Arbeitsunfälle der besonderen Art
Gewalttätig ausgetragene Konflikte zwischen Kollegen, Bedrohungen durch Kunden oder Patienten sowie Banküberfälle sind nicht nur dramatische Erfahrungen für die betroffenen Personen, sondern sie verursachen auch einen wirtschaftlichen Schaden. Denn durch Gewalt am Arbeitsplatz kommt es zu hohen Fehlzeiten, Kosten für Entschädigungen, Heilbehandlungen sowie neuen Unfallrenten.
- Wenn Beschäftigte am Arbeitsplatz beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen werden, handelt es sich dabei um „Gewalt am Arbeitsplatz“.
- Die meisten Gewaltunfälle im gewerblichen Bereich finden mit 36 Prozent bei den Wach- und Sicherheitsdiensten statt, doch auch Pflege- und Altenheime sowie psychiatrische Krankenhäuser sind diesbezüglich gefährliche Arbeitsorte.
- Arbeitsunfälle verursachen einen großen wirtschaftlichen Schaden, der durch Prävention mit einer guten betrieblichen Personalpolitik verringert werden kann.
Wenn Beschäftigte im Rahmen ihres Jobs oder direkt am Arbeitsplatz beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen werden, bezeichnen Arbeitswissenschaftler dies als „Gewalt am Arbeitsplatz“. Diese Gewalt kann von externen, nicht betriebszugehörigen Personen, aber auch von Arbeitskollegen ausgehen.
Während die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle in Deutschland insgesamt seit Jahren rückläufig ist, nimmt die Zahl der Gewaltunfälle zu.
Gewaltereignisse, die zu einer körperlichen Verletzung führen, werden als Arbeitsunfälle gewertet und dementsprechend dokumentiert und untersucht. Meldepflichtig sind Arbeitsunfälle dann, wenn sie eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge haben (Grafik):
Von den insgesamt rund 870.000 meldepflichtigen Arbeitsunfällen im Jahr 2019 gingen mehr als 16.000 auf Gewalt am Arbeitsplatz zurück.
Bei Handgreiflichkeiten innerhalb des Betriebs oder solchen zwischen betriebsinternen und -fremden Personen kommt es oft zu Prellungen, Verstauchungen oder oberflächlichen Hautverletzungen (59 Prozent). Aber auch Schockzustände erlebnisreaktiver oder psychischer Art kommen vor, sie machen 18 Prozent der Unfallmeldungen aus. Etwas mehr als die Hälfte der Unfallrenten werden aufgrund dieser psychischen Auswirkungen der verschiedenen Schockzustände gewährt.
Alten- und Pflegeheime zählen zu den gefährlichen Arbeitsorten
Die meisten Gewaltunfälle im gewerblichen Bereich finden mit 36 Prozent bei den Wach- und Sicherheitsdiensten statt, doch auch Pflege- und Altenheime sind diesbezüglich gefährliche Arbeitsorte – hier passieren etwa 16 Prozent der meldepflichtigen Übergriffe. Im öffentlichen Dienst sind die psychiatrischen Krankenhäuser mit 57 Prozent besonders betroffen.
Erfreulicherweise ist die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle insgesamt seit Jahren rückläufig: Gab es 1991 noch insgesamt mehr als 1,8 Millionen Arbeitsunfälle, so waren es 2011 nur noch knapp 920.000 und im Jahr 2019 – das ist der aktuellste Datenstand – rund 870.000. Die Zahl der Gewaltunfälle nahm in den vergangenen Jahren jedoch zu:
Allein zwischen 2017 und 2019 steigerte sich die Zahl der gewalttätigen Vorfälle am Arbeitsplatz um 13 Prozent.
Die Aufwendungen für Entschädigungsleistungen für alle Arbeits- und Wegeunfälle summierten sich im Jahr 2019 auf insgesamt 11,1 Milliarden Euro. Weitere 4,9 Milliarden Euro kosteten die Heilbehandlungen, 5,8 Milliarden die Unfallrenten. Dazu kommen die Kosten, die den Unternehmen durch die Fehlzeiten entstehen. Insgesamt verursachen die Arbeitsunfälle einen großen wirtschaftlichen Schaden, der durch Prävention mit einer guten betrieblichen Personalpolitik verringert werden kann.
Buchtipp: Vorbeugen, nachsorgen, wachsam sein!
Gewalt am Arbeitsplatz ist ein keineswegs seltenes Phänomen, mit dem Personalverantwortliche und Führungskräfte im betrieblichen Kontext konfrontiert sind. Vorbeugen, nachsorgen und wachsam sein gehören zum aktiven Bedrohungsmanagement für den Schutz von Beschäftigten und Betriebsklima.
Es gibt viele Formen von Gewalt am Arbeitsplatz: Bankangestellte, die an ihrem Arbeitsplatz überfallen werden, sind oft für Jahre traumatisiert, obwohl ihr Arbeitgeber sie darauf vorbereitet und auch umfangreiche Nachsorge leistet. Jobcenter-Beschäftigte, die von ihren Kunden beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen werden, bitten oftmals um Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz. Aber auch psychische oder sexualisierte Gewalt, die für Dritte meist kaum sichtbar vonstattengeht, kann bei Beschäftigten zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen und sie krank machen.
Doch wie sollen Betriebe und Organisationen auf solche Vorkommnisse reagieren? Und was können sie tun, damit es erst gar nicht so weit kommt? Antworten auf diese Fragen gibt der promovierte Politik- und Verwaltungswissenschaftler Holger Pressel in seinem Buch „Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz – Prävention, Deeskalation, Nachsorge“. Als Referatsleiter einer großen Krankenkasse ist der Autor besonders daran interessiert, für das Thema Gewaltprävention zu sensibilisieren und dadurch die Gesundheit der Beschäftigten – mittel- oder langfristig – zu erhalten oder sogar zu stärken.
Pressel stellt Personalverantwortlichen, Führungskräften und Geschäftsleitungen praxisrelevantes Wissen inklusive Handlungsempfehlungen zur Verfügung: Wie häufig kommt Gewalt am Arbeitsplatz vor? Welche Ursachen liegen zugrunde? Wie gehen Vorgesetzte und Personalverantwortliche bestmöglich mit Drohungen um? Wie können Anzeichen für Gewalt am Arbeitsplatz rechtzeitig erkannt und Beschäftigte geschützt werden? Wie sieht eine gute betriebliche Nachsorge nach Anschlägen, Attacken oder persönlichen Angriffen aus?
Das Buch ist ein lesenswertes Werk, das Hintergrundwissen, konkrete Fallbeispiele und neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft präsentiert. Wäre das Thema nicht so traurig und vielfach angsteinflößend, könnte man von einem unterhaltsamen Pageturner sprechen. Obwohl der methodische Zugang wissenschaftlichen Kriterien standhält, ist das Buch verständlich geschrieben. Die authentischen Fälle aus Wirtschaft und Verwaltung sind anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Manche sind so unglaublich, dass man sich in einem Krimi wähnt. Vielfach tun sich Abgründe auf, aber auch damit müssen sich Verantwortliche in den Betrieben aktiv auseinandersetzen.
Holger Pressel, Haufe Verlag, Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz. Prävention, Deeskalation, Nachsorge, ISBN 978-3-648-14279-0, 39,95 Euro.