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„Aus einer Notfallhilfe darf keine Dauersubvention werden“

Die Industrie ist ein wesentlicher Pfeiler des Wohlstands in Deutschland. Damit bestehende Unternehmen weiter wachsen und neue Firmen entstehen können, muss die Wirtschaftspolitik einen guten Ordnungsrahmen schaffen, aber auch in der Lage sein, mit zielgerichteten Maßnahmen auf neue Herausforderungen zu reagieren. Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter des Wissenschaftsbereichs im Institut der deutschen Wirtschaft, und Karl Lichtblau, Geschäftsführer der IW-Consult, erläutern, wie die Balance zwischen Ordnungs- und Prozesspolitik in der Corona-Krise neu austariert werden sollte.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um die Corona-Krise zu bewältigen, hat der Staat erheblich in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingegriffen.
  • Die ordnungspolitische Frage lautet nun, wie das Ausmaß und die Tiefe der staatlichen Eingriffe wieder zurückgefahren werden und Marktprozesse wieder stärker das wirtschaftliche Leben prägen können.
  • Notfallunterstützung darf nicht zur Dauersubvention werden; der Staat sollte nicht über systemrelevante Güter entscheiden wollen und damit eine interventionistische Industriepolitik begründen.
Zur detaillierten Fassung

Mit der Corona-Pandemie und dem damit einhergehenden extremen Einbruch der Wirtschaft haben sich im Jahr 2020 die Koordinaten der Industriepolitik deutlich verschoben. Zur Bewältigung der Krise hat der Staat in erheblichem Maße in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingegriffen. Die Schließung öffentlicher Einrichtungen, das Aussetzen von größeren Veranstaltungen und die Schließung von Unternehmen waren harte Eingriffe in wirtschaftliche Prozesse, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Um massive wirtschaftliche Schäden über den beobachteten Einbruch hinaus zu vermeiden, wurden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene Programme für öffentliche Kredite als Liquiditätshilfen, staatliche Fördermaßnahmen und die Übernahme von Eigenkapital in öffentliches Eigentum in Milliardenhöhe beschlossen. Auch die EU hat umfangreiche Hilfspakete geschnürt.

Neben den Rettungsaktivitäten und der konjunkturellen Nachfragestützung, die die Bundesregierung mit dem Konjunkturprogramm vom Sommer 2020 beschlossen hat, stellt sich die industriepolitische Frage, wie die industrielle Basis in Deutschland wieder gestärkt werden kann, sodass das Verarbeitende Gewerbe weiterhin die tragende Rolle für Wohlstand und Beschäftigung einnehmen kann, die es auch nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 spielte.

Nach der Krise muss sich der Staat wieder aus der Wirtschaft zurückziehen

Hubertus Bardt ist Geschäftsführer und Leiter des Wissenschaftsbereichs im Institut der deutschen Wirtschaft, Karl Lichtblau ist Geschäftsführer der IW-Consult; Fotos: IW Medien Gleichzeitig stellt sich die ordnungspolitische Frage, wie das Ausmaß und die Tiefe der staatlichen Eingriffe wieder zurückgefahren werden und Marktprozesse wieder stärker das Wirtschaftsleben prägen können. Schließlich sind im Zuge der Rettungs- und Stabilisierungsaktivitäten strukturelle Eingriffe vorgenommen wurden, die – im Gegensatz zu Konjunkturprogrammen oder coronabedingten Restriktionen – nicht automatisch wieder auslaufen. Dazu gehören beispielsweise vermehrte staatliche Beteiligungen an privaten Unternehmen wie der Lufthansa Gruppe.

Um aus der akuten Krisenbekämpfung auszusteigen, müssen zunächst die staatlichen Ad-hoc-Interventionen in Form von Unterstützungszahlungen oder der Übernahme von Eigenkapital beendet werden. Für öffentliche Beteiligungen an Unternehmen muss es eine klare Exit-Strategie geben. Und eine Notfallunterstützung zuvor gesunder Unternehmen darf nicht zu einer Dauersubvention werden, die dann deren Wettbewerbsfähigkeit und darüber hinaus womöglich die des Standorts Deutschland insgesamt schwächt.

Internationale Arbeitsteilung ist bedroht

Strukturell bedeutender und für die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie gravierender ist jedoch die Zukunft der internationalen Arbeitsteilung. Diese ist zunehmend bedroht durch die in der öffentlichen Debatte erhobene Forderung, die Globalisierung zu beschneiden und Produktionsprozesse ins eigene Land zurückzuverlagern, um im Krisenfall Versorgungssicherheit gewährleisten zu können.

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft weltweit erfasst und damit in ungeahnter Weise Lieferketten unterbrochen. Dies hat neue Fragen zu deren Sicherheit aufgeworfen. Angesichts der Tatsache, dass industrielle Produktion und Logistik weltweit nahezu gleichzeitig in Mitleidenschaft gezogen worden sind, ist es jedoch wenig überraschend, dass es auch zu Lieferausfällen gekommen ist. Überraschend ist viel mehr, wie begrenzt diese Ausfälle nach allen Anpassungsreaktionen waren und wie schnell die Liefernetzwerke wiederaufgebaut werden konnten.

Ein hohes Maß an Liefersicherheit darf nicht gegen die wohlstandsstiftende internationale Arbeitsteilung ausgespielt werden.

Einzelne strategische Infrastrukturen zur Krisenvorsoge und die Fähigkeit, im Krisenfall adäquat und schnell zu reagieren, gilt es breiter zu definieren und europäisch abzusichern. Dazu kann auch eine stärkere Bevorratung beispielsweise mit medizinischer Ausrüstung gehören. Zu bedenken ist dabei, dass dies mit erheblichen Kosten verbunden ist und nicht für jede Eventualität vorgenommen werden kann.

Politik sollte nicht über Systemrelevanz entscheiden

Die Politik sollte nicht dem Reiz erliegen, zu definieren, was als systemrelevant anzusehen ist und was nicht, und damit eine interventionistische Industriepolitik begründen. Einzelne Vorprodukte können zugleich zentraler Bestandteil in vielen Wertschöpfungsketten und gut austauschbar (substituierbar) sein. Andere, kaum beachtete Elemente können hingegen unverzichtbar sein, um die Produktion nachgelagerter Güter zu ermöglichen. Hier ist – von Einzelfällen abgesehen – für die Volkswirtschaft im Vorhinein kaum zwischen „besonders wichtig“ und „nicht wichtig“ zu unterscheiden.

Die notwendige Versorgungssicherheit können Unternehmen im Regelfall gut in ihren Beschaffungs- und Logistikkonzepten berücksichtigen. Klar ist aber auch, dass mehr Versorgungssicherheit mit höheren Kosten einhergehen dürfte. Das gilt mit Blick auf den Industriestandort Deutschland auch für eine mögliche Rückverlagerung der Produktion. Wenn aus Sicherheitsgründen die Wertschöpfungsketten stärker in dem jeweiligen Wirtschaftsraum (Nordamerika, Europa, Ostasien) organisiert werden würden und der Handel zwischen diesen Räumen tendenziell an Bedeutung verlöre, wäre dies eine gravierende strukturelle Veränderung, die das deutsche Geschäftsmodell im Kern herausfordern würde.

Corona-Krise beschleunigt den Strukturwandel

Für die Unternehmen ist mit der Corona-Krise eine Beschleunigung des Strukturwandels verbunden. Der Digitalisierungsprozess verläuft nun noch schneller, die Einschränkungen der Globalisierung drohen spürbarer zu werden und die Strukturanpassungen für den Klimaschutz machen keine Pause. Gleichzeitig werden die Fähigkeiten der Unternehmen zur Strukturanpassung durch die Krise eher geschwächt als gestärkt.

Die Unternehmen müssen nun jene finanziellen Ressourcen und Managementkapazitäten, die sie eigentlich für die Anpassung an die strukturellen Herausforderungen benötigen, dazu verwenden, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu bewältigen. Die industriepolitische Verantwortung des Staates, die Unternehmen im Strukturwandel zu unterstützen, wird damit noch größer, ohne dass dies zu mehr Interventionismus führen darf. Der ordnungspolitische Auftrag liegt darin, die Bedingungen für die Unternehmen zur Bewältigung des Strukturwandels im Wettbewerb zu verbessern, nicht in der prozesspolitischen Definition von Markthandlungen oder Marktergebnissen.

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