Atomkraft: Zwischen Auslaufmodell und leuchtender Zukunft
Atomstrom ja oder nein – darüber debattieren Regierungen und Gesellschaften weltweit und kommen dabei zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. So setzen die USA und Frankreich weiterhin stark auf Atomkraft, Länder wie Deutschland und Spanien haben dagegen den Ausstieg beschlossen. Doch wegen der horrenden Gaspreise und Putins Krieg gegen die Ukraine scheint selbst das nicht mehr in Stein gemeißelt. Zeit für eine Bestandsaufnahme.
- Im Mai 2022 waren weltweit in 33 Ländern insgesamt 439 Atomkraftwerke ans Stromnetz angeschlossen. Die meisten Meiler gibt es mit 92 in den Vereinigten Staaten.
- Befürworter der Atomkraft loben die CO2-arme und damit klimafreundliche Stromerzeugung sowie die konstante Produktion.
- Gegner bemängeln die Sicherheit, die ungeklärte Frage der Endlagerung von Atommüll und die Emissionsbelastung bei Bau und Rückbau der Anlagen.
Eigentlich war für Deutschland alles klar: Ende 2022 sollten die letzten drei Atomkraftwerke (AKW) vom Netz gehen. Im Zuge der Energiekrise hat die Bundesregierung allerdings zuletzt beschlossen, zwei AKW als Notreserve vorzuhalten. Politiker der Opposition und Vertreter der Wirtschaft sprechen sich sogar für einen Streckbetrieb aller drei Meiler aus. Andere Länder setzen ebenfalls auf mehr Atomkraft als Antwort auf die steigenden Energiepreise, wiederum andere Staaten wollen die Kernkraft gar nicht mehr nutzen.
Im Mai 2022 waren weltweit in 33 Ländern insgesamt 439 Atomkraftwerke ans Stromnetz angeschlossen. Die meisten Meiler gibt es in den Vereinigten Staaten (Grafik):
Die USA betreiben derzeit 92 Atomkraftwerke. Frankreich kommt auf 56, China auf 54.
Der erste zivil genutzte Reaktor stand aber in keinem dieser Länder – in Obninsk bei Moskau ging 1954 das erste Kernkraftwerk für zivile Zwecke ans Netz. Zuvor wurde die Technik nur vom Militär genutzt.
Befürworter der Atomkraft loben vor allem die CO2-arme und damit klimafreundliche Stromerzeugung. Sie schätzen zudem die stetige Stromerzeugung durch Atommeiler, während die Einspeisung aus Solar- und Windkraftanlagen schwankt.
Gegner bemängeln die Sicherheit, die ungeklärte Frage der Endlagerung von Atommüll – der bis zu eine Million Jahre sicher verschlossen werden muss – und verweisen auf Ereignisse wie die Katastrophe im AKW Tschernobyl 1986. Darüber hinaus gelte es, die Umweltfolgen des Uranabbaus zu berücksichtigen.Außerdem liefen die Werke zwar weitgehend ohne Emissionen, in den vor- und nachgelagerten Prozessen sehe das aber ganz anders aus.
Neubauten sind grundsätzlich nötig, wenn man die Atomkraft auch in Zukunft nutzen will.
Die anfallenden Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu bestimmen, ist schwierig. Vor allem beim Rückbau der Werke können bisher weder die Kosten noch der CO2-Abdruck verlässlich beziffert werden. Internationale Klimaexperten gehen bisher von 4 bis 110 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom aus. Zum Vergleich:
Das Umweltbundesamt rechnet bei der Verstromung von Gas mit gut 400 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde verbrauchten Stroms. Bei der Braunkohle sind es sogar mehr als 1.100 Gramm.
Ein weiterer Kritikpunkt: die Kosten. Bei einem AKW-Neubau liegt der Erzeugungspreis pro Megawattstunde Strom laut einer aktuellen Studie zwischen 131 und 204 Dollar. Der Rückbau der Anlagen und die Lagerung von Atommüll sind dabei noch nicht eingepreist. Zum Vergleich: Eine mittels Windenergie erzeugte Megawattstunde Strom kostet umgerechnet zwischen 26 und 50 Dollar. Diese sogenannten Stromgestehungskosten liegen also für Atomenergie selbst ohne die Kosten für Endlagerung und Rückbau – die weitgehend vom Steuerzahler getragen werden – deutlich über den Kosten der Erneuerbaren.
Beim Stromhandel an der Börse ist Atomstrom zwar ebenfalls teurer als die Erneuerbaren, aber deutlich günstiger als die fossilen Alternativen, da nur die Betriebskosten eingepreist werden. Dadurch rechnen sich die alten Meiler für die Betreiber und die Kunden.
Begrenzte Laufzeit
Nur mit den bestehenden AKW ist es aber auf Dauer nicht getan. Neubauten sind grundsätzlich nötig, wenn man die Technik auch in Zukunft nutzen will. Typischerweise werden Atomkraftwerke laut Internationaler Energieagentur für eine Betriebsdauer von etwa 40 Jahren geplant. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass danach Schluss ist. So haben etwa 90 Reaktoren in den USA eine Lizenz für einen Betrieb über 60 Jahre.
Generell ist die tatsächliche Betriebsdauer in vielen Ländern abhängig von den jeweiligen politischen Strategien. Während einige ihre Reaktoren bereits vor Ablauf der 40 Jahre abschalten, wird anderswo über eine Laufzeitverlängerung diskutiert. Viele Werke sind allerdings bereits in die Jahre gekommen:
Im Jahr 2019 waren die Werke in den USA im Schnitt 39 Jahre alt, in der EU waren es 35 Jahre.
Derzeit werden in 17 Ländern 53 neue Atomkraftwerke gebaut. Neun Staaten mit Meilern, darunter Deutschland, wollen indes aus der Technik aussteigen.
Unterm Strich wird die Atomkraft nichtsdestotrotz auch in Zukunft eine Rolle spielen (Grafik):
Nach einem Hoch von mehr als 17 Prozent der kompletten Stromerzeugung in den 1990er Jahren wurden zuletzt immer noch gut 10 Prozent des weltweiten Stroms in AKW produziert.
Dennoch wird die Atomkraft wohl nicht mit dem Erfolg der erneuerbaren Energien mithalten können: Im Zeitraum von 2000 bis 2019 stieg deren Anteil an der weltweiten Stromerzeugung von 19 auf 27 Prozent. Zwar geht der Großteil davon noch auf das Konto der Wasserkraft, doch im vergangenen Jahr kam nach Angaben der Denkfabrik Ember weltweit erstmals mehr Strom aus Wind- und Solaranlagen als aus Atomkraftwerken.