liegen. Das schützt gezielt die Menschen vor Ort – und es schützt die Unternehmen vor nicht zielführenden Tätigkeiten.

Der deutsche Gesetzentwurf greift hier zu kurz: Wenn sich Unternehmen erst einmal nur um direkte Zulieferer kümmern, ändert sich tiefer in der Lieferkette zu wenig – obwohl dort die eigentlichen menschenrechtlichen Probleme liegen.

Belegt ist zudem: Gesetze mit einer Haftung – wie von der EU geplant – wirken besser als solche mit bloßen Berichtspflichten, denn Unternehmen nehmen tiefgreifendere Veränderungen vor. Wichtig ist dabei, diese Haftung zu verstehen: Unternehmen schulden keinen Erfolg im Sinne einer kinderarbeitsfreien Lieferkette. Sie schulden ein angemessenes Bemühen um Sorgfalt.

Nein,
sagt
Anne Lauenroth,

stellvertretende Abteilungsleiterin Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie

Der Gesetzgeber lässt die Unternehmen mit der Auslegung der Sorgfaltspflichten allein - es ist nicht zu erkennen, wie sie das Gesetz einhalten und durchsetzen sollen.

Für die deutsche Wirtschaft sind Menschenrechte nicht verhandelbar. Deutsche Unternehmen tragen mit ihrem Engagement in Entwicklungs- und Schwellenländern zu höheren Sozial- und Umweltstandards, besserer Bildung und damit zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Sie sind als Arbeitgeber weltweit sehr geschätzt. Die ohne gebührende Beteiligung der betroffenen Stakeholder im Eilverfahren im Bundeskabinett verabschiedete Gesetzesvorlage zu einem nationalen Sorgfaltspflichtengesetz ist weder rechtssicher noch vollständig praktisch umsetzbar, noch wird sie Wirksamkeit vor Ort haben. Das hat drei Gründe:

Erstens lässt der Gesetzgeber die Unternehmen bei der Auslegung der Sorgfaltspflichten allein. So ist nicht erkennbar, wie ein deutsches Unternehmen in Ländern wie China, wo freie Gewerkschaften verboten sind, die im Gesetz geschützte Rechtsposition der Koalitionsfreiheit einhalten und durchsetzen soll. Möchte die Bundesregierung die Anerkennung höherer Rechtsnormen, muss sie dafür im Rahmen internationaler Vereinbarungen sorgen und darf das nicht auf die Unternehmen abwälzen.

Verbunden mit ebenfalls unklaren Sanktionen bereits bei einfacher Fahrlässigkeit entstehen für die Unternehmen unüberschaubare Rechtsrisiken. Die Gefahr ist groß, dass sie sich aus Kontexten mit prekären Menschenrechtssituationen zurückziehen und der Anspruch des Befähigens vor Rückzug nicht eingelöst werden kann. Entwicklungspolitisch wäre das fatal.

Zweitens sollten entgegen der bisherigen Einigung alle Unternehmen in die Pflicht genommen werden. Denn der Gesetzentwurf verpflichtet sie zur vertraglichen Weitergabe entlang der Lieferkette. Damit werden kleine und mittlere Unternehmen über Gebühr belastet. Gerade sie haben aber aufgrund geringerer Ressourcen und Marktmacht wenig Einflussmöglichkeiten vor Ort. Aber auch einige große Unternehmen werden aufgrund komplexer Lieferketten mit teilweise 100.000 direkten Zulieferern vor große Herausforderungen gestellt.

Drittens – und das ist am wichtigsten – fehlt die entscheidende Rolle der Politik, damit ein solches Gesetz überhaupt funktionieren kann. Für den Import von allein vier Mineralien betreiben zum Beispiel die Europäische Kommission und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Rahmen der Konfliktmineralien-verordnung einen enormen Aufwand, um die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in diesem Bereich umsetzbar zu machen. Auch einschlägige Brancheninitiativen werden anerkannt. Der Entwurf zum Sorgfaltspflichtengesetz lässt dies vermissen.

Sowohl auf deutscher als auch europäischer Ebene stellen sich also fundamentale Fragen nach der Ausgestaltung der Regelungen zu unternehmerischer Sorgfaltspflicht in der Lieferkette. Damit diese auf dem Weg zu einem globalen Level Playing Field überhaupt funktionieren, braucht es Rechtssicherheit, praktische Umsetzbarkeit und den Fokus auf die Wirksamkeit vor Ort.

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