Bundesbürger zieht es von Landkreisen in die Städte
Wegen des demografischen Wandels sind die deutschen Regionen mehr denn je auf Zuwanderer aus dem Ausland angewiesen. Dabei dürfen allerdings die Wanderungsbewegungen innerhalb des Landes nicht aus dem Blick geraten.
- Die Babyboomer gehen in den kommenden Jahren in Rente, Deutschlands Regionen wird das unterschiedlich hart treffen – entscheidend sind die Wanderungsbewegungen im Land.
- Bis zu einem gewissen Maß sind Abwanderungen vom Land in die Stadt normal, beispielsweise zur Ausbildung. Entscheidend ist, ob junge Menschen später zurückkehren.
- Eine IW-Analyse zeigt, welche Städte und Landkreise von der Binnenwanderung profitieren und wo besonders viele Erwerbstätige fehlen werden.
Die Babyboomer – die geburtenstarken Jahrgänge – gehen in den kommenden Jahren in Rente. Damit steht Deutschland vor einer Zeitenwende: Die Zahl der Erwerbstätigen ist in den vergangenen Jahrzehnten nahezu kontinuierlich gewachsen, nun wird sie ohne starke Zuwanderung einbrechen. Fachkräfteengpässe werden die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit noch stärker beeinträchtigen als heute schon.
Wie sich Deutschlands Kreise und Städte in den nächsten Jahrzehnten entwickeln, hängt maßgeblich davon ab, wie die innerdeutschen Wanderungsbewegungen aussehen.
Allerdings sind die Herausforderungen nicht überall gleich groß. Ausschlaggebend sind nicht zuletzt die innerdeutschen Wanderungsbewegungen, die zu einer starken Verschiebung der Bevölkerung zwischen den Regionen führen.
Wanderungsbewegungen hängen von Lebensphasen ab
Dabei folgt die Migration in den verschiedenen Lebensphasen sehr unterschiedlichen Mustern: Zunächst ziehen junge Menschen dorthin, wo sie studieren können. Ab Mitte 20 kehrt sich diese Bewegung teilweise um und die ländlicheren Hochschulstandorte verzeichnen Abwanderungen. Die großen Metropolen sind hingegen weiterhin attraktiv, was zumindest teilweise daran liegen dürfte, dass es dort gute Jobs für Akademiker gibt. Ab einem Alter von Mitte 30 ist dann eine Bewegung aus den größeren Städten in die ländlicheren Gebiete zu beobachten, die jungen Familien vielfach attraktivere Wohnmöglichkeiten bieten.
Gesamtbilanz ist zentral
Entscheidend ist die Gesamtbilanz dieser Wanderungsbewegungen: Gelingt es beispielsweise den ländlichen Kreisen, die Abwanderung ihres Nachwuchses später zu kompensieren oder nicht?
Mit dieser Lebenslaufperspektive hat das IW jetzt die Bevölkerungsverschiebungen in allen 401 Kreisen und kreisfreien Städten analysiert. Dazu haben die Forscher zunächst betrachtet, wie sich die Bevölkerung in den verschiedenen Geburtsjahrgängen in jeder kreisfreien Stadt und jedem Landkreis zwischen 2015 und 2020 verändert hat. Diese Ergebnisse wurden miteinander verknüpft und auf eine Gesamtbilanz der Wanderungen zwischen einem Alter von 10 bis 14 und 45 bis 49 Jahren hochgerechnet. Diese Hochrechnung kann man auch als Prognose der Wanderungsbewegungen der Jahrgänge 2006 bis 2010 im Zeitraum 2020 bis 2055 interpretieren – unter Annahme der aktuellen Wanderungsmuster (Grafik):
Größter Wanderungsverlierer ist der Saale-Holzland-Kreis zwischen Jena und Gera in Thüringen mit einem Minus von fast 38 Prozent. Spitzenreiter ist die Stadt Leipzig mit einem Plus von mehr als 220 Prozent.
Diese Werte beinhalten die in den vergangenen Jahren starke Zuwanderung aus dem Ausland. Lässt man die außen vor, fällt der prozentuale Zuwachs bei den Top-Platzierten deutlich geringer aus, während sich die Verluste am unteren Ende noch einmal verstärken.
Leipzig gewinnt immer
Dieser Befund gilt auch, wenn man die Frage ins Zentrum rückt, wie viele Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren die 401 Kreise bis 2030 voraussichtlich durch Wanderungen gewinnen oder verlieren werden (Grafik):
Leipzig liegt mit plus 26 Prozent Erwerbsfähige bis 2030 gegenüber einer Situation ohne Wanderungsbewegungen an der Spitze, gefolgt von Potsdam und Offenbach.
Hingegen würden Lüchow-Dannenberg – das ist der östlichste Landkreis Niedersachsens – und der Saale-Holzland-Kreis sowie das kreisfreie Trier besonders viele Erwerbsfähige einbüßen.
Schaut man auch hier nur auf die Inländer, fiele der maximale Wanderungsgewinn – weiterhin in Leipzig – mit knapp 21 Prozent um mehr als 5 Prozentpunkte niedriger aus. Am unteren Ende des Rankings würden sich die Verluste verstärken und Emden, der Wartburgkreis sowie Frankfurt an der Oder auf die letzten Plätze abrutschen.
Politik kann gegensteuern
Mit Blick auf diese Daten rät das IW zu folgenden Maßnahmen:
Angebote für junge Menschen vor Ort verbessern. Von Abwanderung betroffene Regionen sollten sich fragen, wie sie die dort Aufgewachsenen halten oder nach Studium und Ausbildung zurückgewinnen können. Hilfreich sind dafür vor allem gute Freizeitangebote und Mobilitätskonzepte. Die aus einer Gegend Stammenden können dann auch als „Botschafter“ bei Mitstudenten fungieren.
Migrationsschwerpunkt auf regionaler Ebene setzen. Hinzukommen sollte eine gezielte werbende Ansprache potenzieller Zuwanderer im In- und Ausland. Dabei sollte ein realistisches Bild der Region gezeichnet werden, um Enttäuschungen zu vermeiden. Bei Einreise und Integration brauchen die Fachkräfte dann bestmögliche Unterstützung.
Passenden institutionellen Rahmen auf Bundesebene gestalten. Wichtig ist vor allem eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Zuwanderungsrechts. Zudem kann es sinnvoll sein, besonders betroffene Regionen mit Modellprojekten und Fördergeldern dabei zu unterstützen, neue und vor allem jüngere Einwohner zu gewinnen.